Genrekunde: Rock

Musik nur, wenn sie laut ist (Herbert Grönemeyer)

Der Begriff Rock kommt vom Rock ’n‘ Roll. Von dem, was heute unter Rock ’n Roll verstanden wird, hat er sich aber in alle möglichen Richtungen entfernt. Denn Rock ist ein schnelles Genre. Damit ist nicht das Tempo der Musikstücke gemeint, sondern seine Wandlungsfähigkeit. Ständig verändert sich das Genre, verzweigt sich, erfindet neue Stilrichtungen. Rockmusik entstammt der Jugendkultur – auch wenn inzwischen die Rock-Rebellen der ersten Generation selbst als Rock-Fossilien auf Bühnen stehen. Im Publikum der Rolling Stones grooven Oma und Enkel einträchtig nebeneinander. Viele Fans sind so alt wie die Rolling Stones selbst. Charlie Watts war Jahrgang 1941! Rockmusik war immer das, was – bezogen auf die jeweilige Gegenwart – innovativ, aufmüpfig und unangepasst sein und der Elterngeneration möglichst missfallen sollte. Das allerdings wird immer schwieriger angesichts von Eltern, die selbst schon mit Led Zeppelin, Black Sabbath, Jimi Hendrix und Frank Zappa aufgewachsen sind. Solche Eltern würde man mit volkstümlichem Schlager zuverlässiger provozieren.

Die Wurzeln des Rock liegen im Rhythm & Blues. Ein homogenes Genre war er schon in seinen Anfängen nicht. Aus dem frühen Rock ’n‘ Roll, für den z.B. Buddy Holly, Elvis Presley oder Bill Haley stehen, entwickelten sich bald erste Ableger. Und es dauerte nicht lange, da kam die erste Rock-Revolution. Sie ging von der britischen Insel aus, als die Rolling Stones und die Beatles ihren Siegeszug in die Welt antraten. Heute würde man viele Titel der Beatles eher dem Pop zurechnen. Damals aber waren sie wild und rebellisch – ganz zu schweigen von dem Aufruhr, den allein die Frisuren entfesselten! Heute kann man mit diesem Haarschnitt Minister werden. Rebellisch waren für damalige Verhältnisse auch die Texte und die Präsentation – wobei die Stones im Provozieren die Nase noch ein Stück weiter vorn hatten. Das Cover von Sticky Fingers mit seinem (echten!) Reißverschluss wurde Kultobjekt. Rocksongs griffen jetzt auch nach Tabuthemen wie z.B Sex (Let’s Spend The Night Together), oder Drogen – verspielt-verklausuliert wie in Lucy In The Sky With Diamonds oder knallhart wie in Sister Morphine. Die klassischen Songthemen bekamen immer öfter einen neuen, geerdeten Tonfall – ohne Blatt vor dem Mund: Angie, Brown Sugar, Dead Flowers. In den USA waren es einige Jahre später z.B. die Doors, die sowohl mit ihrer Musik als auch mit ihrer demonstrativ rebellischen Lebensführung Gemüter und Generationen polarisierten. Aber die Hintergründe waren andere. Jim Morrisons Vater war Admiral im Vietnamkrieg.

In den 1970ern begann die Schere zwischen dem rebellischen und dem ästhetisch ambitionierten Rock auseinanderzugehen. Da waren die Bands des Art Rock und Progressive Rock Genesis, Pink Floyd, Jethro Tull, Ekseption, Supertramp oder auch Stern-Combo Meißen und frühe Poprock-Acts wie Roxy Music oder David Bowie. Aus England kam der aufgedonnerte Glam-Rock, der alles auffuhr, was an Monumentalität und Show zu haben war und sich in exaltierten Kostümierungen gefiel – wie Slade, The Sweet oder T.Rex. Viele ihrer Songs sind längst Mainstream-Repertoire geworden – das Formatradio hat sie sich einverleibt und wir belächeln die schrillen Erscheinungen von damals. Anders als die meisten der rebellischen Bands jener Zeit und ihr musikalisches Bekenntnis: Punk, Hard Rock, Heavy Metal. Die waren musikalisch nicht ästhetisch-gefällig, sind es nie geworden und wollten es auch nicht sein. Vertreter dieser Richtung sind Black Sabbath, Led Zeppelin oder die Sex Pistols. Als Grenzgänger betrachten kann man Bands wie Uriah Heep.

Wie wenig all diese Zuordnungen von den Texten der Songs abhängen, zeigt das Beispiel eines Songs von Frank Zappa, den man sowohl mit seinen – meist vertrackten – Kompositionen als auch von seinen unverblümten Textaussagen her  nur der Gegenkultur zurechnen kann. 1979 aber erschien von genau diesem Rebellen ein Song, der sich musikalisch ausgesprochen gefällig gab: Bobby Brown. Textlich hatte der es in sich – bis hin zu grenzwertigen Sexualpraktiken. Aber bei unseren Radiosendern schien niemand diese Textinhalte sonderlich zur Kenntnis zu nehmen. Bis heute läuft Bobby Brown mit einer bemerkenswerten Nonchalance auf bürgerlichen Radiosendern. Wenn Sie Zeit haben: Laden Sie sich den Text herunter und übersetzen Sie ihn. Sie werden staunen.

Die 70er sind auch die Zeit, in der die deutsche Rockmusik selbstbewusst-selbstironisch die durchaus herablassende ausländische Bezeichnung Krautrock übernahm. Vieles davon hatte englische Texte – wie der psychedelische Endzeit-Rock von Eloy oder die jazzaffine Hamburger Band Frumpy mit ihrer Sängerin Inga Rumpf.  Aber auch deutsch Gesungenes machte sich bemerkbar: Ton Steine Scherben (mit Frontsänger Rio Reiser), Floh de Cologne – Bands mit explizit politischem Selbstverständnis. Udo Lindenberg und sein Panikorchester schafften 1973 mit Alles klar auf der Andrea Doria den Durchbruch. Auch Marius Müller-Westernhagen hatte seine ersten Erfolge. Mundart-Rock setzte weitere Akzente. Gegründet wurden auch BAP aus Köln, die Anfang der 1980er bundesweite Berühmtheit erlangten.

Die Übergänge zwischen Rock und Pop waren fließend und sind es noch. Rockmusik ging immer auch Verbindungen mit interessanten fremden Stilen ein – mit Reggae oder Rhythm ’n‘ Blues, mit Musik des Mittelalters, mit Rap und Hip-Hop, mit der Liedermacherei – sogar mit dem Musical. In der DDR war Rock mit deutschen Texten von Anfang an stärker verbreitet, da ein großer Teil des Auslandsrepertoires unerwünscht war und durch volkseigene Produktionen ersetzt werden sollte.

Hier war der Beruf des Songtexters auch im Rockbereich ganz selbstverständlich. In den 1980er Jahren dominierten einige wenige Texter fast das gesamte Textschaffen des Landes im Bereich Rock und Pop. Gerulf Pannach, Kurt Demmler (Nina Hagen, Karat, Puhdys, Lift) und der legendäre Werner Karma (alle frühen Alben von Silly, Holger Biege, Dirk Zöllner) sind die größten Namen dieser Zeit. Oft waren die eigenen Musikerzeugnisse der DDR-Rockszene nicht so linientreu wie gewünscht und wurden mit Sendesperre und ihre Interpreten mit Auftrittsverboten belegt. Manchmal waren die Texte unpolitisch, manchmal aber auch subversiv genug, um die Zensur gekonnt zu unterlaufen. Das Textdichterhandwerk entwickelte sich dadurch deutlich vielschichtiger und virtuoser als im Westen. Interessant, dass im Gegensatz zu dieser speziellen DDR-Situation im Bereich Rock heute kaum noch professionelle Textdichter unterwegs sind. In neun von zehn Fällen produzieren heutige Rock-Bands die Texte zu ihren Liedern selbst. Die Authentizität scheint es einzufordern und der Qualitätsanspruch der Szene hält es offensichtlich aus.

Namen, die man auf beiden Seiten der Mauer kannte, waren Panta Rhei (später Karat), die schon Ende der 1950er gegründete Klaus Renft Combo (später Renft)  (übrigens mit zahlreichen Texten von Gerulf Pannach, der auch im Westen als Kabarettist bekannt wurde), Nina Hagen oder Silly mit ihrer viel zu früh verstorbenen Sängerin und Songschreiberin Tamara Danz.

Für den deutschsprachigen Rock im Westen brachten die 1980er Jahre eher wenig Bewegung. Erfolgreichster Rock-Act Made In Germany waren die Scorpions. Immerhin wurden 1982 sowohl Die Ärzte gegründet als auch Die Toten Hosen. Spliff – ursprünglich auch eine Rockband – surften erfolgreich auf der Neuen Deutschen Welle mit und lösten sich später auf.

Zu Beginn der 1990er hießen die großen Namen des Deutschrock Grönemeyer und Westernhagen. Die Ärzte fanden nach vier Jahren Trennung wieder zusammen und die Böhsen Onkelz spalteten die Gemüter. In der späten Mitte des Jahrzehnts kam zunehmend Bewegung in die deutschsprachige Rockszene: Die Toten Hosen und Doro Pesch feierten nationale und internationale Erfolge, Rammstein schafften den internationalen Durchbruch mit ihrem zweiten Album Sehnsucht und spalten seitdem die Lager. Das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends ließ die Anzahl deutschsprachiger Rockbands förmlich explodieren und bereitete denjenigen, die es schon gab, endlich den Weg: Die Alben von Tocotronic, Madsen oder Kettcar stiegen in die Top 10 der Albumcharts ein, die Live-Szene entdeckte ihren Hunger auf Deutsch Gesungenes. Auch im Popkurs Hamburg oder an der Popakademie Mannheim eroberten deutschsprachige Bands und Acts immer mehr Raum. Inzwischen kann man sicher sein, dass – anders als noch bei der Neuen Deutschen Welle – deutschsprachige Rockmusik keine Modeerscheinung mehr ist, sondern Ausdruck einer neuen Identität, die ihre Ausdrucksmöglichkeiten kennt und nutzt und sich längst nicht mehr der englischen Sprache bedient, „weil man sich so schön dahinter verstecken kann“. Und auch die alten Recken erstehen wieder auf, wenn es sie denn noch gibt. So feierte auch Udo Lindenberg ein rauschendes Comeback. Peter Maffay hingegen war nie weg. Im Winter 2010 schaffte er seine 14. Nummer-eins-Platzierung in den deutschen Album-Charts, wenn auch nicht mit lupenreinen, aber doch rock-orientierten Alben.

Wenn es ein Genre gibt, das sämtliche Regeln über Bord werfen darf, dann ist es Rock. Brav und gefällig sein ist hier mit Sicherheit  der falsche Weg. Ecken und Kanten sind gefragt. Problemlos können Sie hier negative Themen ohne strategische Überlegungen auch negativ darstellen. Rockmusik darf pöbeln, beschuldigen, entblößen, polemisieren und brüllen. Sie darf sogar völlig unverständliche Texte bringen. Aber wenn sie etwas zu sagen hat, will sie auch verstanden werden. Und das kann schon rein technisch schwierig werden, wenn die Band mit 40.000 Watt jedes subtile Wort zudröhnt. Rockmusik braucht aber Lautstärke. Da helfen nur eine ausgefeilte Schlüsselworttechnik und Sätze, die unkompliziert genug sind, anhand dieser Schlüsselworte gedanklich ergänzt zu werden. Und schon wieder ist etwas schwieriger als es klingt. Denn die Inhalte, die Sie erzählen möchten, sind ja nicht unbedingt so schlicht, dass man die Schlüsselworte einfach so abspulen könnte.

Beim Reimen haben Sie es wiederum leicht. Die Lehre des reinen Reims dürfen Sie getrost ignorieren. Wahr ist aber auch, dass präzise Reime helfen, einen vielleicht nur unvollständig verstandenen Satz und seinen Sinn zu erschließen, indem man das Reimwort „versteht“, auch wenn man es nur halb hört. Bei den Betonungen und den Silbenzahlen hingegen müssen Sie aufpassen. Gibt es Passagen in Rockstücken, die Sie auch bei wiederholtem Hören nicht verstehen? Beschaffen Sie sich die Texte und lesen Sie die betreffenden Stellen. Es könnte sein, dass die Betonungen nicht denen der gesprochenen Sprache entsprechen. Oder dass mehr Silben auf der Musik liegen, als Ihr Ohr auseinanderhalten kann.

Der Authentizitätsanspruch in der deutschsprachigen Rockmusik ist hoch. Einer der Gründe, warum Tokio Hotel, die Killerpilze, Revolverheld und Konsorten von Teilen der Community nicht dem Rock zugerechnet werden, auch wenn sie es aus musikalischer Sicht sind. Einzelne Rockacts arbeiten auch mit offensichtlichen Rollenliedern, z.B. Rammstein, Knorkator oder Subway To Sally, selbst Heinz Rudolf Kunze. Wesentlich verbreiteter aber sind Songs, die die eigene Haltung ans Publikum herantragen oder auch das Lebensgefühl der eigenen Generation mit allen Spannungen und Brüchen heraussingen. Wenn die Rollenfunktion nicht sehr klar ausgestellt ist, wird man das, was Sie singen, in aller Regel für das nehmen, was Sie denken. Daher können Sie besonders von den verschiedenen möglichen Erzählperspektiven profitieren.

  • Rockmusik darf über alles singen und darf es in fast jeder Ausdrucksweise. Nutzen Sie Ihren Spielraum für außergewöhnliche Themen!
  • Falls Ihre Lieder in Rollen schlüpfen – sorgen Sie dafür, dass es unmissverständlich klar wird.
  • Wenn Ihr Song etwas mitteilen will: Unterstützen Sie Ihren Text mit Schlüsselworttechnik, damit man akustisch nicht verstandene Teile gedanklich ergänzen kann.
  • Überprüfen Sie, ob die Schlüsselworte eindeutig sind oder ob man auch etwas anderes darin hören kann, das nicht gemeint ist. Wenn Mehrdeutigkeit, dann sollte sie erkennbare Absicht sein.
  • Saubere Reime helfen Zusammenhänge erschließen, die akustisch nur halb ankommen.
  • Fassen Sie auch komplexe Zusammenhänge in möglichst einfache Sätze. Verschachtelter Satzbau kommt gegen Lautstärke nicht an. Auch zu schnelle Abfolge von Silben nicht.
  • Wählen Sie prägnante Hooks, die man auch bei hohem Schallpegel auf Anhieb versteht.
  • Seien Sie selbstkritisch, wenn es um Betonungen geht. Falsche Betonungen erschweren bei lauter Musik das Verstehen extrem!
  • Achten Sie auf klingende Phonetik! Stimmlose Konsonanten halten lautstarker Musik nicht stand.

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