100% Mensch – Der Benefiz-Song für gleiche Rechte

von Tobias Reitz

Vor einigen Monaten fragte mich HOLGER EDMAIER (Celler Schule 2006), ob ich Lust hätte ihn bei einem Benefiz-Projekt zu unterstützen. Der Hintergrund: Nach Monaten anti-schwul-lesbischer Propaganda, verbunden mit erschütternden Gesetzesänderungen u.a. in Russland habe er einen Song geschrieben, den er jetzt als Multi-Artist-Projekt an die Öffentlichkeit bringen möchte: „100% Mensch“. Ich hörte mir das Demo an und sagte zu.

Erst einige Tage später erfuhr ich, in welches Kollektiv mich Holger da eingebunden hatte. Als mediales Zugpferd hatte er Hella von Sinnen gewinnen können, weshalb wir auch Wochen vor der Veröffentlichung von „100% Mensch“ schon erste Presseberichte hatten. Daneben freute ich mich aber auch, Künstler wie Bernd von Fehrn, Claus Vincon, Käthe Köstlich, Markus Grimm, Michelle Connah und meinen Schlager-Kollegen Olaf Bossi (dichtet u.a. für Wolkenfrei) kennenzulernen und liebe Kollegen wie Stefan Runge, Klaus Nierhoff und Nina Klopschinski wiederzusehen, die mir bei meinem ersten Solo-Auftritt im Herbst 2004 (sie stand damals mit ihrem Projekt Coco Camelle auf der Bühne) noch das Händchen gehalten hatte.

Eingesungen haben wir unsere Parts in Stefan Runges begehbarem Kleiderschrank, in dem Holger sein mobiles Studio aufgebaut hatte. Politische Statements im Four-to-the-floor-Beat zu einem Duftgemisch aus Parfum, Leder und Mensch. Witzig, eng, wunderbar.  

Bewundernswert finde ich vor allem die unermüdliche Energie, mit der sich Holger und sein Team beim Projekt „100% Mensch“ geradezu verausgabt haben. Vier Wochen nach den Aufnahmen zogen wir durch Kölns Nachtleben und drehten den Videoclip zum Song. Parallel dazu wurden der Endmix, das Pressematerial und die „100% Mensch“-Webseite an den Start gebracht und ein pralles Promotionpaket geschnürt. Auf fast allen CSDs des Landes wurde „100% Mensch“ performt – in jeweils unterschiedlicher, tagesaktueller Besetzung – je nachdem wer gerade konnte. Künstler reisten durch halb Deutschland und präsentierten ihr Statement (ich war beispielsweise zusammen mit Klaus Nierhoff, Käthe Köstlich und Mayo Velvo für den CSD Düsseldorf zuständig), für das es vor Ort größtenteils Lob und Anerkennung gab (nur die Presse wollte es nicht immer so sehen…). Den größten Auftritt hat das Projekt „100% Mensch“ am 5. Juli auf dem ColognePride, wie der Kölner Christopher Street Day inzwischen heißt. Da kommt noch einmal ein Großteil der mitwirkenden Künstler zusammen. Wenn wir auch unser erklärtes Ziel, den Einstieg in die Charts, verfehlt haben, konnten wir uns über mehrere Tage Top 10 in den Schlager-Download-Trendcharts sowie eine Menge begeistertes Feedback freuen.

Übrigens eine kleine, feine Fußnote: „100% Mensch“ wurde veröffentlicht auf dem Hitmix-Label von ERICH ÖXLER (Celler Schule 2000).

Zur Webseite von „100% Mensch“

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Alles gut, solang man tut

 Von Claudia Karner, Celler Schule 2006

„Ich hab in Münster mal eine Pflanze gesehen, die durch ein zwei Meter hohes dünnes Rohr gewachsen ist, bis sie schließlich oben ankam. Die wuchs da unaufhaltsam, weil sie am Ende des Rohres Licht gesehen hat. Das beeindruckt mich bis heute“, antwortete Marcel Brell  auf eine Reporterfrage nach seinem Vorbild. So unbeirrbar wie das zitierte Grünzeug scheint auch der aus Wesel stammende SingerSongwriter und ExCELLEnt, Jahrgang 2011, seinen künstlerischen Weg zu verfolgen.

MArcel Brell Album

Im Mai brachte der 31-jährige die erste CD mit dem Titel „Alles gut, solang man tut“ auf den Markt. „Nachdem ich in den letzten zwei Jahren über 200 Mal solo oder mit Band aufgespielt habe, habe ich in meinem Wohnzimmer, im Proberaum und auch in einem tollen Studio in Berlin die zwölf Lieder aufgenommen, die mir am meisten am Herzen liegen“, sagt Marcel. Bis zum 11. Juli  tourt er mit dem gleichnamigen Programm quer durch Deutschland. Und zwar mit großem Erfolg. Dass er Musik machen wollte, stand schon früh fest. Mit fünf Jahren bekam er  Klavierunterricht, mit 13  brachte er sich selbst das Gitarrenspielen bei und komponierte seine ersten Stücke. Friedens- und Umweltlieder, wie es sich eben für einen richtigen Songschreiber gehört. Nach dem Abitur studierte Marcel in Münster Musik, Schwerpunkt Arrangement und Produktion. Seine ersten Auftritte mit Halbplayback und englischen Popsongs brachten nicht den gewünschten Erfolg.

Nach dem Studienabbruch und dem Umzug nach Berlin wendete sich das Blatt. In den letzten zwei Jahren spielte der SingerSongwriter neben eigenen Konzerten auch im Vorprogramm von der Alin Coen Band, ElifSuzanne Vega, Sharon Corr und Dota Kehr. Er hat nun den Stil gefunden, der ihm voll und ganz entspricht und schreibt seine Texte auf Deutsch. Die Geschichten, die er darin erzählt, gehen den Zuhörern ins Herz und unter die Haut.

In einem Interview für die Online-Ausgabe von Die Welt sagt eMarcel Grell über seine Erstlings-CD: „Das Album hat eine Geschichte. Ich war jahrelang Musikproduzent, und habe mich irgendwie davor gedrückt, meine eigene Musik auf die Bühne zu bringen. Der Prozess hin zum eigenen Album hat tatsächlich zehn Jahre gedauert. Man fragt sich: Wie macht man eigentlich ein Album, wenn man nicht am Mischpult, sondern am Mikro steht? Wie gehe ich da ran? Egal: Einfach machen! Nicht zu lange nachdenken, sondern tun. Besser tun, als zu Hause sitzen und unglücklich sein. Alles, was ich die letzten Jahre ausprobiert habe, hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Ich glaube, aus der Bewegung entsteht das Ergebnis – nicht aus dem Planen und darüber Nachdenken, sondern aus dem Tun. Ich bin ein sehr praktischer Mensch.“

„Alles gut, solang man tut“ wurde von DATES, dem Magdeburger Stadtmagazin, zur Scheibe des Monats gekürt. „Marcel Brell schafft es, die Themen seiner Generation zusammenzutragen. Er berührt mit seiner Direktheit  und seiner samtigen Stimme und schafft eine Intimität, die bewegt.“ Und auch Anne Drerup von Ein Achtel Lorbeerblatt geizt nicht mit Lorbeeren: „Absolut hörenswert!“

Die Welt ist schön Mylord – 100 Jahre Ernst Bader

von Edith Jeske

Autogrammkarte
Foto @ Günter Zint www.panfoto.de
Pullunder, handgestrickt: Edith Jeske

 „Jeder kennt meine Lieder,“ so pflegte er zu schmunzeln, „aber keiner kennt meine Visage!“ Ihm gefiel es, dass er sich unerkannt aufhalten konnte, wo immer er wollte. Außer in seinem Norderstedt vielleicht. Da war er ein bunter Hund. Und das genoss er auch.
Tulpen aus Amsterdam„, „Am Tag, als der Regen kam„, „Der Junge von St. Pauli“ und Aznavours legendäres „Du lässt disch gehnnn“ – all das und hunderte anderer berühmter Songs stammen aus der Feder von Ernst Bader. Heute würde er hundert Jahre alt.
Ernst war einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben, ohne ihn wäre ich vielleicht was ganz anderes geworden.

Kennen lernten wir uns durch Knut Kiesewetter. Der wollte uns – eine Berliner Liedermacherband – für den Popkurs in Hamburg begeistern, der damals noch Modellversuch Popularmusik hieß. Als arme Poeten und Kirchenmäuse konnten wir uns aber eine Unterkunft in Hamburg für zweimal drei Wochen nicht leisten. Worauf Kiesewetter den listigen Einfall hatte, wenigstens einen oder zwei von uns Ernst unter die Fittiche zu schieben. Denn Kiesewetter wusste: Ernst liebt die Menschen – vor allem die aus Berlin.
Ernst nahm uns alle vier. Und er nahm uns immer wieder – wann immer wir in Hamburg waren. Und als unsere Band sich aufgelöst hatte, auch einzeln. Bis er ins Altersheim umzog, hatte ich ein winziges Zimmer in seinem Haus und mein Namensschild an der Tür zwischen einem Dutzend anderer. Wir – seine Kinder, wie er uns nannte – verständigten uns telefonisch, wer gerade ein Zimmer brauchte. Das klappte fast immer reibungslos. Notfalls rückten wir zusammen.

Ernst war für mich nicht nur Mentor und Motor, sondern auch ein zweiter Vater – womit meine biologischen Eltern ausgesprochen einverstanden waren, denn sie hatten ihn genauso ins Herz geschlossen wie ich. Nie vergaß er ihre Geburtstage, nie verging Weihnachten ohne einen Kartengruß von Ernst.

Bader war ein Mensch mit Prinzipen, die er nur brach, wenn er es für sinnvoll hielt. Als er ungefähr 60 war, sollte er ein Album mit deutschen Texten für Michel Polnareff  schreiben. Jemand aus der Plattenfirma fragte ihn vorsichtig, ob er eventuell bereit sei, zwei oder drei Texte von einem jüngeren Kollegen texten zu lassen. Worauf Ernst in heiligem Zorn das komplette Projekt hinschmiss und seine Textdichteraktivitäten abrupt beendete. Wenn noch Anfragen kamen, reichte er die an seine Schüler weiter. Und immer an die männlichen. Bewusst wurde ihm das erst, als ich ihn darauf ansprach. „Für eine Frau bist du ganz schön gut“, pflegte er zu sagen. Bis ich den Ball zurückspielte: „Für einen mit Holzbein läuft er die 100 Meter ganz schön schnell!“.
Von da an empfahl Ernst grundsätzlich als erstes mich.

So auch 1989, als Ernst aus gesundheitlichen Gründen seine Dozentur im Popkurs aufgeben musste. An seine Stelle trat ich und unterrichte dort noch heute. Und bis heute geistert Ernst durch den Raum, wenn ich einige von seinen Beispielen zum Besten gebe. Und meist folgen ein paar Anekdoten aus unseren gemeinsamen 17 Jahren.

17 Jahre. Fast wäre unsere Freundschaft volljährig geworden. Seinen 85. haben wir noch zusammen gefeiert. Schon eine ganze Weile zuvor hatte er immer häufiger gesagt, dass er gern gehen würde. Und dass Sterben ihm keine Angst mache – das sei doch nur die Versetzung in die nächst höhere Klasse. Oder in den Hundehimmel,  was für ihn dasselbe war. Dort würde er seine vierbeinigen Freunde endlich alle wiedersehen.

Die Nachricht von seinem Tod erreichte mich mitten im Popkurs-Unterricht. Es wurde eine besondere Stunde. Ich ließ mein Konzept sausen und erzählte von Ernst. Es flossen Tränen, aber auch Lachtränen mischten sich darunter. Und wir haben den Refrain von Tulpen aus Amsterdam gesungen.

Lieber Ernst, nun wärest du hundert. Zahllose Male haben wir philosophiert und geblödelt, gestritten und jede Versöhnung mit Schnaps begossen – ob ich wollte oder nicht. Du hast mir den Kopf zurechtgerückt und mich ermutigt, je nachdem, was gut für mich war. Du hast mich Mäuschen genannt, was außer dir niemand durfte.
Nur eines hast du nicht mehr erlebt: dass ich Schlager schreibe. Das hättest du dir so gewünscht. Genauso vehement hab ichs von mir gewiesen. Und als ich schon über 50 war, ist es dann doch passiert.

Und wer weiß – vielleicht sind ja ein paar Takte zu dir durchgedrungen und lassen dich lächeln, da oben, auf deiner Wolke im Hundehimmel.