Warum deutsche Liedtexte Zukunft haben

Gekommen um zu bleiben (Wir Sind Helden)

Englischsprachiges Repertoire macht den Großteil dessen aus, was aus Lautsprechern aller Art auf uns einschallt. Es hat immer noch die Macht im Markt und in den Medien. Ist Erfolg immer noch englisch?

Durch unsere Kulturgeschichte geht ein Riss. War unser Liedgut noch vor der Zeit des Nationalsozialismus – und bis zu seinem Ende – nahezu ausnahmslos deutsch, so änderte sich dies nach dem zweiten Weltkrieg abrupt. Viele alte Lieder waren vom Nationalsozialismus vereinnahmt worden, zahllose neue mit verdeckten oder offenen propagandistischen Absichten unters Volk gebracht.

Die englischen Songs waren die Musik der Befreier. Sie spiegelten ein neues Lebensgefühl. Gleichzeitig stand diese Musik  für den demonstrativen Bruch mit dem Nationalsozialismus, in dem sie als „Negermusik“ unter Strafe verboten war. Nebenher erwies sich diese Negermusik (ein Schimpfname, der das Kriegsende weit überlebte) als ausgezeichnetes Mittel, eine Elterngeneration zu provozieren, welche weder die Musik dieser Songs mochte noch ihre Sprache verstand. Diese Elterngeneration wandte sich einer Fülle deutscher Schlager zu, die man heute zu einem großen Prozentsatz als Heile-Welt-Kitsch bezeichnen würde. Die erwachsenen Menschen – besonders die älteren unter ihnen – hatten mehr als genug von Elend und Problemen. Viele wollten sich auch einfach nicht mehr mit der beklemmenden politischen Vergangenheit befassen, die ja auch die eigene war und kein Ruhmesblatt. Lieber duckte man sich weg, freute sich am lange ersehnten Frieden, genoss den bescheidenen Wohlstand und betrieb die Flucht in die private Idylle.

Der Aufstand gegen die neue alte Spießigkeit hieß Rock ’n‘ Roll. Wobei diese Lieder nicht einmal politisch waren. Sie waren bloß englisch. Die politischen Inhalte im großen Stil kamen erst gegen Ende der 60er Jahre: eine erste Generation ohne eigene Kriegsvergangenheit war erwachsen geworden und versuchte die Auseinandersetzung mit einer Generation zu erzwingen, die dieser Auseinandersetzung immer noch aus dem Wege ging – inzwischen mit dem Argument, es müsse endlich ein Schlussstrich gezogen werden. Währenddessen hatten die USA in Vietnam schon wieder einen neuen Krieg begonnen.

Die politischen und gesellschaftskritischen Inhalte amerikanischer Songs sprangen über auf Deutschland. Das Genre der Liedermacherei wurde geboren. Und es war deutsch.

Die Wortschöpfung reklamiert Wolf Biermann für sich: „Sie wissen ja, man nennt mich einen politischen Liedermacher. Dieses verschlissene Unwort, ich gebe es ungern zu, habe ich Anfang der Sechziger Jahre in die deutsche Sprache gesetzt. In Anlehnung an Meister Brechts Understatement-Wort vom Stückeschreiber suchte ich nach einer handwerkeligen, nach einer proletkultigen Berufsbezeichnung. (…) Es entsprach dem Geschmack der umerzogenen Demokratieschwätzer, die wir auch im Osten waren, bescheiden zu tun. Es sollte so aussehn, als würde jeder parteifromme Traktorist auf Walter Ulbrichts Bitterfelder Weg von den Musen hinterm Kuhstall der LPG abgeknutscht.“

Es ging nicht mehr allein darum, ein anderes Lebensgefühl zu demonstrieren. Es gab etwas zu sagen. Und man wollte verstanden werden –  von möglichst vielen. Auch von denjenigen, die kein Englisch konnten – und das waren damals noch viele. Auch in den eigenen Reihen sollten die Lieder Identität stiften. Und das taten sie. Wolf Biermann, Franz Josef Degenhardt, Hannes Wader oder auch die Rockband Ton Steine Scherben (aus der später Rio Reiser als Solist hervorging)  führten die Reihen der politischen Sänger an. Reinhard Mey erreichte mit klaren, aber betont pazifistischen Aussagen auch diejenigen, deren Herz links schlug, denen aber die Studentenrevolte mit ihrer Gewaltbereitschaft Angst machte. Daneben gab es groteske Gestalten wie den rechten „Liedermacher“ Gerd Knesel, der (allerdings nicht von ihm selbst getextete) „Lieder gegen Links“ in perfektem Liedermacherhabitus darbot, aber nach wenigen Jahren und kurzlebigem Exotenbonus sang- und klanglos abtrat.

Sogar auf den Schlager der 70er färbte die Liedermacherei ab. Selbst eine Drogenkarriere wurde zum Schlagerthema – in bester pädagogischer Absicht, aber auch mit den leicht hysterischen Vorurteilen derjenigen, die Kiffen nur vom Hörensagen kannten: „Doch aus den Joints, da wurden Trips – es gab keinen Halt auf der schiefen Bahn...“ heißt es in Am Tag, als Conny Kramer starb. Auch die so genannte wilde Ehe wurde im Schlager thematisiert (z. B. In den Augen der andern) – letztlich aber mit Zugeständnissen an die bürgerliche Haltung. Von freier Liebe war keineswegs die Rede.

Manchmal allerdings wagte sich der Schlager auf gesellschaftskritisches Terrain und riskierte Gegenwind beim eigenen Publikum – das traditionell zum konservativen oder unpolitischen Lager zählt. Hier tat sich besonders Udo Jürgens hervor: Lieb Vaterland war ein handfester Skandal. Udo Jürgens überstand ihn und stieg in der Achtung vieler, die ihn unterschätzt hatten. Allerdings wurde ihm auch Anbiederei vorgeworfen.

Daneben wurde deutsch geblödelt, mit politischem Unterton oder ohne: Ulrich Roski, Insterburg & Co, Gebrüder Blattschuss, Schobert und Black, Otto Waalkes und viele andere.

Längst hatten angloamerikanische Musikeinflüsse sich etabliert. Für die – immer noch zahlenstarke – Hörerschaft ohne Englischkenntnisse wurden internationale Hits in deutsche Versionen übertragen oder mit ganz neuen Inhalten versehen – häufig schlagerkonform. So wurde aus einem Song der Gruppe T-Rex mit unverhohlen sexuellem Touch („Well you’re dirty and sweet…“) in der deutschen Version das weichgespülte Sie ist jung und sie heißt Jeannie. Die Musik wurde ebenfalls entschärft. Von Provokation keine Spur mehr.

Dass die Songs, die wir hören und (mit-) singen, mehrheitlich der angloamerikanischen Kultur entstammen, ist bis heute so geblieben. Eine latente Feindseligkeit gegen deutsche Texte auch. Besonders in den späten 80ern und die ganzen 90er hindurch saßen die Schlagerhasser in den Rundfunkredaktionen und an den A&R-Schreibtischen der Tonträgerindustrie. Die Liedermacher hatten ausgedient und bis auf wenige Einzelexemplare abgedankt. Und die Neue Deutsche Welle Anfang der 80er war eine Welle geblieben, die verebbte, wie sie kam.

Ursprünglich war diese NDW Nischen- und Untergrundmusik. Sie entstammte Punk und New Wave und war eher kantig und eigenwillig als glatt. Was dann die deutsche Öffentlichkeit erreichte, war für diese Öffentlichkeit bereits gestutzt, geglättet und gefönt. Trotzdem war diese neue, synthetisch-kühle, teils ironische oder einfach nur intelligent-spaßige Musik reizvoll genug, um große Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Nur nutzte sich diese Aufmerksamkeit bald ab. Vielleicht fehlten auf die Dauer Tiefe und Authentizität. Von den Autoren dieser Bewegung haben etliche überlebt und sich anderen Genres zugewandt. Von den Interpreten und Bands hielten sich hingegen nur wenige (z.B. Nena). Wie bei den Liedermachern übrigens auch. Einige Vertreter der NDW kamen mit der Auferstehung des Schlagers nach der Jahrtausendwende wieder zum Vorschein. Aber damals – in den 1980ern – da gab es noch etwas anderes: Im Windschatten der Neuen Deutschen Welle wuchs eine Fraktion, die ihr nicht richtig angehörte, aber auch den Liedermachern nicht – obwohl sie inhaltlich eine Menge mitzuteilen hatte. Dies waren z.B. Ulla Meinecke, Herbert Grönemeyer, Heinz Rudolf Kunze, Pe Werner, Thommie Bayer. Bis in die 1990er hinein hatten hielten ihre Erfolge an, bei einigen sogar weit darüber hinaus.

Gleichzeitig kam das Musical in Deutschland auf, beginnend mit Cats (Premiere in Wien 1983, in Hamburg 1986). Es folgten zahlreiche andere Übersetzungen von Erfolgsmusicals – vorwiegend aus London und New York. Parallel dazu wagten erste deutsche Autoren Musicals, die keine übersetzten Auslandswerke mehr waren – oft Produktionen an kleineren Häusern oder von freien Gruppen, wo man schon aus finanziellen Gründen auf Ideen setzen musste, die ohne viel Ausstattung auskamen.

Das wiedervereinigte Deutschland erlebte nicht nur einen Boom amerikanischer Produkte (vom Fast Food bis zum Putzmittel). Das deutschsprachige Repertoire war in den Radio- und Fernsehsendern auf dem Tiefstand des Jahrhunderts angelangt. Erst gegen Ende der 90er wandelte sich das Bild. Die Club- und Live-Szene registrierte es zuerst. Rock- und Popbands mit deutschen Texten holten auf. In den Medien fand aber kaum etwas davon statt. Die präsenten Interpreten im deutschen Radio hießen Grönemeyer, Westernhagen, Maffay und vielleicht noch Die Fantastischen Vier oder PUR – dazwischen Einzelereignisse wie Verdammt, ich lieb dich mit Matthias Reim oder mehrheitsfähige Grenzgänger wie die Münchener Freiheit.

Und dann – scheinbar aus dem Nichts – tauchten neue Namen, Gesichter und Stimmen auf und wurden immer zahlreicher. 1995 kam Sabrina Setlur, gut ein Jahr später Xavier Naidoo, Ende der 1990er waren es Rosenstolz, gefolgt von Laith Al-Deen und Ayman. Schnell splittete sich der Künstlerpool in verschiedene Nischen. Die Jüngeren liebten Blümchen, TicTacToe und Oli.P, später Yvonne Catterfeld und Lafee. Inbegriffe des erfolgreichen deutschen Soul wurden Xavier Naidoo und die Söhne Mannheims. Bushido, Fettes Brot und Seeed verpassten dem deutschen Rap mehr als zehn Jahre nach den Pionieren, den Fantastischen Vier, seine erste Revolution. Im Mainstream zwischen Pop und Rock sind die großen Namen im ersten Jahrzehnt nach 2000 Bands wie Tokio Hotel, Silbermond, Wir Sind Helden, Juli, Sportfreunde Stiller und Revolverheld. Auch der deutsche Schlager startete ab Mitte der 90er Jahre mit Guildo Horn und Dieter Thomas Kuhn ein Revival – zunächst mit einem deutlichen Augenzwinkern. Der klassische Schlager zog aber bald nach. Erstmalig brachte der Markt für jedweden musikalischen Geschmack auch die passenden deutschsprachigen Produkte hervor. Und das war der entscheidende Unterschied. Alles deutet darauf hin, dass deutsche Texte sich auch weiterhin etablieren werden. Anders als z.B. bei der Neuen Deutschen Welle haben wir es nicht mehr mit einer einzelnen Stilrichtung zu tun, die genauso unversehens verschwinden kann wie sie aufgetaucht ist. Deutsche Rock- und Popsongs, Schlager, deutscher Rap und Hip-Hop, alles ist vertreten. Sogar Gothic Rock und deutsche Sprache sind eine feste Beziehung eingegangen.

Das alles warf die Mehrheitsverhältnisse im Rundfunk zwar nicht über Nacht um, aber an den deutschsprachigen Songs führte endlich kein Weg mehr vorbei – auch bei den Sendern nicht. Wobei es weitgehend beim Spartenrundfunk blieb: auf der einen Seite die Jugendsender wie Eins Live oder VIVA, auf der anderen die klassischen Schlagerprogramme wie WDR4 oder GoldStar TV.

Auch von deutschen Autoren kommen nach wie vor englische Songtexte. Aber die Konkurrenz ist international: Songs, die im Ausland bereits den Daseinskampf bestanden haben. Das sind denkbar ungleiche Bedingungen. Deutsche Copyrights mit englischen Texten sind eher auf dem Rückzug, während deutsche Copyrights mit deutschen Texten mehr und mehr den Markt aufrollen.

Dass wir uns in unserer eigenen Sprache besser ausdrücken können, begreifen wir allmählich. Kein noch so gut erlerntes Vokabular kann muttersprachliches Gefühl ersetzen. Und so wie Englisch die Sprache der wolkigen Assoziationen ist, so ist Deutsch die Sprache des Differenzierten. Nicht umsonst gilt es als die Sprache der Philosophen – die alten Griechen mal außer Konkurrenz.

 

Wer schreiben will, muss hören!

Ohne aktuelles Hintergrundwissen geht es nicht. Hören Sie, was immer Sie an deutschsprachigen Musikerzeugnissen zu fassen bekommen! Hören Sie bewusst auch Musik, die Ihnen nicht gefällt. Machen Sie sich Unterschiede bewusst: Die Siebziger haben einen anderen Tonfall als die Achtziger oder Neunziger, Chansons aus den Zwanzigern oder Fünfzigern klingen anders als die von heute. Vergleichen Sie die Sprache der Generationen und der sozialen Gruppierungen. Schreiben Sie heraus, was Sie besonders anspricht oder Ihnen besonders gegen den Strich geht.

Wenn Sie deutsche Lieder texten wollen – die Zeichen standen nie besser. Beantworten Sie sich aber vorher ein paar Fragen:

  • Mag ich Musik mit deutschen Texten überhaupt?
  • Mag ich aktuelle Musik mit deutschen Texten? (enorm wichtig! Sie können lernen, Lieder von gestern zu schreiben. Ins Geschäft kommen Sie damit kaum.)
  • Gibt es ein Genre, das mir besonders liegt?
  • Ist es erfolgreich oder – falls nicht: Kann ich damit leben, dass Songtexten für mich dann Liebhaberei bleibt?

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