Interview Dieter Falk (Buchseite 135)

Dieter Falk
Jahrgang 1959. Musikalisches Elternhaus. Mutter Klavierlehrerin. Gospelchor, Musikstudium in Köln, Live-Pianist für diverse Künstler (Kenny Rogers, Amy Grant, Edwin Hawkins). Dann Arrangeur, Produzent vieler Gospelplatten, Entdecker und Produzent von Pe Werner, PUR. Produzierte Marshall & Alexander, Patricia Kaas, Guildo Horn, Nana Mouskouri, Marque, Daliah Lavi. Soloplatten, Fernsehen (u.a. Jury-Mitglied „Popstars“) und 2010 erstes Musical „Die 10 Gebote“ mit Michael Kunze. Sechsmal für den ECHO nominiert, 20 Millionen verkaufte Tonträger. Verheiratet, zwei Kinder. www.falk-music.de.

Dieter, was hat dich dazu gebracht Musiker zu werden?
Eine amerikanische Gospelband, die auf Deutschlandtournee war, als ich 16 war. Die haben bei uns in der Kirche gespielt, einfach phantastisch. Das hat mich angesteckt. Das war meine Initialzündung: Jetzt wollte ich auch Musiker werden.

Wie kann man sich deinen typischen Arbeitstag vorstellen?
Ein typischer Arbeitstag fängt sehr früh an, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Dann geh ich runter ins Studio, erledige E-Mails (ca. 100 pro Tag) und schalte eigentlich gleich den Rechner an und komponiere. Komponieren ist ein Schwerpunkt meiner Arbeit geworden, das hab ich früher gar nicht so viel gemacht. Aber ich bin auf den Geschmack gekommen. Das ist natürlich heutzutage immer verbunden mit aufwendigen Demoproduktionen, damit man einen Song angemessen vorstellen kann. Wandergitarre oder Klavier  und Gesang tun es nicht mehr. Das ist so mein Vormittag bis ca. 14:00 Uhr. Die Hälfte der Zeit geht fürs Produzieren drauf, die andere Hälfte fürs Arrangieren und Komponieren. Dann koche ich zwei- bis dreimal die Woche, wenn die Kinder und meine Frau nach Hause kommen. Und dann geht’s bis 19 oder 20:00 Uhr wieder runter ins Studio.

Fühlst Du Dich als Dienstleister?
Natürlich bin ich Dienstleister,  aber wenigstens einer mit eigener Handschrift. Sonst würden die Künstler nicht zu mir kommen. Ich versuche etwas mit den Künstlern zusammen zu entwickeln und ihnen nicht nur den Stempel aufzudrücken, sondern sie Künstler sein zu lassen. Dazu gehört auch, dass ich Mittler zwischen den einzelnen Parteien bin: Plattenfirma, Künstler, Textdichter. Bei mir sammeln sich die Wunschvorstellungen; das ist klassische Produzentenaufgabe.

Was erwartest Du denn selbst von einem guten Song oder von einem guten Produkt?
Ein guter Song muss zusammen mit dem Text eine Einheit sein. Was das ist, ist schwer in Worte zu fassen. Das Gefühl der Melodie, das Gefühl des Arrangements muss im Text widergespiegelt sein und umgekehrt. Die Bögen des Textes müssen auch in der Melodie stattfinden. Klassischer Weise geht im Chorus die Sonne auf! Das heißt, dass auch die Melodie da nach oben verläuft und vielleicht sogar ein Tonartwechsel stattfindet und der Text da auch die Pointe hat. Das macht mich in der Regel auch in Demos, die mir angeboten werden, am meisten an, diese Einheit von Text und Musik. Nicht zu unterschätzen: Der Faktor Zeit! Ein Lied, das erst nach zwei Minuten zum Refrain kommt, kann kaum eine Single werden.

Kriegst Du denn viel unangefordertes Textmaterial angeboten?
So ab und an schon. Meistens von neuen Leuten, die ins Geschäft kommen wollen.

Und wie wahrscheinlich ist es, dass man so einen Anfang zusammen bekommt?
Man merkt ja sofort, ob jemand mit Sprache umgehen kann und ein Versmaß begreift.  Und manchmal geb ich so jemandem auch die Chance sich mit einem Schimmel-Demo auszuprobieren. Die Silbenzahl ist oft ein Problem für Leute, die ungeübt sind. Eine Melodie wegen Silben ändern, das mache ich ungern.
Wie wichtig sind dir handwerkliche Kriterien? Achtet man überhaupt als Produzent auf Reim, Metrik und Phonetik? Oder geht’s eigentlich mehr um die Story, die Hookline und Punkt?
Die Story ist ganz wichtig. Und gute Hook-Zeilen wie „Dein ist mein ganzes Herz“, „König von Deutschland“ oder „Kribbeln im Bauch“ – jetzt hab ich wieder ein paar ältere Beispiele genannt – sowas passiert selten. Ich achte natürlich auch auf den Stil des Ganzen. Es muss vor allem zur Zielgruppe des Künstlers passen. Heutzutage finde ich Reimen nicht mehr unbedingt so wichtig. Das ist aber auch von Stil zu Stil unterschiedlich.

Wie könnte ein idealer Texter für dich aussehen?
Verschiedene Wege führen nach Rom. Ich habe viel mit Michael Kunze gearbeitet, für mich der Idealtexter in Deutschland. Wir haben lange Zeit nichts miteinander gemacht und haben durch das Abschiedsalbum von Daliah Lavi wieder zusammengefunden und dann gemeinsam ein Musical geschrieben. Er kann mit der Sprache so phantastisch umgehen, und das auch in verschiedenen Stilen. Und er findet immer wieder Worte und Geschichten, die bei mir eine Gänsehaut verursachen, weil es Begriffe sind, die ich so lange nicht mehr gehört habe. Bei jemandem, der so lange im Geschäft ist wie er und der schon so viele Erfolge hatte, wundert es mich umso mehr, dass er immer wieder Dinge findet, die ich so noch nicht kannte. Das ist erstaunlich. Es gibt etwa zwei Handvoll wirklich phantastische deutsche Texter, die ihre eigene Stilistik haben. An Frank Ramond mag ich, dass er als Textdichter gleich eine Vision hat und mitliefert für das Erscheinungsmerkmal des Künstlers. Auch mit Pe Werner zu schreiben ist ein totaler Spaß.

Wie fest kann eine Zusammenarbeit zwischen dir und einem Songtexter sein?
Es kann gerade für Popkünstler eine gute Lösung sein mit verschiedenen Songtextern an einem Album zu arbeiten. Aber natürlich gibt es auch die Ehen zwischen Künstler und Texter. Früher Gang und Gäbe, heute ist es seltener. Der Wunsch eines Künstlers, immer mal wieder was Neues zu probieren, ist meistens größer als die Nibelungentreue.

Was sind die ersten Schritte, wenn Du einen neuen Künstler aufbauen oder ein neues Projekt an den Start bringen willst?
Aktuelles Beispiel: Ich hatte immer mal Lust eine Art „Hippie-Pop“ mit deutschen Texten auszuprobieren. Pop mit Woodstock-Flower-Power. Jetzt hab ich eine Künstlerin kennen gelernt, die auch Lust darauf hat. Also suchen wir als nächstes den oder die geeigneten Textdichter, machen ein bisschen gemeinsames Brainstorming, lassen die Künstlerin aus ihrem Leben erzählen und nehmen das alles für die Basis ihrer neuen Karriere mit. Das ist ja alles noch im frühen Stadium, aber man versucht auch gleich ein inneres Bild zu erzeugen, wie der erste Fernsehauftritt aussehen könnte.

Das heißt, das Konzept steht, bevor man einen einzigen Song geschrieben hat?
Ja, das ist immer häufiger der Fall. Wenn man ins Fernsehen will, dann muss man selbst mit einer guten Idee kommen. Es muss ein Konzept dahinter stecken! Das Publikum, das du anpeilst – was hören diese Leute am liebsten für Musik? Und zweite Frage: Welche Musik gefällt mir selbst am besten? Wenn da eine Schnittmenge ist, dann versucht man dort zu landen. Die Kirchenchoräle, die ich verpoppt habe, waren das beste Beispiel dafür. Ich habe Texte von Paul Gerhard, einem Pfarrer aus dem 16. Jahrhundert, neu und jazzig vertont. Erstens weil ich ihn verehre und zweitens weil er im Erscheinungsjahr, nämlich 2007, 400. Geburtstag hatte.

Ab wann sollte man denn sinnvollerweise mit Künstleraufbau anfangen?
Man sollte bei einem Newcomer vorab mit ein paar zentralen Entscheidungsträgern reden. Dafür muss man nämlich auch überlegen, wo es stattfinden soll, also auf welchen Sendern und in welchen Shows. Ich erzähle also Menschen meines Vertrauens von meiner Idee und manchmal helfen mir Feedbacks mein Projekt ein bisschen zu verfeinern. Man fängt also relativ früh an mit Leuten zu sprechen, eine Idee einfach zu transportieren ohne dass die Gesprächspartner etwas zu hören bekommen. Einen Newcomer zu starten ist heute eben nicht mehr so leicht wie früher, als man einfach 30 Newcomer an die Wand geklatscht hat und davon blieben fünf oder acht hängen. Heute schaffen es von 50 Newcomern nur noch etwa drei.

Wie schützt du dich vor einem Burn-Out oder vor Ideenlosigkeit?
Das ist ein interessantes Thema. Ich bin jetzt 50 und habe in meinem Umfeld Kollegen ähnlichen Alters, die das Problem hatten. Ich weiß nicht, woran es liegt, dass ich bisher verschont geblieben bin. Ich hab immer viele Ausgleichsbeschäftigungen, bin totale Leseratte, mache viel mit meinen Kindern. Live-Musik, also nicht kreativ, sondern reproduziert, macht mir auch Spaß. Einfach viel zusammen spielen, auch Konzerte. Die Kompositionsphase wird immer unterbrochen durch irgendwelche totale Relaxing-Phasen. Den Freiraum gönne ich mir. Das ist aber kein Patentrezept, das muss jeder individuell handhaben. Von Michael Kunze habe ich gelernt: Wenn man viel schreibt, fließt auch viel mehr nach.

Wann fühltest du dich in der Branche angekommen?
Als die erste Goldene überreicht wurde. Oder schon früher: Als die ersten Platten in die Charts kamen. Ich habe sehr früh angefangen – mit 18 Jahren – die ersten Platten zu produzieren und zu arrangieren. Die erste Goldene kam mit 28. Heute, in der Zeit der Branchenkrise, die ja keine Konsumkrise, sondern „nur“ eine Verkaufskrise ist, muss man noch mehr als früher aufpassen, dass man sich nicht von Plattenverkäufen oder allgemein vom Erfolg abhängig macht, sondern auf verschiedenen Beinen steht.

Welche Rollen haben Verlage für dich und deine Karriere gespielt?
Nie eine große. Verleger haben mir nie Jobs besorgt und eigentlich auch die Songs nur selten verdealt. Meistens kam ich selbst mit den Künstlern an, die ich produziert habe, und hab dann auch die Songs mitgeschleppt. Mein jetziger Verlag BMG Rights Management  ist allerdings sehr gut vernetzt, gerade im Bereich Filmmusik. Das war mir aktuell wichtig.

Kann eine exklusive Verlagsbindung auch hinderlich sein?
Hab ich so noch nie erlebt. Man findet immer eine Lösung, wenn man wirklich zusammen arbeiten will.

Was tust Du sonst für dein Netzwerk? Bist Du gut organisiert?
Ich habe zwei Mitarbeiter, bin aber eigentlich jemand, der ganz gerne zuhause allein brütet. Organisiert in dem Sinne, dass jemand meinen Schreibtisch führt, nicht. Das muss ich schon selbst machen. Meine Frau hilft mir aber ein bisschen bei der Bürokratie…

Und Social Networks?
Die kosten zu viel Zeit und kreative Energie.

Und Songs schreibst du lieber im Studio gemeinsam mit den Bands oder Songtextern oder aus Distanz via Telefon und E-Mail?
Mal so, mal so. Wenn der Künstler beim Schreiben dabei ist, werden die Melodien anders. Das ist auch gut so. Letztlich müssen Künstler mit der Melodie länger leben als wir Schreiber.

Durch die „Popstars“-Jury wuchs das öffentliche Interesse an Deiner Person. Hat das deinen Job einfacher oder schwerer gemacht?
Ach, weder noch. Nun gut, ich hätte nicht von meiner Instrumentalplatte 40.000 Stück verkauft, wenn ich nicht Fernsehen gehabt hätte. Fernsehen ist immer noch die größte Plattform. Das war eine schöne Abwechslung für mich. Einen großen Nachteil sehe ich eigentlich nicht. Die Zeiten, als ich von Kindern und Jugendlichen belagert wurde, sind vorbei. Aber die Kids waren in aller Regel sehr sympathisch, das war kein großer Nachteil.

Was wünschst du dir noch von dieser Branche?
Vor etwa zehn, fünfzehn Jahren wurden unglaublich viele Fehler gemacht. Dinge wurden verschlafen, Hohlköpfe haben sich aufgeblasen. Inzwischen haben die klugen Köpfe in der Branche wieder die Oberhand bekommen und die richtigen neuen Wege beschritten. Was neue Künstler angeht, haben wir clevere Vermarktungsmechanismen und Plattformen kennengelernt. Die Geschichte von Lena Meyer-Landrut ist beispielhaft! Noch viel mehr davon wünsche ich mir, und auch dass das Live-Geschäft wieder einen Stellenwert bekommt wie in den 1960er und 70er Jahren. Und am meisten wünsche ich mir bzw. uns allen, dass sich das Rechts- und Unrechtsbewusstsein beim Klau von Musik durchsetzt.

Was würdest Du Nachwuchsautoren, in unserem Fall hauptsächlich Songtextern, am dringendsten mit auf den Weg geben? Was sollten sie mitbringen, wenn sie sich in dieser Branche ernsthaft, langfristig und nachhaltig etablieren wollen?
In einem Satz: Auch mal gegen den Strich gebürstet zu sein. Und versuchen im stromlinienförmig kommerziellen Musikmarkt mal eine ganz andere Note anzuschlagen. Das ist leicht gesagt, schwerer gemacht und am allerschwersten nachher abgekauft. Aber man muss das einfach tun. Du hattest mich vorher nach meiner Organisation gefragt. Natürlich bin ich organisiert. Ich hab hier meine Ideen-Ordner, sowohl auf dem Rechner, als auch auf Papier. Ein Texter sollte ganz viele dieser Ordner auch haben, und sie sollten prall gefüllt sein.  Mit Textideen, die nicht so stromlinienförmig sind. In Zukunft werden es diejenigen Künstler schaffen, die eine gewisse Angriffsfläche bieten.

Heißt das, wir haben jetzt nicht die schlechteste Zeit für gute Songtexter?
Ja klar, logisch. Immer wieder. Und es drängen ja auch immer wieder welche nach. Es gab noch nie so viel gute Musiker wie jetzt. Das ist mal eine schöne Begleiterscheinung von Castingshows. Und ich rede nicht nur von Sängern, sondern auch von Instrumentalisten. Die Kinder haben Spaß an Musik. Ich sehe es an meinen eigenen Kindern. Nicht nur die Quantität hat sich verbessert, sondern auch die Qualität. Das wird bei Textern nicht anders sein. Leute, die witzig mit Sprache umgehen, die wird es immer mehr geben. Man muss jetzt die Spreu vom Weizen trennen. Als Kreativer, als Produzent, als Plattenfirma. Das ist die Aufgabe.

Glaubst Du, man kann Textdichten lernen?
Ja. Man kann vor allem den Umgang mit der Branche lernen. Nämlich was die Branche will, was ein Produzent will, wie man eine Melodie am besten betextet. Das kann man lernen! Auch als Learning By Doing. Der Umgang mit Sprache, der ist schwer zu lernen. Den muss man in den Genen haben. Aber wenn jemand das Talent mitbringt, kann er definitiv mit Lernprozessen darauf aufbauen.

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