ExCellent durch die Krise – Kreative Wege in Zeiten des Lockdown (Teil II)

Von Turid Müller

Was machen eigentlich die Absolvent*innen der Celler Schule jetzt, wo die Spielstätten geschlossen sind? – Weiter! Aber oft auf anderem Wege…

Isabel Arnold und ihr neuer „Bühnenkollege“

HüperBel alias Isabel Arnold (Celler Schule 2019) bringt es auf den Punkt:
Was sie daheim in den Wahnsinn treibt, ist:

1)Stundenlange Telefonkonferenzen mit den Kollegen zu Fragen, die man normalerweise schnell mal im Büro bei einem Kaffee klärt

2)Die Kinder bei Laune halten, die natürlich viel lieber ständig Xbox spielen als Hausaufgaben zu machen.

3)Nicht selber Xbox ständig spielen können

Allerdings hat sie selbst in dieser Krise, wie sie sagt, eher kleine Sorgen und verrät, was ihr gut tut:

1)einen Bürojob zu haben und damit das Privileg, die eigene Existenz gerade nicht in Gefahr sehen zu müssen

2)den Freund als Bühnen- und Produktionspartner zu entdecken

3)mit dem Internet die ganze Welt erreichen zu können“

Jutta Wilbertz – Mord ist mehr als nur ihr Hobby

Wie sie dazu kommt? Sie plaudert aus dem Nähkästchen:

„Auf einmal waren wir jeden Abend daheim, kein Improtheater mehr spielen, Kein Stand-Up, kein Kabarett, nüscht. Man kann ja nicht ständig Xbox spielen. Comedy Kollege Berhane Berhane hatte die Idee, in einem Instagram Livestream ein paar neue Jokes zu testen, was eigentlich ganz gut funktioniert hat. Ich hatte dafür fix einen Quarantäne Macarena zusammengeschustert und den danach ins Netz gestellt. Den hatte ich dann – eigentlich nur als Sprachübung – ins Dänische übersetzt. Aber ein gelangweiltes Wochenende später hatten mein Freund und ich die Version aufgenommen und samt Video ins Netz gestellt. Ich glaube, das war zumindest auf Facebook mein bisher erfolgreichstes Video – mit deutschen Untertiteln.“
Auch Jutta Wilbertz (Celler Schule 2011) treibt sich vermehrt im Internet rum. Nicht nur zur Akquise neuer Gigs, sondern sozusagen auch in „krimineller Mission“ – sie schreibt Krimis. Aber natürlich auch neue Songs – wie zum Beispiel die Couch-Schnecke, in der sich vermutlich die Eine oder der Andere wiedererkennt… Und manchmal mischen sich auch ihre beiden kreativen Lieblingsfelder – und dann kommt ein Krimi-Song dabei raus.
Katie Freudenschuss (Celler Schule 2008) äußert sich im Rahmen von Livestreams und Challenges zur Situation. Zum Beispiel unter dem #weiterlachen beim WDR, bei Schmidt FLYX im SR2 Kulturradio und an der Seite von Gerburg Jahnke im Ebertbad Oberhausen. Heute (03.05.2020) um 19 Uhr gibt es dort auch ihr Solo zu sehen. Dienstag ist sie zu Gast in der Anstalt. Und Ende Mai / Anfang Juni erscheint ihr neues Album, das sie live im Schmidtchen aufgezeichnet hat.

Katie Freudenschuss – Viel unterwegs

Einige macht die Krise Erfinderisch und experimentierfreudig. So zum Beispiel Jens Wenzel (Celler Schule 2016): „So mies, wie diese Krise auch ist, hat sie für mich auch einige neue Impulse gebracht. Ich habe das Live-Streaming für mich entdeckt, da ich meine Show trotz des „Auftrittsverbots“ durchführen wollte und es mich gereizt hat, mit einfachen Mitteln meinen eigenen kleinen „Fernsehsender“ an den Start zu bringen. Ich bin zwar eher Audiomensch und kamerascheu, aber vor allem die Improszenen in meiner Show funktionieren besser, wenn man die Schauspieler*innen auch sieht.

Jenz Wenzel – Finale vom 1. Livestream

Ich plane gerade ein abgespecktes Format meiner Show, „Gerührt und geschüttelt – light“, in dem ich verschiedene Künstler vorstellen werde.
Außerdem unterstütze ich die Leute vom BühnenRausch beim Live-Streaming, so streamen wir morgen die Online-Dating-Improshow „Fake It“ auf Facebook. Auch wenn ein Live-Stream keine Bühne ersetzen kann, wichtig ist es einfach, kreativ zu bleiben und sich nicht von einem Virus ins künstlerische Handwerk pfuschen zu lassen.“
Wer die Premiere von Jens‘ Streaming-Aktivitäten sehen möchte, kann das hier. Improtheater, Musik, Talk – es ist eine bunte Mischung und funktioniert tatsächlich alles auch online.
Also: Wir sind und bleiben kreativ. Trotzdem ist bei weitem nicht alles rosig. Die staatlichen Hilfen haben zuweilen mehr Lücken als Netz. Die Gratis-Kunst im Internet könnte die Preise auf dem umkämpften Kulturmarkt noch weiter drücken und die Lage für alle noch prekärer machen als sie ohnehin schon war. Und auch die Dinge, die wir uns anhören müssen, sind seit der Krise nicht besser geworden. Zum Umgang mit uns Kreativen habe ich neulich mal in gereimten Worten Stellung bezogen. Das taugt vielleicht als Schlusswort.

ExCellent durch die Krise – Kreative Wege in Zeiten des Lockdown (Teil I )

Von Turid Müller

Was machen eigentlich die Absolvent*innen der Celler Schule jetzt, wo die Spielstädten geschlossen sind? – Weiter! Aber oft auf anderem Wege…

Mario Rembold

Mario Rembold, Celler Schule 2015, ist (im bürgerlichen Beruf) Wissenschaftsjournalist. Er betrachtet den Ausnahmezustand durch die Brillen seiner beiden Professionen, die auf unterschiedliche Weise vom Shutdown betroffen sind: „Mein Song Tausend Smileys und ein Herz entstand im heimischen Wohnzimmer (Wo sonst?). Was mach ich sonst so? Als Wissenschaftsjournalist schreibe ich und telefoniere auch schon mal mit Forschern. Da ich meist zuhause arbeite, ist das keine große Umstellung. Sorgen habe ich trotzdem, was meine Auftragslage in naher Zukunft betrifft. Vieles wird sich ja ändern, für jeden von uns. Erstmal ist wichtig, gesund zu bleiben und die Menschen um uns zu schützen.“

Aus professioneller Sicht aus der Welt der Wissenschaft hat er einen Wunsch: „Leider gibt es in den digitalen sozialen Netzen derzeit massenhaft selbsternannte Experten, die mit gefährlichem Halbwissen fragwürdige Thesen verbreiten und damit Klicks generieren. Als Wissenschaftsjournalist wünsche ich mir jetzt, dass wir ausnahmsweise mal alle auf die seriösen Stimmen hören.

Melvin Haack

Als Songschreiber und Bühnenbiologe will ich aber auch, dass wir dabei unseren Mut und Humor behalten. Momentan ist das Wichtigste: Meidet soziale Kontakte! Damit schützt ihr euch und eure Lieben. Aber hey: Ihr dürft trotzdem Spaß haben, mit Freunden videochatten, lustige Videos anschauen oder selber filmen. Seid kreativ oder fahrt einfach mal runter. Es gibt eine Welt nach SARS-CoV-2. Bis dahin lasst uns die Menschen um uns herum schützen, lasst uns gesund bleiben – damit es für all unsere Lieben auch ein Leben nach Corona gibt.“

Melvin Haack, Celler Schule 2016, ist in Wohlstandsquarantäne. Diese gibt ihm und seiner Band Schnaps im Silbersee aber ganz offenbar Zeit für neue Musikvideos.

Und da ist er nicht allein. Viele Kreative stehen statt auf der Bühne zurzeit im Netz.

Michael Krebs

So zum Beispiel auch Michael Krebs, Celler Schule 2003. Er hat einen Online-Channel live aus dem Wohnzimmer ins Leben gerufen, um in Kontakt mit seinem Publikum zu bleiben, und mich damit auf die Idee zu diesem Artikel gebracht. Er hat übrigens seit Neustem in einen Spuckschutz auf dem Flügel investiert. – Ich zitiere: „Irre, was man alles schafft, wenn mal mal gar nichts tut!“

Dagmar Schönleber, Celler schule 2018, ist in der Krise regelmäßige Gästin in der Geistershow vom Hoftheater Baienfurt, Samstags 20:15. Dort spielt sie das Lied der Woche zur Lage der Nation. Und sie war im WDR-Portal #weiterlachen zu sehen. Zur Frage, was sie von einem eigenen Live-Channel hält, sagt sie: „Ich selbst bin noch nicht live gegangen, werde das auch vorerst nicht tun, da ist dieses Überangebot und ich würde das jetzt auch nicht exzessiv betreiben wollen…“

Dagmar Schönleber (Foto: Ralf Bauer)

Stefan Noelle, Celler Schule 2009, sieht die neuen Blüten, die die Kulturszene in Corona-Zeiten im Internet treibt, kritisch: „Ich nutze die freiwerdende Zeit vor allem zum Üben. Mich zu verbessern, damit ich nach der Krise im Zweifel noch mehr gefragt bin, ist immer ein gutes Ziel. Zum Schreiben fehlte mir bis jetzt die Muße, denn Verschiebungen und Umbuchungen erfordern Zeit. Skeptisch bin ich gegenüber dem ganzen freien Content, der jetzt von uns Kreativen massiv ins Netz gedrückt wird. Ich halte das für eine gute Möglichkeit zur Klientelpflege, bezweifle aber stark, dass das tatsächlich eine dauerhafte wirtschaftliche Grundlage für ganz viele sein kann. Im Gegenteil befürchte ich da eher eine weitere Entwertung unserer Arbeit, wenn wir jetzt massenhaft zeigen, dass wir alle bereit sind, ohne Bezahlung schöne Sachen zu machen. Unser Publikum darf uns ruhig ein bisschen vermissen, oder? Dann will es uns danach um so mehr wiedersehen.“

Und ich (Celler Schule 2016, by the way)? Ich habe keine Lust, mich durch vermeintlich unbürokratische Anträge und dergleichen zu arbeiten. Und ebenso wenig möchte ich, dass die kreative Selbst- und Frendausbeutung nun online fortgesetzt wird (Stichwort „Honorar können wir leider nicht zahlen, wir zahlen ja schon das Kamera-Team…“). Lieber mache ich aus der Not eine Tugend und freue mich, endlich Zeit zu haben: Ich schreibe an meinen Musical-Projekten, und sitze an neuen Songs für mein Programm. Mein persönliches Experiment heißt „Crowdfunding„: Dieser Tage startet ein Blog, der meine virtuelle Bühne sein wird in dieser Zeit. Wer will, kann sich gratis inspirieren lassen. Wer möchte kann aber auch solidarisch sein und spenden. Wofür: Für neue Gedichte, Geschichten, Sprüche und Songs, die uns online durch die Tage der Isolation begleiten, und die hinterher auf die Bühne kommen. Dann, wenn es wieder geht. Und bis dahin gilt: #wirbleibenzuhause

 

 

Unsichtbar: Kinder & Jugendliche in Pflegeverantwortung

Von Turid Müller

Sie leben mitten unter uns. Und doch ist den Wenigsten bewusst, dass es sie gibt: Junge Pflegende. Eine Initiative setzt sich nun dafür ein, sie in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen. Ein Lied soll dafür sorgen, dass nicht nur der Kopf, sondern auch die Gefühle angesprochen werden.

Es ist das erste Mal, dass ich vor einer Fernsehkamera stehe, die sich nicht jenseits der Bühne im Publikum versteckt. Sie wird direkt vor meiner Nase sein. Etwas nervös steige ich mit Hanneli Döhner aus dem Taxi, das uns zum Drehort bringt: Der Wohnung von Julika Stich, der Gründerin von Young Helping Hands. Die Dokumentation, die heute um einige Szenen bereichert wird, bringt einen Beitrag über sie. Über ihr Leben, ihre Geschichte und ihr Engagement. In der Sendung wird es um junge Pflegende gehen. Eine Menschengruppe, die in Deutschland fast vollkommen untergeht. Sogar in Politik und Wissenschaft!

Die Tür schwingt auf und schon geht es los: Als ich Julika Stich und Janine Adomeit endlich persönlich kennenlerne (bislang haben wir lediglich telefoniert und gemailt) hängt bereits eine Tonangel über uns. Aber was sich in den ersten Minuten anfühlt wie Beobachtet-Werden, wird bald zur Gewohnheit. – Nicht zuletzt auch Dank des feinfühligen Film-Teams. Rund um die gemütliche Sitzgruppe entspannen wir uns in ein wirklich bewegendes Gespräch. Mein Wille, mich für diese Sache als Botschafterin einzusetzen, wächst immer mehr: Unfassbar, dass statistisch gesehen in jeder Schulklasse ein bis zwei Kinder betroffen sind! Und niemand weiß davon! Und das mit schwerwiegenden Folgen: Statt den Kids zu helfen, drohen Strafen für nicht gemachte Hausaufgaben und Schulschwänzen! Höchste Zeit, das öffentlich zu machen! – Und dafür sind wir schließlich hier.

Als erstes stimme ich mit meiner Morgenstimme und noch etwas wackelig in der vorm Frühstück erdachten Melodie den Song an, den ich am Vortag getextet habe. Die Reaktion überwältigt mich: Glänzende Augen. Ich bin sehr glücklich, dass es mir offenbar gelungen ist, die Essenz einzufangen. In Telefonaten und Mails mit Julika Stich und Janine Adomeit und mit Hilfe der bereitgestellten Informationen habe ich das für mich recht unbekannte Thema erforscht und in zwei Strophen, zwei Refrains und einer Bridge gebündelt. Gemeinsam diskutieren wir den Text und seine Wirkung. Die Musik soll ein Weg in die Herzen sein. Informationen allein sind nicht genug, um Menschen zu erreichen. Um sie zu bewegen braucht es mehr als den Kopf.

Es entspinnt sich ein Gespräch über die Wege der Öffentlichkeitsarbeit, die wir gemeinsam angehen wollen. Über die Probleme des Pflegesystems, das bislang oft übersieht, dass zu pflegende Personen Kinder haben, die ebenfalls Unterstützung benötigen. Und über die weiteren Dreharbeiten. Denn nach der ersten Ausstrahlung am 24.03. um 17:30 in der ARD in der Reihe Echtes Leben wird eine weitere, umfangreichere Version gesendet werden.

Wer vor März schon mal ein bisschen rein gucken möchte, kann das übrigens online tun: Auf der Facebook-Seite finden sich ein Einblick in die Dreharbeiten und viele informative Beiträge zum Thema. Teilen ist ausdrücklich erwünscht. Den es geht ja darum, #youngcarers ins Gespräch zu bringen. Und das scheint wirklich bitter nötig: Meine Facebook-Posts dazu jedenfalls haben so viel Resonanz erlebt wie selten zuvor! Es stimmt wohl wirklich: Viele Menschen haben etwas Ähnliches erlebt. Und viele von ihnen haben lange dazu geschwiegen. Die Gründe sind vielfältig. Aber so oder so scheint Austausch ein Bedürfnis zu sein. ‚Sorgen wir dafür‘, nehme ich mir vor, ‚dass Junge Pflege kein Tabu mehr ist!‘ – Nur dann ist es möglich, betroffene Familien angemessen zu unterstützen.

Als ich an diesem Tag nach Hause komme, habe ich viel gelernt. Ich bin berührt von der geballten Power, die ich heute erleben durfte. Und wild entschlossen, mein Amt als Botschafterin gut auszufüllen. Außerdem habe ich etwas über mich verstanden: Das ist mein Ding, meine ganz spezielle künstlerische Nische: Durch die seelische Brille, die ich als Psychologin nun mal aufhabe, auf politische und gesellschaftliche Verhältnisse blicken. Die Erlebnisse Betroffener in eine Form bringen, die sie mit ihren Erfahrungen abholt und diese einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht. Ich bin Dolmetscherin, die mit Texten und Tönen um Verständnis wirbt. Musikalische Lobbyistin für diejenigen, die in unserer Welt keine Lobby haben.