Von Turid Müller
Seit 2018 gehen die Sisters auf die Bühne, um darauf aufmerksam zu machen, dass Gleichberechtigung noch immer eine gesellschaftliche Baustelle ist – nicht nur in der Kleinkunst…
Am 13.11. ist es wieder soweit: In Deutschland, Österreich und der Schweiz werden Künstlerinnen in eigener Sache laut: Sie wollen nicht länger die eine Quotenfrau im Lineup sein. Und der ganze Rest vom Patriarchat kann sich gern gleich mit verabschieden. Gender-Pay-Gap, Gender-Care-Gap, Renten-Gap und Co treffen natürlich auch die Menschen im Publikum: Im Jahr 2020 verdienten Frauen noch immer rund 18% weniger als Männer. Das Alterseinkommen ist im Durchschnitt 49% geringer. Und die Hauptlast der Pflege- und Familienarbeit wird noch immer von Frauen geschultert. Wer Statistiken braucht, um die vielfach zum Besten gegebene Meinung zu widerlegen, dass eine Bundeskanzlerin oder eine Comedian im Abendprogramm noch lange nicht bedeuten, dass Gleichstellung erreicht sei, findet sie zum Beispiel bei der Hans Böckler Stiftung.
Die Pandemie hat diese Situation nicht verbessert. im Gegenteil: Vorwiegend Frauen blieben zuhause, um das Homeschooling zu betreuen – mit langfristigen Folgen. Und in der Kunst ist es mindestens mal für alle, die noch nicht ganz groß rausgekommen sind, noch schwieriger geworden, die Veranstaltungsorte davon zu überzeugen, dass sie die Säle voll machen können.
Darum gilt mehr denn je: Kommt rum! Seid mit uns laut! Und sorgt mit Euren Karten und Spenden dafür, Frauen-Hilfsprojekte zu unterstützen!
Was die Sisters zusammentragen, ist beachtlich! Auf der Homepage ist über den Spendenerfolg des Projektes zu lesen: „Mit einem Budget von ca 4000 Euro erzielten die Sisters of Comedy im ersten Jahr 2018 ein Spendensumme von 52.941,14 Euro, im folgenden Jahr 79.299,72 Euro.“
Das Projekt hat auch 2023 wieder viele Absolventinnen mit am Start: Marie Diot spielt im La Cappella in Bern. HüberBel und Feli rocken das Haus der sozialen Dienste in Erfurt. Anne Weber und Jutta Wilbertz sind bei mir im Hamburger Theaterschiff an Bord. Katie Freudenschuss ist im Theaterhaus T2 im Stuttgart dabei. Und Dagmar Schönleber, neben Patrizia Moresco und Carmela De Feo eine der drei Initiatorinnen des Projektes, spielt im Stollwerk in Köln. Ich hoffe, ich habe keine vergessen.
353 Künstlerinnen hat die Internetseite der Sisters bereits zu verzeichnen. Das Argument, es gäbe zu wenig witzige Frauen, sonst würde man sie ja buchen, kann also getrost ad acta gelegt werden.
Ach, und übrigens: Männer sind am kommenden Montag herzlichst willkommen! Humor ist für alle da!
Sisters of Comedy – der Podcast
Sonja Gründemann hat den Podcast zur Show ins Leben gerufen. Mit dabei sind natürlich auch ExCellentinnen…
„Ich hab da schon so viele tolle Frauen kennengelernt!“ sagt sie über die jährlichen Shows. Und durch den Podcast lernt sie nun noch mehr Comediennes kennen.
Jutta Wilbertz im Gemeinschaftshaus Drosten/Wulfen; HüperBel im HsD Museumskeller in Erfurt; Anette Heiter im Kabarett der Galgenstricke in Esslingen; Turid Müller (mit Quotenmann Michael Hierer) und Feli auf dem Hamburger Theaterschiff; Dagmar Schönleber im Stollwerck in Köln; Die Schrillen Fehlaperlen inklusive Ferdi Riester in der Turn- und Festhalle Neufra; Anne Folger im Loni-Übler-Haus in Nürnberg; Katie Freudenschuss und Sarah Hakenberg im Ebertbad in Oberhausen.
Der Ankläger – Ein mutiges Musical mit Texten von Anette Heiter
von Turid Müller
Fritz Bauer. Schon von ihm gehört? Nein? Eben! – Das soll sich ändern! Und zwar mit dem neuen Musical von Patrick Bach und Anette Heiter…
Das Stück, das extra für Aufführungen an Schulen entwickelt wurde, möchte zum Nachdenken anregen. Über die Geschichte eines Mannes, der politische Verfolgung, Flucht und Anfeindungen überlebt hat, und der mit demokratischen Mitteln für seine Werte eingetreten ist:
Fritz Bauer, Sozialdemokrat und Jude, war Amtsrichter. In der NS-Zeit musste er sein Amt abgeben und wurde in einem KZ inhaftiert. Nach seiner Entlassung gelang ihm die Flucht ins Exil. Als der Krieg vorbei war kehrte er nach Deutschland zurück, wurde in Hessen Generalstaatsanwalt und kämpfte aus dieser Position heraus für die juristische Aufarbeitung der Gräuel des NS-Regimes. Dabei erlebte er keinesfalls nur Unterstützung. Um ihn auszubremsen, wurde beispielsweise seine Homosexualität instrumentalisiert. Doch er ließ sich nicht beirren.
Das Schulmusical über sein Leben und Wirken möchte unter anderem dazu anregen, Menschen, die als Geflüchtete zu uns kommen, mit mehr Verständnis zu begegnen.
Patrick Bach, Musiklehrer und Musical-Macher, hat die Stücke komponiert, die sich an kein Klischee halten, sondern durch alle Stile hüpfen. Anette Heiter, Celler Schule 2005, Juristin und Kabarettistin, hat die Texte geschrieben:
„Mir persönlich liegt hier eigentlich alles am Herzen“, so Heiter. „Es ist für mich eine großartige Möglichkeit, die beiden Extrem-Pole meines Lebens zu vereinen: Juristerei und Musik/Textdichtung. Die Zusammenarbeit mit Patrick, den ich schon von meiner Acapella-Gruppe Salt Peanuts her kenne, war überaus inspirierend und ich hoffe, dass wir viele Schulen finden, die Lust haben, das Musical auf die Bretter zu bringen.“ Tipps und Kontakte seien willkommen.
Gesucht wird außerdem noch Unterstützung, Playbacks aller Songs zu erstellen, um auch den Schulen eine Inszenierung zu ermöglichen, die keine Livemusik ermöglichen können. Für inhaltliche Fragen können sich die aufführenden Schulen gern an das Fritz-Bauer-Institut wenden.
Zurzeit wird an den Noten letzte Hand angelegt; demnächst geht alles in den Druck. „Und dann kann’s raus in die Welt!“
AUFGEBEN IST NICHT! – Die Sisters sind zurück!
„Aufgeben ist nicht!“ lautet das diesjährige Motto der Sisters of Comedy. Die Pandemie hat nicht nur den Kreativen, sondern auch den Frauen schwer zugesetzt. Doch der Backlash in alte Rollenmuster ist ein Grund mehr, am 08.11. für Gleichstellung auf die Bühne zu gehen!
Seit dem wir vor ein paar Jahren 100 Jahre Frauenwahlrecht feierten, stellen die Ladies aus Kleinkunst, Kabarett und Comedy jährlich lautstark fest, dass damit noch längst nicht alles erreicht ist. In zahlreichen Shows im ganzen deutschsprachigen Raum wird gemeinsam nachgelacht. Eine der Initiatorinnen der Aktion: Dagmar Schönleber (Celler Schule 2018) – diesmal Patin in Köln. Mit von der Partie sind jedes Mal ein Haufen anderer ExCellentinnen. Und zuweilen auch ein ExCellent – wie beispielsweise mein liebevoll als „Quotenmann“ bezeichneter Pianist und Bühnen-Kollege Michael Hierer (Celler Schule 2018).
In Baienfurt spielt Anne Folger (Jahrgang 2019); in Bern Marie Diot (Gewinnerin vom Hans-Badtke-Förderpreis 2021). In Dorsten ist Jutta Wilbertz (Celle 2011), und in Oberhausen Katie Freudenschuss (Celle 2008) am Start. Die Schrillen Fehlaperlen rücken mit ihrem Quoten-ExCellenten Ferdi Riester (Celle 2018) in Neufra an. – Und ich habe bestimmt noch etliche vergessen!
Die Message ist so kurz wie klar: Geh hin! Und unterstütze nicht nur Deinen „local artist“, sondern auch die Gleichberechtigung – sowie die durch Einnahmen und Spenden geförderten sozialen Projekte!
In der Pressemitteilung heißt es:
„Wo anderen 3 G‘s reichen, bieten wir 7G’s:
Geimpft, Genesen, Getestet, Gute Laune, für Gender Gerechtigkeit – Garantiert!
Alles was wir noch brauchen sind volle Häuser.“
Und übrigens: „Männer sind herzlichst Willkommen, Humor ist für alle da!“
We Are One! – Eine starke Botschaft für Tokio und die Welt!
Von Turid Müller
Was ist heute für ein Tag? Heute beginnen die paralympischen Spiele! Dass das so wenige wissen, ist symptomatisch und soll sich ändern. Denn: Wir gehören zusammen! – Finden auch Claudia App und Lucy Snyder vom Schlager-Duo Herzgold…
„Ich bin total stolz und glücklich, dass ich bei diesem tollen Projekt dabei sein darf!“ schwärmt Textdichterin Ilona Boraud (Celle 2015). „Es ist etwas ganz Besonderes, wenn man an einer offiziellen Hymne mitschreiben darf.“
Im Vorfeld haben sich Herzgold, Willy Klüter (ein langjähriger Partner der Celler Schule) und Ilona Boraud Gedanken gemacht, worum es darin gehen soll. Und schnell war klar, dass sie „nicht die Leistung in den Mittelpunkt stellen wollen, sondern das Miteinander“.
„Beim Dressurreiten bilden Reiter und Pferd eine Einheit. Damit stehen sie sinnbildlich für die Harmonie von Mensch und Natur“, sagt die ExCellentin. Und das beruhigt – nach allem, was wir bezüglich Reiten in den letzten Wochen aus Tokio gesehen haben…
Als Gemeinschaftsprojekt mit dem Deutschen Kuratorium für therapeutisches Reiten e.V.“ und dem Bundestrainer für die deutsche Para-Nationalmannschaft entstand die Idee zu diesem „Song, der nicht nur das Team für Olympia beflügeln soll“, sondern uns alle: „Wir sind alle zusammen vereint auf dieser Welt, haben die gleichen Träume und Ziele, egal welcher Nation wir angehören und unabhängig davon, ob mit oder ohne Einschränkung: We Are One„, heißt es in der Pressemitteilung. Außerdem ist der Song „der offizielle Team-Song der deutschen Para-Reiter Nationalmannschaft“!
Ilona Boraud erklärt: „Bei den olympischen und paralympischen Spielen kommen Athletinnen und Athleten aus aller Welt zusammen. Das olympische Motto lautet „Dabeisein ist alles“. Es geht um Völkerverständigung und die Sehnsucht, dass die Menschen auf der Welt friedlich miteinander umgehen. Eine Sehnsucht, die zu Pandemiezeiten noch deutlicher spürbar ist als sonst. Und natürlich geht es um Inklusion, dass Menschen mit und ohne Beeinträchtigung ja gar nicht so verschieden voneinander sind, sondern alle Menschen sind, die die gleichen Wünsche und Träume haben . Kurz: Es geht um Gemeinsamkeiten und nicht um Unterschiede. Das ist die wichtige Botschaft des Songs.“
Und die kommt an – im TV und in den Charts: Im Juli kaperte sie Platz 2 in den iTunes-Charts, Album, Germany, Welt! Und die Kommentare unter dem Video sprechen für sich…
Wie doll der Song mitreißen kann, zeigt zum Beispiel die Tatsache, dass Bernhard Fliegl, Bundestrainer der deutschen para-Nationalmannschaft, es sich nicht nehmen ließ, im Studio selbst ein paar Spuren einzusingen.
Ich hoffe, die Message wird noch viel mehr Spuren hinterlassen. Aber erstmal „Toi toi toi!“ für die Spiele, die heute beginnen!
ExCellent durch die Krise – Kreative Wege in Zeiten des Lockdown (Teil VI)
Zusammengestellt von Turid Müller
Ein Lockdown light sollte es werden. Nun wurde er erneut verlängert… und gerade noch mal verschärft. Lockerungen sind nicht in Sicht. Und die finanziellen Rettungspakete schaffen derart hohe Hürden, dass viele Kreative durchs Raster fallen. Das Weihnachtsgeschäft fällt ins Wasser. Wie geht die Branche damit um? – Ein paar Eindrücke…
3 Shows hätten es 2020 werden sollen, die zeitgleich am 12.11. in Deutschland, Österreich und der Schweiz stattgefunden hätten, mit über 120 Künstlerinnen, um ein Zeichen gegen Gewalt gegen Frauen und gegen Sexismus zu setzen und um zu zeigen, dass es sehr wohl viele beruflich komische Frauen gibt. Hätte, wäre… Dieses Jahr gab es aus bekannten Gründen keine Sisters of Comedy – nachgelacht– Shows. – Um aber auch 2020 nicht ganz aus dem Fokus zu fallen und um wenigstens für ein Frauenhilfsprojekt Spenden sammeln zu können, haben Dagmar Schönleber (Celler Schule 2018) und Vera Deckers kurzerhand am 12.11. einen Livestream als „Sisters Special“ präsentiert.
In der Kölner Kneipe „Heimathirsch“, von wo aus Vera Deckers zusammen mit den Kollegen Heinz Gröning und Keirut Wenzel seit dem ersten Lockdown wöchentlich das Format „Homekneiping“ präsentieren, wurde quasi das Setting geentert und zum „Sisters special“ geladen. Einspieler von Kolleginnen wie Carmela de Feo und Patrizia Moresco, die mit Dagmar Schönleber zu den Gründerinnen der Sisters of Comedy gehören, sowie Grüße und Sketche von Lisa Feller, Daphne De Luxe, Mirja Regensburg, Rebecca Carrington, Frau Kühne, Andrea Volk, Deana Ehrich, Nora Böckler, Ariane Müller und Julia Gamez Martin (Suchtpotenzial), Ramona Schukraft (Sybille Bullatschek), Constanze Lindner, Barbara Ruscher und Katie Freudenschuss (Celler Schule 2008), der Spendenaufruf ging zugunsten des Vereins „Frauen helfen Frauen e.V.“, die zwei autonome Frauenhäuser in Köln stellen.
Der Livestream wurde über 5 Facebook-Seiten gestreamt, hatte bisher insgesamt über 15000 Aufrufe und kann immer noch zum Beispiel hier angeguckt werden.
Und spenden für die Frauenhäuser könnt ihr natürlich auch immer noch. Bisher sind immerhin gut 1000,-€ an Spenden über den Livestream zusammengekommen.
Und 2021 wird es hoffentlich wieder eine große Sisters-Sause geben, live, mit Karacho und viel Herz und Humor!
Aber nicht nur die Sisters haben die virtuelle Bühne unsicher gemacht: Auch Sven Garrecht (Celler Schule 2020) sucht nach neuen Gefilden im World Wide Web und gründet zusammen mit seinen Kollegen eine eigene Online-Show: Lieder machen Leute findet komplett via Videokonferenz (genauer gesagt ZOOM) statt: „Ein kleines, ausgewähltes Publikum, meine Band und ich und jedes Mal ein/e andere/r Liedermacher*in als Gast, sitzen im digitalen Studio, analog heißt das bei sich Zuhause auf der Couch. Es wird ein bisschen erzählt, das Publikum kann im Chat Fragen an den Gast stellen und es wird natürlich auch Musik gemacht. Da das live im Videochat etwas schwierig ist, gibt es vom Gast und uns jeweils ein vorproduziertes Musikvideo. Und um die Spontanität bzw. das Überraschungsmoment eines gemeinsamen Jams nicht ganz verloren gehen zu lassen, schickt uns der Gast vorher ein Video von sich. Wir haben dann eine Woche Zeit, dazu zu spielen, uns aufzunehmen und ein gemeinsames Musikvideo daraus zu basteln. Welches Lied uns geschickt wird, wissen wir nicht und der Gast hört nicht die gemeinsame Version, bevor es gesendet wird.“
Ein Ticket für die erste Folge kann man hier erwerben. Auf der Seite kann man das Video dann auch direkt sehen. Die erste Folge ist ab 18.12.20 verfügbar. Der erste Gast ist Lars Reichow.
Für die zweite Folge im Januar haben schon Lucie Mackert und Peter Fischer (Celler Schule 2018), alias Mackefisch zugesagt.
Die beiden sind übrigens nicht nur auf der Bühne liiert, sondern auch jenseits der Bretter, die die Welt bedeuten. Als freiberufliches Künstlerpaar, deren Haushalt sich komplett durch Kulturveranstaltungen finanziert, bekommt die Mannheimer Mini-Band die Corona-Krise deutlich zu spüren. Lähmen lassen wollen sich die beiden von den widrigen Umständen aber nicht: Liedermacherin und Schauspielerin Lucie Mackert ist trotz allem intensiv mit (teilweise mit Abstandsregeln, teilweise „remote“ organisierten) Theaterproben beschäftigt, deren Finanzierung und Aufführung durch Corona jedoch ständig mit neuen Fragezeichen versehen wird. Auch Peter Fischer – Musiker, Kabarettist und außerdem Celler-Schule-Absolvent – versucht die Bühnenpause sinnvoll zu nutzen: „Wenigstens habe ich mal wieder etwas mehr Zeit zum Klavier üben. Und gelegentlich schreibe ich auch an einer kleinen Buch-Idee herum. Außerdem bilde ich mich in Sachen Homerecording fort – das wird man wie’s aussieht künftig öfter mal brauchen.“
Dass es hilft der aktuellen Situation hin und wieder mit Humor zu begegnen, beweist Mackefisch im neuesten Lied Wohnzimmer. Das Duo besingt darin die zur Normalität gewordenen Home-Videochats und damit verbundenen privaten Einblicke, die nun jedermann gewährt. Hören kann man es derzeit hier auf YouTube, eine Veröffentlichung über Spotify ist geplant. Das Lied ist außerdem bereits Vorgeschmack auf das neue Album, an dem Mackefisch bereits arbeitet. Ihr Debütalbum ‚Brot und Glitzer‘, Anfang 2020 veröffentlicht und dann durch Corona stark ausgebremst, wurde von Kritikern bereits sehr gut aufgenommen: Es wurde nominiert für den Preis der deutschen Schallplattenkritik, den Förderpreis der Liederbestenliste, war ‚Persönliche Empfehlung Album‘ der Liederbestenliste im März 2020 und ließ Mackefisch die Auszeichnung mit dem Walther-von-der-Vogeldweide-Preises zuteil werden. Nur die Verleihung des Preises beim renommierten Format Songs an einem Sommerabend musste leider coronabedingt abgesagt werden. Unterstützen könnt ihr die Künstler mit einer Bestellung der CD.
Kreative unterstützen – das hat auch Songtexterin Ilona Boraud (Celler Schule 2015) im Sinn: Sie wirbt via Facebook dafür, die Weihnachtsgeschenke dieses Jahr mit gelebter Kulturförderung zu koppeln. Unter den Künstler*innen, die sie vorstellt, sind auch viele Menschen aus dem Dunstkreis der Celler Schule – neben Peter Fischer von Mackefisch zum Beispiel auch Karla Feles (Celler Schule 2018) mit gestrickten Winterträumen, Katharin Lena Orso (Celler Schule 2016) mit ihrem Kinderbuch Ahoi Ihr wilden Piraten, Christine Raudies (Celler Jahrgang 2014) mit ihrem Kinderliederalbum, und Jutta Wilbertz (Celle 2011) Musikkabarettistin & Krimiautorin.
Mit ihrer Aktion hofft die Absolventin, Aufmerksamkeit für die Situation der Kreativbranche zu wecken. Denn sie glaubt, „dass vielen gar nicht klar ist, wie sie Künstler*innen unterstützen können und dass diese von Streamings, YouTube etc. so gut wie kein Einkommen haben. Sie leben von Live-Auftritten (und den bei dieser Gelegenheit verkauften CDs & Merch). Auch Autor*innen haben Probleme, weil Lesungen nicht stattfinden können.“ CDs kann man übrigens am besten bei den Künstler*innen direkt kaufen. „Positiver Nebeneffekt: Dann kann man sie gewidmet und signiert bekommen.“ Das „macht es persönlicher.“
„Das Ganze soll sehr persönlich laufen, von meinen FB-Freunden zu meinen FB-Freunden. Eine kleine Aktion, aber vielleicht machen andere ja etwas Ähnliches. Ich selbst werde für dieses Weihnachtsfest auch vermehrt bei Künstler*innen einkaufen und spenden.“
Wenn das Weihnachtsgeschäft durch einen sich ständig verlängernden Lockdown ersetzt wird, ist diese freundschaftliche Kulturförderung hoffentlich Anstoß und Vorbild für andere. Ilona Boraud ist vorsichtig optimistisch: „Ich habe schon öfters Produktempfehlungen ausgesprochen. Zu konkreten Käufen führt das nur selten. Aber ich hoffe, dass das dieses Jahr anders ist.“
ExCellent durch die Krise – Kreative Wege in Zeiten des Lockdown (Teil V)
Von Turid Müller
Die ersten Theater öffnen wieder – unter herausfordernden Bedingungen. Andere planen den Neustart erst fürs kommende Jahr. Die zweite Welle ist im Anrollen und verursacht bereits erste Absagen. Termine für 2021 werden großzügig auf 2022 verlegt. Und booken tut sowieso kaum einer. – Was machen die Kreativen in solch einer Situation? Hier ein paar ihrer Geschichten…
Es ist September. Die ersten Schokoweihnachtsmänner bevölkern die Supermarkt-Regale. „Früh genug an Weihnachten denken!“ Das hat auch Celler Kollege Konstantin Schmidt beherzigt. Und dann kam alles anders:
„Mitte März ließ ich 1000 Flyer mit den Terminen für mein Weihnachtsprogramm im Dezember drucken. Kurz darauf begannen die Absagen für die Termine im Frühjahr/Sommer, bei denen ich die Flyer verteilen wollte. Pech! In Mai und Juni stemmten sich zwei Veranstalter mit Streaming-Terminen gegen die Krise. Bei einem Termin gab‘s sogar etwas Gage. Immerhin.
Im Juli dann der erste Live-Auftritt unter Corona-Bedingungen – sogar in einem geschlossenen Raum. Die zwei Openair-Termine im August fanden auch tatsächlich statt. Die Zuschauer hatten Spaß und ich auch. Wäre ich Zuschauer, fände ich den vielen Platz um mich herum gar nicht schlecht. Ich sitze nicht gerne wie die Sardinen in der Büchse.
Hut ab vor den Veranstaltern, die die Termine irgendwie durchziehen! Sie nehmen die Kontaktdaten auf. Sie achten auf die Sitzordnung mit Abstand. Sie scheuen den Aufwand nicht, am Platz zu bedienen, statt die Gäste anstehen zu lassen. Sie desinfizieren Hände und Flächen.“
Ein Thema, das im Alltag für uns alle neu ist – und so auch im Bühnenberuf – ist der Respekt der Corona-Maßnahmen und die Kommunikation rund um diese neuen Regeln des An- und Abstands: „Interessant ist, dass viele Gäste es nicht schaffen, einen etwas größeren Abstand zu halten, wenn sie mich, den Künstler, hinterher noch ansprechen. Es wäre doch ein leichtes auf einsfünfzig Abstand ein Gespräch zu führen“, berichtet der Klavierkabarettist aus seinem frisch gewonnenen Corona-Erfahrungsschatz. „Aber die meisten unterbieten das. Selbst als ich mal demonstrativ einen kleinen Satz zurück gemacht habe, wurde der Landgewinn sofort wieder ausgeglichen. Ich will mich nicht aufregen. Ich bin ja froh, dass Leute kommen. Ich sage mir, die sind so begeistert von mir, dass sie mich fast abknutschen wollen. Das tröstet etwas.
Und der Herbst/Winter mit meinem Weihnachtsprogramm? Nun, allmählich äußern sich die Veranstalter. Die einen sagen, dass es unter diesen Umständen nicht geht. Die anderen haben ein Konzept nach dem es doch geht. Oft mit weniger Mindestgage und oft in größeren Räumen. Mal sehen. Vielleicht habe ich diesen Dezember wider Erwarten viel Muße mich mental auf das Weihnachtsfest vorzubereiten. Viel Gage wäre mir allerdings lieber.“
In dieser für die Kultur schwierigen Zeit wollen Sandra Niggemann (Celler Schule Jahrgang 2014) und Mario Rembold (Celle 2015) was zurückgeben. Darum haben sie eine Spenden-Aktion an den Start gebracht: Aus dem gesammelten Videomaterial für ihre jährliche Benefiz-Show ist ein Online-Channel geworden, der Finanzspritze für das Heimattheater Pantheon und Öffentlichkeit für alle Kreativen im Lineup der Veranstaltung sein möchte: „Für diese Playlist zahlt sich nun aus, dass Sandra dafür gesorgt hat, dass die Shows auch auf Video aufgezeichnet werden – übrigens von Thorsten Franzen, falls mal jemand eine professionelle Hand an der Kamera sucht“, erzählt Mario Rembold. „Bei Lach mal was mit wünschdirwas steht der schöne Abend für das Publikum im Mittelpunkt.“ Gründerin Sandra Niggemann hat einen Weg gefunden, „dass das Publikum auf unterhaltsame und bewegende Art und Weise etwas über den Verein wünschdirwas erfährt.“ Neben Sandra Niggemann und Mario Rembold sind auch andere Excellent*innen schon dabei gewesen: Allen voran Matthias Reuter. Aber auch ich hatte schon das Vergnügen.
Hohen Einsatz für die Kreativ-Branche bringt auch Motion-Designerin Sylvia Nitzsche (Celle 2007): „Die Corona-Krise hat mich als Video-Expertin im digitalen Bereich glücklicherweise nicht so stark getroffen. Aber ich leide mit meinen vielen Künstlerfreund*innen, die nicht auftreten können. Ich habe überlegt, wie ich helfen kann. Erstmal habe ich Online-Tickets für Konzerte gekauft. Dann sah ich die Petition des VSGD, die eine Verlängerung und faire Ausgestaltung der Corona-Hilfen für alle Selbstständigen forderte.“ Also hat sie dazu ein Erklär-Video animiert, um mehr Menschen die Botschaft zu übermitteln. – Mit erfreulichem Ergebnis: Die Petition war mit über 50.000 Mitzeichnern erfolgreich und wird bald im Bundestag behandelt.
In ihrem neusten Projekt Warum ich lieber am Computer arbeite, als auf der Bühne zu stehen möchte Sylvia Nitzsche mit Info-Grafiken versuchen, auf die Missstände im Künstler-Beruf hinweisen.
Gut so! Es ist höchste Zeit. Denn die gegenwärtige Krise zeigt mal wieder deutlich, dass die Kulturschaffenden keine wirksame Lobby für ihre Belange haben.
Sisters of Comedy – Ab jetzt für immer!
von Turid Müller
Kleinkünstlerinnen gehen bundesweit für mehr Gleichberechtigung auf die Bühne.
Im letzten Jahr hat Deutschland 100 Jahre Frauenwahlrecht gefeiert: Die Geburtsstunde der Sisters of Comedy. Das Ziel: Auf die Missstände in Punkto Geschlechtergerechtigkeit aufmerksam machen. – Die auf der Kleinkunst-Bühne und die in der großen Welt. Das hat so gut funktioniert, dass die Sisters offenbar gekommen sind, um zu bleiben: Ab jetzt stehen die Künstlerinnen jedes Jahr im ganzen deutschsprachigen Raum für mehr Gleichstellung im Rampenlicht. Und viele ExCellent*innen sind dabei!
Ja, das Sternchen lohnt sich! Denn es wandeln nicht nur Frauen auf den Pfaden der Emanzipation:
Mit Ferdi Riester ist unter den „Sisters“ auch ein „Brother“; als Teil der Gruppe Die schrillen Fehlaperlen gehört er zu den Gastgeber*innen in Erlaheim. Und im Hamburger Polittbüro haut an meiner Seite Michael Hierer als Quoten-Mann des Abends in die Tasten. In Hamburg sind die Sisters übrigens – bundesweit einmalig – gleich mit drei Spielorten vertreten! Aber jetzt zu denen, um die es eigentlich geht an diesem Abend: Die Frauen:
In Erfurt ist Isabel Arnold (HyperBel) Gastgeberin im HsD. In Esslingen steht Anette Heiter mit ihrem juristischen Kabarett auf der Bühne. In Herrenberg spielt Anne Folger auf der Klaviatur des Publikums – wie ihr Programm-Titel verspricht: ein Selbstläufer! In Köln gibt’s im Stollwerck Kabarett mit Dagmar Schönleber. Sie ist nicht nur die Patin der Show, sondern gehört auch (zusammen mit Carmela de Feo und Patrizia Moresco) zu den Gründerinnen der Bewegung. In Rheine rockt Feli die Stadthalle. In Stuttgart singt Katie Freudenschuß.
Habe ich eine Kollegin vergessen? – Dann lasst es mich bitte wissen! Die Fülle ist überwältigend! Gut so!
Denn: Feminismus ist zwar ein Wort, das nicht bei allen auf offene Ohren stößt. Aber die Kleinkunst ist nicht die einzige kulturelle Sparte, die sich mit Gleichstellungs-Fragen beschäftigt. Auch aus anderen Richtungen gibt es Bestrebungen, auf mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern hinzuwirken. Auf Facebook gibt beispielsweise es die Gruppe Musicalfrauen stärken Musicalfrauen“, die unter anderem bei der Preisverleihung der Deutschen Musical Akademie 2018 mit der Forderung 50/50 auf sich aufmerksam machte.
In diesem Sinne: Kommt gucken! Spielt im nächsten Jahr mit oder organisiert bei Euch vor Ort eine Show der Sisters! – Gemeinsam können wir was bewegen.
„Zwei Leben“: Rainer Bielfeldts neues Album und Bühnenprogramm
von Sandra Niggemann und Mario Rembold
Rainer Bielfeldt hat Wort gehalten: Rund anderthalb Jahre nach seinem letzten Album hat er nun seine neue CD „Zwei Leben“ veröffentlicht. Wir haben am 1. September 2019 im Kölner Senftöpfchen-Theater den ersten Konzertabend nach der Premiere erlebt.
„Wir haben zwei Leben. Und das zweite beginnt, wenn dir klar wird: Wir haben nur eins.“ Ob die Inspiration zu diesen Zeilen wirklich aus einem Glückskeks im Chinarestaurant kam? Das erzählt Rainer Bielfeldt im gut gefüllten Kölner Senftöpfchen-Theater, nachdem die letzten Akkorde seines Titelliedes verstummt sind. All seine Songs und Conférencen erscheinen authentisch, denn Rainer singt, spielt und erzählt aus tiefstem Herzen. Das spürt das Publikum. Immer wieder hört man aus den Zuschauerreihen ein mal wohliges und mal staunendes „Oh“. Das sind die Augenblicke, in denen man sich tief hineingezogen fühlt in die Lieder, die auch das eigene Herz zum Schwingen bringen.
Magische Momente, hinter denen eine Menge Arbeit und Sorgfalt im Vorfeld stecken.
Zudem hat sich Rainer für die Regie seines aktuellen Bühnenprogramms in die Hände von Edda Schnittgard begeben: Die einzelnen Songs sind durch kleine Anekdoten, Betrachtungen und Geschichten miteinander verbunden, mit denen er die Zuhörerinnen und Zuhörer zu einer Reise einlädt. Auf der Reise sein – davon spricht und singt Rainer immer wieder, vom Reisen, vom Ankommen und von Sehnsucht. „Viel zu selten allein’“ ist ein augenzwinkerndes Beispiel für alle drei dieser „bielfeldtschen“ Herzensthemen. Das Publikum gerät in herzhaftes Lachen, als Rainer in den ersten Zeilen des Liedes feststellt: „Du lässt mich viel zu selten allein. Du könntest hin und wieder mal verreisen.“
Neben all dem zeigt er eine differenzierte und feinfühlige Haltung: Themen wie Populismus und Rassismus begegnet er nicht mit plumpem erhobenem Zeigefinger, sondern mit sehr persönlichen Ansichten und Geschichten: So erzählt zum Beispiel „Insel namens Abendland“ – unserer Meinung nach ein Highlight des Abends – die Geschichte zweier ehemals dicker Schulfreunde, von denen einer nun, Jahre später, auf Facebook fremdenfeindlich „Häme, Hassgebrüll und Jammern“ verbreitet. Betroffen stellt Rainer aus Sicht des anderen Freundes die Frage: „Bist du noch zu retten, oder bist du schon verloren?“
Erwähnt sei auch Rainer Bielfeldts 1975 verstorbene Lieblingsdichterin Mascha Kaléko. Ihre Gedichte hätten ihn seit seiner Jugend berührt. Und weil, so Rainer, „Mascha Kaléko bei keinem meiner Konzerte fehlen darf“, sind auch drei ihrer Texte auf seinem Album zu kurzen Miniaturen verwoben. Sie sind ein Kontrast zu den anderen Liedern – ein bisschen wie ein Innehalten auf seiner Reise.
Neben diesen Miniaturen und Texten von Rainer Bielfeldt bündelt „Zwei Leben“ auch die Kreativität einer ganzen Truppe aus dem Kreis der Celler Schule. Während Rainer alle Songs komponiert hat, haben an den Texten neben Rainer folgende Autoren mitgewirkt: Barbara Berrien, Thorsten Budde, Karla Feles, Peter Fischer, Tilmann Graach, Julia Hagemann, Thomas Lienenlüke, Annette Müller, Hannes Potthoff, Thomas Paul Schepansky, David Quaass, Dagmar Schönleber, Otto Senn und Carsten Thiele. Drei Songtexte des Albums hat Edith Jeske beigesteuert.
Insgesamt zeigt sich Rainer Bielfeldt mit seiner neuen CD und seinem neuen Bühnenprogramm abwechslungsreich: nicht nur melancholisch und nachdenklich, sondern auch humorvoll und entschlossen. Das spiegelt sich unter anderem im Lied „Pflanz Lavendel auf mein Grab“ wider. Auch wenn der Titel anderes vermuten lässt: Rainer singt hier eine Hymne an das Leben, das er mit allen Sinnen genießen möchte. Er sei halt, so sagt Rainer Bielfeldt, ein „melancholischer Optimist“.
Und wenn am Abend seine musikalische Reise mit dem Lied „Der Horizont“ zu Ende geht und die Zeilen erklingen „Irgendwann… komm ich an“, dann zeigt der Applaus ganz klar: Beim Publikum des Senftöpfchens ist er angekommen – und wie.
Apropos: Mal abgesehen davon, dass man mit dem Kauf des CD-Albums auf Konzerten den Berliner Hospizdienst Tauwerk unterstützt, bietet Rainer nach seinem Auftritt eine „kostenlose Umarmung“ an. Ein Herzensmensch eben.
Artists4Future: Fürs Klima im Einsatz
Michael Feindler & Turid Müller
Eben war es noch Thema in seinem Gedicht des Monats. Jetzt hat Michael Feindler eine neue Bewegung mit auf den Weg gebracht. Artists4Future stärkt den Streikenden Schüler*innen den Rücken und sorgt sich (nicht nur freitags) um die Zukunft unseres Klimas.
„Mitte März lag die Idee, Artists4Future zu gründen, gewissermaßen in der Luft“, schreibt Kollege Feindler mir, nach den Anfängen befragt. „Nachdem sich neben den Scientists4Future auch schon die Farmers4Future und Entrepreneurs4Future gegründet hatten. Und es sind zeitlich nahezu parallel Strukturen entstanden, die anfangs nichts voneinander wussten – und zwar mindestens vier an der Zahl“:
1. Eine Facebook-Seite, die der Regisseur Karsten Müller initiiert hat (seine Tochter ist in Trier als Schülerin bei „Fridays for Future“ aktiv).
2. Die Facebook-Gruppe, in der Künstler*innen angefangen haben, über Ideen zu diskutieren.
3. Die Website artistsforfuture.de (jetzt .org) mit dem dazugehörigen Twitter-Account Artists4Future, die sich Steffen Peschel nach Absprache mit seiner Parents4Future-Gruppe in Leipzig gesichert hat
4. Eine Gruppe mehrerer Künstler*innen, die eine gemeinsame Stellungnahme für die Artists4Future formuliert haben.
„Der vierte Punkt ist mein persönlicher Anknüpfungspunkt bei dem Projekt gewesen“, berichtet der ExCellent. „Unmittelbar nach der Fridays-for-Future-Demo in Berlin am 15. März habe ich mich mit Bodo Wartke, der dort aufgetreten war, und Musikern der Band „Nofretete“ zusammengesetzt, um zu überlegen, wie wir das Ganze angehen sollten. Wir waren alle hochmotiviert, etwas zu starten, damit sich möglichst viele Künstlerinnen und Künstler mit den Klima-Protesten solidarisieren. Am Ende der ersten Besprechung erklärte ich mich bereit, über das anstehende Wochenende einen ersten Textentwurf für eine Stellungnahme zu erarbeiten und schrieb somit zusammen mit Uta Köbernick (Liedermacherin aus der Schweiz, die dort auch schon im Radio mit kurzen Songs die Klima-Streiks besungen und unterstützt hat) einen ersten groben Entwurf. In den folgenden zwei Wochen haben sich zehn weitere Künstlerinnen und Künstler aus unterschiedlichen Sparten daran beteiligt Feedback zu geben, Passagen umzuformulieren und Gedanken zu ergänzen – unter anderem Bodo Wartke (Celler Schule 1998), Sahra Hakenberg (Celler Schule 2010) sowie Edith Jeske und Tobias Reitz. Am 1. April lag endlich das Ergebnis vor, auf das sich alle Beteiligten einigen konnten.“
Als Menschen aus Musik, Bildender Kunst, Literatur und Darstellender Kunst haben wir uns aus gegebenem Anlass zusammengeschlossen, um uns mit den Klima-Streiks zu solidarisieren (Präambel der Stellungnahme).
Anschließend, erzählt der engagierte Kabarettist, habe er unter anderem „das Sammeln der Erstunterzeichnungen koordiniert“ und „zusammen mit Steffen Peschel von Parents4Future Leipzig die Website geplant“. Ab jetzt soll die Organisation allerdings dezentral laufen.
„Aktuell haben wir etwa 1500 Künstlerinnen und Künstler beisammen, die den Text unterzeichnet haben.“ Auch in den Medien gab es Resonanz: „MDR Kultur hat kurz nach Veröffentlichung der Stellungnahme etwas zum Thema geschrieben (…). Viele bekannte Kolleg*innen haben Stellung bezogen. So zum Beispiel auch Konstantin Wecker.
Wer Interesse hat sich einzubringen, kann sich unter FAQ viele Fragen beantworten. „Es dürfen ruhig noch mehr werden“, meint Michael Feindler und verweist auf die Homepage. Dort kann man die Stellungnahme unterzeichnen.
Unsichtbar: Kinder & Jugendliche in Pflegeverantwortung
Von Turid Müller
Sie leben mitten unter uns. Und doch ist den Wenigsten bewusst, dass es sie gibt: Junge Pflegende. Eine Initiative setzt sich nun dafür ein, sie in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen. Ein Lied soll dafür sorgen, dass nicht nur der Kopf, sondern auch die Gefühle angesprochen werden.
Es ist das erste Mal, dass ich vor einer Fernsehkamera stehe, die sich nicht jenseits der Bühne im Publikum versteckt. Sie wird direkt vor meiner Nase sein. Etwas nervös steige ich mit Hanneli Döhner aus dem Taxi, das uns zum Drehort bringt: Der Wohnung von Julika Stich, der Gründerin von Young Helping Hands. Die Dokumentation, die heute um einige Szenen bereichert wird, bringt einen Beitrag über sie. Über ihr Leben, ihre Geschichte und ihr Engagement. In der Sendung wird es um junge Pflegende gehen. Eine Menschengruppe, die in Deutschland fast vollkommen untergeht. Sogar in Politik und Wissenschaft!
Die Tür schwingt auf und schon geht es los: Als ich Julika Stich und Janine Adomeit endlich persönlich kennenlerne (bislang haben wir lediglich telefoniert und gemailt) hängt bereits eine Tonangel über uns. Aber was sich in den ersten Minuten anfühlt wie Beobachtet-Werden, wird bald zur Gewohnheit. – Nicht zuletzt auch Dank des feinfühligen Film-Teams. Rund um die gemütliche Sitzgruppe entspannen wir uns in ein wirklich bewegendes Gespräch. Mein Wille, mich für diese Sache als Botschafterin einzusetzen, wächst immer mehr: Unfassbar, dass statistisch gesehen in jeder Schulklasse ein bis zwei Kinder betroffen sind! Und niemand weiß davon! Und das mit schwerwiegenden Folgen: Statt den Kids zu helfen, drohen Strafen für nicht gemachte Hausaufgaben und Schulschwänzen! Höchste Zeit, das öffentlich zu machen! – Und dafür sind wir schließlich hier.
Als erstes stimme ich mit meiner Morgenstimme und noch etwas wackelig in der vorm Frühstück erdachten Melodie den Song an, den ich am Vortag getextet habe. Die Reaktion überwältigt mich: Glänzende Augen. Ich bin sehr glücklich, dass es mir offenbar gelungen ist, die Essenz einzufangen. In Telefonaten und Mails mit Julika Stich und Janine Adomeit und mit Hilfe der bereitgestellten Informationen habe ich das für mich recht unbekannte Thema erforscht und in zwei Strophen, zwei Refrains und einer Bridge gebündelt. Gemeinsam diskutieren wir den Text und seine Wirkung. Die Musik soll ein Weg in die Herzen sein. Informationen allein sind nicht genug, um Menschen zu erreichen. Um sie zu bewegen braucht es mehr als den Kopf.
Es entspinnt sich ein Gespräch über die Wege der Öffentlichkeitsarbeit, die wir gemeinsam angehen wollen. Über die Probleme des Pflegesystems, das bislang oft übersieht, dass zu pflegende Personen Kinder haben, die ebenfalls Unterstützung benötigen. Und über die weiteren Dreharbeiten. Denn nach der ersten Ausstrahlung am 24.03. um 17:30 in der ARD in der Reihe Echtes Leben wird eine weitere, umfangreichere Version gesendet werden.
Wer vor März schon mal ein bisschen rein gucken möchte, kann das übrigens online tun: Auf der Facebook-Seite finden sich ein Einblick in die Dreharbeiten und viele informative Beiträge zum Thema. Teilen ist ausdrücklich erwünscht. Den es geht ja darum, #youngcarers ins Gespräch zu bringen. Und das scheint wirklich bitter nötig: Meine Facebook-Posts dazu jedenfalls haben so viel Resonanz erlebt wie selten zuvor! Es stimmt wohl wirklich: Viele Menschen haben etwas Ähnliches erlebt. Und viele von ihnen haben lange dazu geschwiegen. Die Gründe sind vielfältig. Aber so oder so scheint Austausch ein Bedürfnis zu sein. ‚Sorgen wir dafür‘, nehme ich mir vor, ‚dass Junge Pflege kein Tabu mehr ist!‘ – Nur dann ist es möglich, betroffene Familien angemessen zu unterstützen.
Als ich an diesem Tag nach Hause komme, habe ich viel gelernt. Ich bin berührt von der geballten Power, die ich heute erleben durfte. Und wild entschlossen, mein Amt als Botschafterin gut auszufüllen. Außerdem habe ich etwas über mich verstanden: Das ist mein Ding, meine ganz spezielle künstlerische Nische: Durch die seelische Brille, die ich als Psychologin nun mal aufhabe, auf politische und gesellschaftliche Verhältnisse blicken. Die Erlebnisse Betroffener in eine Form bringen, die sie mit ihren Erfahrungen abholt und diese einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht. Ich bin Dolmetscherin, die mit Texten und Tönen um Verständnis wirbt. Musikalische Lobbyistin für diejenigen, die in unserer Welt keine Lobby haben.