Interview Jörg Hellwig – Der Labelchef
(zu Buchseite 28)

Jörg Hellwig

Jahrgang 1957. Ende der 1970er Jahre Ausbildung als Industriekaufmann bei der TELDEC. Firmenwechsel auf Anregung von Hans Scherer zur Ariola, dann CBS, Intercord unter Herbert Kollisch („Die Zeit mit dem größten Spaßfaktor“). Nach dem Verkauf von Intercord bei Polydor gelandet. Geschäftsführungsfunktion unter Wolf-Dieter Gramatke. Hellwig holt Tom Bohne und Jochen Schuster ins Team und gestaltet Polydor zum Pop-Label um. Nach der Jahrtausendwende Wechsel zu BMG, später Sony BMG und schließlich Sony Music. Unter seiner Führung Neuausrichtung des Labels Ariola zum MOR-Label. Seit 2010 Geschäftsführer von Koch Universal. www.kochuniversal.com.

Jörg, wie kann man sich heute Deinen Arbeitstag vorstellen?
Mein Arbeitstag befasst sich zum großen Teil mit Musik. Es ist nicht so, wie mancher vielleicht denkt, dass bei einem Labelhead nur Organisatorisches im Vordergrund steht. Wir sind ein kleines Team mit 25 Leuten. Da ist man in fast alles involviert. Ich beschäftige mich natürlich mit Koordinationsaufgaben, mit Investitionsentscheidungen, mit der Schwerpunktbildung unserer Arbeit. Da ist viel Kleinkram drunter, aber ganz zentral ist für mich auch die Akquisition neuer Künstler und auch das Abhören von Musikangeboten. Ich bin viel unterwegs und kontaktiere die Musikschaffenden um unseren Repertoirestamm zu erweitern.

Und wie verläuft in etwa der A&R-Prozess?
Da gibt es unterschiedliche Ansätze. Also einmal: Es kommt jemand und bietet ein fertig produziertes Band an. Das passiert heutzutage auch nicht selten. Da geht es eigentlich nur noch um die Entscheidung, ob man das Produkt für vermarktbar hält. Das ist eigentlich die einfachste Variante. Die zweite Möglichkeit ist, dass man einen unbekannten Künstler aufstöbert, der oft von den Produzenten und Songwritern angeboten wird. Natürlich greifen hier auch die bestehenden Netzwerke. Dann hört man sich gemeinsam die ersten Versuche an und diskutiert darüber, welches Potential man im Künstler sieht und welches im Repertoire. Im Idealfall konzipiert man dann gemeinsam so weiter, dass das Produkt eine gute Marktchance bekommt. Und dann gibt es natürlich noch den Fall, in dem ein Künstler lange Zeit nichts Neues gemacht hat, aber immer noch eine charismatische Figur abgibt und dringend wieder auf den Markt zurück sollte. Das passiert im Moment häufiger, weil es offensichtlich ein großes Interesse der Konsumenten gibt, ihre alten Heroes wiederzuhören, zu denen sie Vertrauen haben und mit denen sie positive Gefühle verbinden. Sowas mit neuen Songs ins Jetzt, Hier und Heute zu transportieren ist eine echte Herausforderung.

Was erwartet eine Plattenfirma von einem Song?
Der gute Song nützt nichts, wenn derjenige, der ihn transportiert, ohne Charisma ist. Aber wenn er die Menschen wirklich erreichen kann, dann muss der Song eine geschickte Mischung aus leichter Erkennbarkeit und schwachem  Abnutzungsgrad haben. Das ist aber auch das Schwierigste. Was ganz offensichtlich eingängig ist, nutzt sich normalerweise auch schnell ab. Der gute Song aber hat Nachhaltigkeit und Lebensdauer. Das gilt für jedes Genre. Schlager, die man nach 30 Jahren noch nachträllert, haben offenbar diese Nachhaltigkeit. So einiges, was heute produziert wird, hat das eben nicht. Natürlich steht das immer in Verbindung mit dem Text. Er muss merkfähig sein und auch ein kleines Überraschungsmoment drin haben.

Was erwartet Ihr denn von den Autoren, mit denen Ihr zusammen arbeitet?
Von den Autoren erhofft man sich, das sie individuelle Lösungen für die einzelnen Künstler finden und nicht in eine gut gefüllte Schublade greifen und denken: Na, da hatte ich doch schon mal irgendwas… Ich glaube, dass diese Auseinandersetzung mit dem Künstler, für den man arbeitet, ganz wichtig ist, und dass man sich immer wieder um Eigenständigkeit und Originalität bemühen muss.

Gibt es Texte, die man auf Verdacht anbieten kann? Was zeichnet die aus?
Das ist meiner Erfahrung nach schwierig. Meine Empfehlung an die Texter ist immer, nach passenden musikalischen Partnern zu suchen. Manches wirkt auf dem bloßen Blatt Papier vielleicht zu banal. Es erfordert eine enorme Phantasie, wenn der Text noch nicht – sei es auch nur als billigeres Demo – gesungen ist und von einer Melodie unterstützt wird. Ich glaube, ich habe noch nie irgendwo aus der Schublade einen Text gezogen und veröffentlicht.

Wie fest kann eine Zusammenarbeit mit einem Label sein?
Schon recht fest. Es gibt ja Autorengespanne, die schon seit vielen Jahren natürlich flexibel, aber doch sehr fest zusammen arbeiten. Der Textautor schafft es ja in der Regel, einen größeren Output hinzukriegen als der Komponist. Der hat einfach den größeren Aufwand und sitzt länger an Produktionen. Insofern wird sich der Textdichter mit mehreren Komponisten zusammentun können. Siegel/Meinunger schreiben seit weit über 30 Jahren eine Erfolgsgeschichte miteinander. Diese Partnerschaft wird es wahrscheinlich geben, solange die beiden überhaupt Musik machen, auch wenn Bernd Meinunger inzwischen auch mit vielen anderen arbeitet. Ich glaube, es ist ganz toll, wenn man weiß, wie die gegenseitigen Erwartungen so sind. Das erleichtert enorm die Zusammenarbeit. Unsere Aufgabe als Plattenfirma ist aber auch, immer mal wieder neue Leute zusammenzubringen.

Wäre das nicht eigentlich die klassische Verlagsaufgabe?
Doch, schon auch. Aber nicht nur. Am Ende geht es um das Erzielen von Ergebnissen und man kann nicht erwarten, dass ein Verlag sich jetzt genau in die Plattenfirma reinversetzt. Dafür haben wir ja auch unsere A&R-Manager – die Textdichter, Komponisten und natürlich Künstler kennen. Logisch, die sprechen auch die Verlage an, wenn sie Material brauchen. Die großen Casting-Projekte sind ja komplett davon abhängig, das Dritte irgendwas zuliefern. Das ist dann nicht sehr gezielt, sondern da hofft man, aus der großen Masse das Beste rauszufinden.

Und Labels können solche Aufgaben tatsächlich noch leisten bei der schrumpfenden Belegschaftszahl und der wachsenden Anforderung des Marktes?
Das ist tatsächlich schwierig geworden. Die Firmen versuchen natürlich auch die Zahl ihrer Releases im Zaum zu halten, was in Zeiten sinkender Stückzahlen nicht gerade einfach ist. Die einfachste Lösung wäre: Man hat wenige Künstler, die alle viel verkaufen… Wir arbeiten alle seit eh und je dran! Spaß beiseite – man braucht schon ein gutes Netzwerk von Zuarbeitern, sonst kann der A&R das allein nicht bewältigen. Als ich angefangen habe in dieser Branche, hat man sehr viel weniger Kontakt zu den Verlagen gehabt. Die gezielte Suche und Ansprache der A&R-Manager in den Verlagen passiert heute standardmäßig. Es gibt weniger Leute auf beiden Seiten, und diejenigen, die noch dabei sind, müssen umso konzentrierter versuchen, ihre Sachen nach vorne zu bringen. Dafür wirft man die Netze in alle Richtungen aus. Wir haben zum Beispiel De Randfichten unter Vertrag und dann heißt die Devise, wir brauchen nochmal den richtigen Hit, also bestenfalls einen Gassenhauer wie den Holzmichl. Dann können wir den Act richtig nach vorne bekommen. Das ist dann eine klare Aussage für den A&R. Also, es ist gar keine schlechte Zeit – auch für Songtexter, aber man muss initiativ und ein guter Networker sein.
Was tun Songwriter so alles, um auf sich aufmerksam zu machen?
Für die sind Verlage und  A&R-Managern schon die wesentlichen Partner. Dann gibt es heutzutage Songwriter-Camps und ähnliches, das hat es ja früher alles gar nicht gegeben. Es wird viel gejammert in der ganzen Musikwelt, aber eigentlich sind die Firmen schon einfallsreicher geworden. Es gibt keinen Königsweg. Der hängt auch vom Charakter jedes einzelnen ab. Aber wer denkt, ich kann eigentlich gut texten, der ist aufgefordert sich unter die Menschen zu begeben; muss Künstler kennenlernen, Klinken putzen. Die Branche ist ein Marktplatz.

Warum reiben sich Künstler bzw. auch Autoren und Label-Menschen so oft?
Weil die Interessenlage unterschiedlich ist. Die Aufgabe der Plattenfirma ist es zu schauen, was draußen vermarktbar ist. Der Künstler hat natürlich seine ganz eigene Perspektive, wie er den Markt sieht. Er ist weniger objektiv, was ein großer Vorteil sein kann, weil es ihn unabhängiger macht von Sachen, die es schon gibt. Aber teilweise ist es natürlich auch hinderlich, weil er Gefahr läuft die Realität zu verkennen. Außerdem vertritt der eine eine größere Firma und der andere seine ganz persönlichen Interessen und kehrt dabei auch noch sein Innerstes nach außen. Dass das zu Reibung und unterschiedlichen Ansichten führt, ist eigentlich völlig logisch. Das liegt in der Natur der Sache. Und deshalb ist ja die Aufgabe eines Labels, auch diesem Künstler klarzumachen, wie der Markt funktioniert und seine Kraft auf die Straße zu bekommen. Positiver Austausch ist wichtig. Der Künstler muss sich verstanden fühlen. Dann muss man auch keine Angst vor Reibung haben. Das ist nun mal kein konfliktfreies Geschäft.

Als Songwriter ackert man erfahrungsgemäß länger für den Erfolg als als Label-Mensch, zumindest in den Major Firmen. Dafür bleiben Label-Menschen meist unbekannt. Mit welchen Charakterzügen ist man wo gut aufgehoben?
Wenn ein Label-Mensch gern berühmt werden möchte und im Grunde ein verhinderter Bühnendarsteller ist, dann lebt er gefährlich. Es ist nun mal ein klassischer Job hinter der Bühne. Man kann zwar eine gewisse interne Branchenaufmerksamkeit erfahren, aber keine für die breite Öffentlichkeit. Es sei denn, man heißt Thomas Stein und wird Fernsehstar. Aber das ist bislang noch die Ausnahme…

Aber gibt es nicht viele verhinderte Musiker unter den Label-Menschen?
Das ist die Frage, ob das verhinderte Musiker sind, oder ob die einfach erkannt haben, dass sie andere Stärken haben. Musikkompetenz ist ja nicht hinderlich in diesem Beruf – die ist durchaus von Vorteil. Man sollte aber versuchen, den Künstler, mit dem man arbeitet, nicht als Alter Ego zu betrachten oder bei ihm durchzusetzen, was mir selbst nicht geglückt ist. Das wäre ein schlechter Ansatz. Aber wenn es darum geht, persönliche Erfahrungen und Musikbegeisterung mitzubringen, dann sehe ich das ähnlich wie bei einem Fußballtrainer. Der will ja auch nicht mitspielen. Er hat vielleicht mal gespielt, aber längst erkannt, dass da jetzt andere laufen und dass es seine Aufgabe ist denen zu erklären, wie sie das am besten machen. Genauso oft gibt es Autoren, die von sich sagen: Eigentlich könnte ich auch besser singen als derjenige, für den ich da schreibe. Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man die Rolle, die man hat, auch zu 100% annimmt und nicht versucht, eine, die man nicht bekommen hat, auf diesem Umweg zu erfüllen. Das lässt einen diese Arbeit auch nicht gut machen. Es gibt in den Plattenfirmen sehr große Selbstdarsteller und genauso die eher zurückgenommenen Leute. Und alle haben auf ihrem Posten hoffentlich ihre Berechtigung. Wir sind schon auf der Service-Seite unterwegs.

Gab es mal eine „ideale“ Zusammenarbeit in deiner Karriere? Ein Fallbeispiel fürs an einem Strang ziehen und zum Erfolg kommen?
Eigentlich oft. Wenn ich heute die Mitglieder der Gruppe PUR treffe, dann haben wohl beide Seiten das Gefühl, dass man damals irgendwie die richtigen Dinge zusammen gemacht hat. Die Zusammenarbeit mit Peter Maffay bei Ariola war genauso beispielhaft. Das ist ja schwierig für einen Künstler, der schon 40 Jahre dabei ist, immer noch auf der Höhe der Zeit zu sein. Aber Peter schafft das. Er hat auch ein gutes Umfeld. Der Produktmanager und ich waren seine Ansprechpartner. Da mussten keine Riesenmeetings gemacht werden; der Erfolg hat uns Recht gegeben. Es gibt noch viele andere Beispiele. Ideal – was betrachtet man als ideal!? Wenn es völlig konfliktfrei ist und alle anderen das tun, was man will? Das ist auch nicht die Lösung. Meistens ist es ja so, dass die Einwürfe, die von anderer Seite kommen und die es einem so unbequem machen, auch wichtig sind und Dinge voran bringen. Optimierung bedeutet auch immer Reibung. Ich habe eigentlich Glück gehabt. In den ganzen Jahren hatte ich oft Gelegenheiten, mit Künstlern zusammenzuarbeiten, mit denen das Spaß gemacht hat. Vielleicht hab ich auch ein dickes Fell.

Wie oft begegnest Du Menschen mit überzogenen oder unrealistischen Vorstellungen?
Das kommt häufig vor. Das hat ja auch oft was mit Verhandlungstaktik zu tun: Der eine fordert viel und der andere bietet wenig. Und dann mal sehen, wo man sich trifft. Viele Künstler tun sich schwer, weil sie die heutigen Marktverhältnisse nicht kennen. Da finden wir oft unrealistische Vorstellungen. Aber so, dass man die Hände über den Kopf zusammenschlägt, das habe ich selten gehabt. Ehrlich gesagt, wenn man von irgendwas inhaltlich überzeugt ist, dann hat man immer irgendwie einen Weg gefunden. Manches ist nicht aufgegangen und dann ist es im Nachhinein natürlich überzogen gewesen. Es ist aber nun mal ein Hochrisikogeschäft, das wir betreiben. Wir können uns nicht wie ein Autohersteller fünf Jahre lang die Mühe machen, Modelle zu testen. Bei uns passiert ganz vieles aus dem Bauch heraus.

Musikindustrie im Wandel der Zeit: War es immer so eine Berg- und Talfahrt wie heute?
Im Nachhinein wird die Zeit gerne mal schöner gemalt, als sie war. Als ich angefangen habe, war das eine ganz üble Zeit. Da waren Entlassungen und Marktrückgang schon einmal im Gange. Wir müssen nur mal in die Statistiken gucken: 1979/80/81, das war eine Scheißzeit für die Musikindustrie! Die hat dann einen enormen Aufschwung erst mit der Einführung der CD erfahren und dann nochmal durch die Wiedervereinigung. Zwei Effekte, die den Markt auf unnatürliche Art und Weise angetrieben haben. Das war ja nicht von Inhalten getrieben, sondern durch technologischen Wandel und durch Vergrößerung des Vertriebsgebietes. Aber Budgets gab es schon immer und man hat schon immer diskutiert über Kosten. Insgesamt war das Niveau in den 1990ern höher, aber es ist auch nicht so, dass man sich damals jeden Tag auf die Schulter gehauen hätte. Man hat vielleicht schneller was umgesetzt ohne es genauer zu durchdenken. Der Markt hat viel angenommen zu der Zeit. Es war alles etwas weniger fundiert. Man hat Projekten gerne den Vorrang gegeben anstelle von Künstlern, und Marketing rückte extrem in den Vordergrund. Immer wenn der Gürtel enger zu schnallen ist, dann fängt man an, sich wieder intensiver mit dem Inhalt auseinander zu setzen. Das ist der positive Effekt jeder Krise.

Als wie gesichert (etabliert) empfindest du dich selbst innerhalb der Branche?
Ich hab mir nie existenzielle Sorgen gemacht. Im Gegenteil – ich bin immer wieder persönliche Risiken eingegangen, habe meinen Arbeitsplatz des Öfteren aus völlig freien Stücken gewechselt, häufig mit dem Gefühl: Ich kann noch irgendwas dazulernen, will nochmal was anderes wissen. Das hat mir immer das Gefühl gegeben, dass ich mich ganz gut auf eine neue Situation einstellen kann. Das lässt mich cool bleiben. Wie sicher ein Arbeitsplatz ist, kann sowieso keiner sagen. Man kann nur darauf vertrauen, genug Rüstzeug zu haben, um damit gut durchs Leben zu kommen. Ich habe mit dem Erwachsenen-Markt mein Feld gefunden und da empfinde ich eine gewisse Wertschätzung innerhalb der Branche. Auch wenn ich niemals geglaubt habe, dass es ohne mich nicht geht. Das wäre Quatsch.

Was sollten A&Rs anders machen als sie es heute (im Durchschnitt) tun?
Solche Generalaussagen will ich nicht machen; ich bin ja ein Teil des Ganzen. Erst mal ist es wichtig, dass eine Plattenfirma überhaupt diesem Zweig A&R eine große Wichtigkeit einräumt. Wir kennen dieses Image, das früher kolportiert wurde: Das sind die Jungs, die spät ins Büro kommen und sich’s abends auf Firmenkosten gut gehen lassen. Das ist Blödsinn, denn A&R das ist ein verdammt anstrengender Job, bei dem man immer im Fokus ist. Die permanente inhaltliche Auseinandersetzung ist, glaube ich, das Wichtigste. Nur signen, was mir angeboten wird, ist einfach zu wenig. Zu unserem Geschäft gehören auch immer wieder Ideen, die am Reißbrett entworfen sind. Ein Beispiel: Irgendjemand hatte die Idee, vier Tenöre zusammenzustellen, die deutsche Hits im Crossover-Style singen. Das ist eine konzeptionelle Idee. Die wurde aber nicht in einer Plattenfirma geboren, sondern in einem Studio. Das sind eigentlich die Ansätze, die in einem noch stärkeren Maße aus den Firmen heraus kommen müssten. Und das ist nicht so einfach bei einem nicht mehr so großen Personalstamm und den Aufgaben, die man sonst noch hat, vorrangig der Versorgung der bereits unter Vertrag stehenden Künstler mit Repertoire. Ansonsten ist A&R ein Job, bei dem es schon immer darauf ankam, das man Kompetenz und Fingerspitzengefühl hat, mit Menschen umgehen kann, ein gutes Feeling für Vermarktbares hat und das Ganze auch noch dem Künstler vermitteln kann. Das war vor 50 Jahren nicht anders als heute. Nur müssen die heutigen A&R-Manager noch viel besser rechnen können als früher.

Wie wichtig sind die handwerklichen Kriterien im Songtext heutzutage? Achtet man überhaupt darauf?
Auf die Texte wird geachtet – oder sollte geachtet werden! Bei deutschem Liedgut ist der Text ganz, ganz wichtig. Oft genug sitzt man da und denkt: Mensch, das ist textlich ein bisschen dünn! Die Zielgruppe 40+, die eine Zeitlang kaum deutschsprachige Musik gekauft hat, die also mit der internationalen Musik der 1970er und 80er groß geworden ist – jetzt plötzlich werden diese Menschen auch von deutschen Produkten angesprochen. Von Gruppen wie Ich+Ich, von einem Roger Cicero und anderen. Und da geht es eben ganz zentral um die Texte und deshalb muss da der Anspruch auch einfach höher sein. Auch beim Schlager sehe ich noch Potential. Ich glaube, dass die anspruchsvolleren Zielgruppen durchaus ansprechbar sind auch für den Schlager, wenn er denn gut gemacht ist. Und das hat sehr viel mit den Inhalten zu tun. Das darf alles nicht peinlich sein. Es gibt natürlich den Partyschlager, aber da, wo ich Wachstum sehe, steht eine etwas anspruchsvollere Zielgruppe, die man sich neu erschließen muss für diesen Markt. Und deshalb glaube ich, den Textern wird die Arbeit nicht ausgehen. Das ist ein Beruf mit Zukunft!
Die Marktlage zwingt den Textdichter leider dazu, einen relativ großen Output zu generieren, und die Masse kompensiert dann das, was früher vielleicht einzelne Sachen erreicht haben. Das ist natürlich eine schlechte Entwicklung. Es gibt aber genügend Beispiele, die in den letzten Jahren im großen Stil durchgestartet sind, und die waren alle deutschsprachig. Das war alles sehr textlastig und hat anscheinend ganz neue Zielgruppen ansprechen können. Für die Textdichter sollte das eigentlich sehr motivierend sein.

Was würdest Du Nachwuchs-Autoren, die jetzt am Anfang stehen, am dringendsten mit auf den Weg geben? Was sollten Songtexter mitbringen, wenn sie sich in der Branche ernsthaft etablieren wollen?
Sie sollten versuchen eine eigene Handschrift zu entwickeln. Das hängt natürlich immer mit den Interpreten zusammen, für die ich schreibe. Es muss jemand da sein, der meine Worte in der entsprechenden Art und Weise transportiert. Aber mir fehlt das gute Storytelling bei den Texten. Fast immer wenn das jemandem gelingt, wird es auch angenommen. Das war schon in den 1970er Jahren so. Die erfolgreichen deutschen Songs waren häufig kleine Geschichten, waren einfach origineller als der Rest. Das hatte tatsächlich eine Menge mit dem Handwerk und mit der richtigen Idee zu tun. Und vielleicht auch mit dem Nicht-zu-schnell-zufrieden-sein. Natürlich ist man schnell mit seinem Text in einem Fahrwasser, in dem das eine vom anderen kaum unterscheidbar ist. Und dann bleibt am Ende eben nicht ein Song übrig, sondern im besten Fall ein Interpret, aber der wird nicht mehr so mit seinen Songs identifiziert wie früher. Das belegt der Blick in die Zeitung. Früher stand da Roy Black („Ganz in weiߓ). Wenn man hinter den heute erfolgreichen Interpreten in Klammern einen Song schreiben will, dann muss man aber echt überlegen… Diese großartigen Zeilen, das ist schon etwas, wofür noch gekämpft werden muss.

Ist die Branche besser als ihr Ruf?
Ja! Der Meinung war ich schon immer. Die Musikbranche ist so ähnlich wie Fußball; es hat jeder eine Meinung dazu. So wie es 80 Millionen Bundestrainer gibt, so gibt es auch extrem viele A&Rs draußen. Die Musik hört man überall, also kann sie auch jeder kommentieren. Ich hab das immer als eine Industrie empfunden, in der viele Leute wirklich hart arbeiten, die teilweise ihr ganzes Leben mit viel Herzblut, großem Engagement und großer Hingabe in den Dienst ihres Jobs stellen. Dass man unsere Produkte einfach digitalisieren kann, ist eben unser Pech. Es ist nicht so einfach, sich dagegen zu wehren, wie manche Menschen glauben. Die Filmindustrie merkt‘s gerade.

Ich war mal auf einem Seminar mit lauter Bankern und Menschen aus anderen Industrien. Ich saß da, damals als Marketinghead von der Intercord, und zum Schluss dieses teuren Seminars mit Top-Professoren usw. hat jeder ein bisschen was aus seiner Branche gezeigt. Ich hatte zwei Videos mitgebracht, die wir damals gerade gemacht hatten, und musste mit einer 30.000-Mark- und einer 60.000-Mark-Produktion gegen Spots anstinken, die im Rahmen von 500.000 Mark lagen. Die Leute haben das alle nicht fassen können, mit welchen finanziellen Mitteln wir unsere Umsetzungen stemmen müssen und wie gelungen die trotzdem oft sind. Und da hab ich gewusst: So blöd sind wir eben doch nicht! Wir produzieren sehr viele Produkte pro Jahr und müssen die alle verpacken. Manche gelingen besser, manche schlechter. Aber manche Ergebnisse sind stilbildend sogar für andere Industrien. Es gibt sicherlich Dinge, die zu bemängeln sind, aber diese Industrie lernt aus jeder Krise, auch der aktuellen. Wir sind immer noch da. Und werden auch da bleiben!

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