ExCellent durch die Krise (Weihnachts-Special)

Von Turid Müller

Der Lockdown wurde jüngst verschärft. Die Weihnachtsshows sind ausgefallen. Das Fest wird dieses Jahr wohl etwas anders als gewohnt. Die Corona-Lage ist düster. – Was macht die Kultur in dieser dunklen Jahreszeit?

Lennart Schilgen (Foto: Marcel Brell)

Ja, was macht die Kultur? – WEITER! Und vor allem: Niemals aufgeben! Mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen – vom digitalen Adventskalender bis zum satirisches Weihnachtsvermarktungs-Boykott.

Lennart Schilgen (Celle 2011):“Weihnachten ist für mich die Zeit der inneren Zerrissenheit: Den Kapitalismus verfluchen oder friedlich konsumieren? Künstlerisch integer bleiben oder zwecks Selbstvermarktung auf den Zug aufspringen? Dieses Jahr habe ich das zum Anlass genommen, mich auf meine (wenig bekannte) Punk-Vergangenheit zurückzubesinnen. Und mein Management zu grüßen.“
Was daraus geworden ist? Dieses Video! – Und natürlich die subtil darin versteckte Aufforderung, seine CD zu erwerben

 

Katie Freudenschuss

Ebenfalls nicht ohne Augenzwinkern – sondern irgendwo zwischen satirisch und emotional – verarbeitet Katie Freudenschuss (Celler Schule 2008) das Weihnachtsfest im Corona-Jahr. Mit ihrer Christmas-Single COVID-JAHR (in excelsis deo). Die kann man natürlich auch kaufen… Just saying…

 

Um Corona geht es auch im neuen Song von Kasalla, der Kölner Mundart-Band von Florian Peil (Celle 2005): „Eigentlich wollten wir keinen Song über Corona machen, weil es so offensichtlich ist, dass da jetzt alle drüber schreiben… Aber diese Krise ist so allumfassend, dass es gerade irgendwie gar nicht anders ging, weil nach acht Monaten Stillstand irgendwann nichts anderes mehr ein Thema ist, und das fließt natürlich auch in die kreative Arbeit mit ein.

Florian Peil & Kasalla (Foto: Ben Wolf)

Wir haben den Song aber textlich offen gehalten, so dass er im Prinzip zu jeder Krise passt, und nicht nur zur Corona-Krise. Beim Video haben wir allerdings dann konkret Bezug auf das Thema genommen. Es war gar nicht so einfach, in den jetzigen Zeiten so ein Video zu realisieren, und weil das Budget sehr klein war und wir natürlich auch Corona-konform drehen mussten.“

 

Mitten im Sturm und unter schwierigsten Drehbedingungen trotzt auch eine weihnachtliche Familientradition der Krise: Isabel Arnold (Celler Schule 2019) Alias HüperBel produziert mit ihrer Familie jedes Jahr ein Weihnachtsvideo. Just for fun. Und dieses Jahr geht es darin um die Wurst – nämlich um die Weihnachtswurst. Das kommt von Fachleuten – Isabels Familie lebt in Thüringen… Isabel selbst wohnt allerdings inzwischen in Dänemark. Die Video-Produktion unter Corona-Bedingungen war also ganz schön herausfordernd. Nämlich aus der Ferne. Und das bedeutete für ihre Eltern: High Tech lernen:

Isabel Arnold & Family

„Eigentlich hätte ich wie jedes Jahr am ersten Adventswochenende beim Bachadvent in meiner Heimatstadt Arnstadt auftreten sollen – im Keller meiner Eltern. Das klingt jetzt ungemütlicher als es ist – sie wohnen in einem historischen Haus mit großem Gewölbekeller. An diesem Wochenende bringe ich normalerweise neues Material mit – und den Drehplan für unser Weihnachtsvideo. Dieses Video hat sich zu einer liebgewonnenen Tradition entwickelt, bei der meine Eltern und meine Schwester für fast jeden Quatsch zu haben sind. Dieses Mal mussten aber alle für sich ihre Zeilen einsingen und ihre Szenen drehen. Das hat dazu geführt, dass mein Papa mit 66 seinen ersten wetransfer verschickt hat. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen, finde ich. Es tröstet ein ganz klein wenig darüber hinweg, dass ich zum erstem Mal in meinem Leben Heiligabend ohne sie verbringen muss. Aber die Skype-Schaltung zu ihnen und der Oma ist bereit. Auf dass es nächstes Jahr wieder persönlich geht.“

 

Turid Müller (Foto: Torge Niemann)

Auch ich (Celler Schule 2016) fröne alle Jahre wieder meiner persönlichen Weihnachtstradition: Jedes Jahr gibt es einen satirischen Weihnachtsgruß. Diesmal ist es ein Gedicht. Es war gar nicht so ohne aus dem harten Tobak diesen Jahres etwas Locker-Leichtes zu zaubern. Ich hoffe, es ist mir geglückt? – Überzeugt Euch selbst!
Ich sag schon mal:
Trotz allem: Frohe Feiertage! Und ein glückliches und gesundes neues Jahr!

O du fröhliche… – Johannes Daniel Falk im Porträt

von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

„O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit! Welt ging verloren, Christ ist geboren: Freue, freue dich, o Christenheit!“ Es ist mittlerweile Tradition, dass ich im Dezember den Textdichter eines bekannten Weihnachtsliedes porträtiere. Heute: Johannes Daniel Falk.
Legende oder Wahrheit? Ein kleiner italienischer Flüchtlingsbub, der in den Wirren der Napoleonischen Kriege im Waisenhaus von Johannes Daniel Falk in Weimar Unterschlupf gefunden hatte, soll den Herbergsvater zu dem Lied „O du fröhliche“ inspiriert haben. Der Bub sang ein sizilianisches Marienlied, die Melodie blieb Falk im Ohr und er machte ein Weihnachtslied daraus. Der Wahrheit näher kommt wohl die Annahme, der Dichter hätte „O sanctissima, o purissima, dulcis virgo Maria“ in einer 1807 erschienenen zweiten Ausgabe von Gottfried Herders Sammlung „Stimmen der Völker in Liedern“ entdeckt und 1816 neu betextet.

Falk dachte praktisch. Er wollte ein Lied schreiben, das für alle drei Hauptfeste im Kirchenjahr, also für Weihnachten, Ostern und Pfingsten geeignet war. Ein Allerdreifeiertagslied, wie er es nannte. In einer späteren Bearbeitung 1826 von Heinrich Holzschuher wurde eines der meist gesungenen Weihnachtslieder daraus. Diesen Erfolg erlebte Falk allerdings nicht mehr. Er war bereits im Februar des Entstehungsjahres gestorben. Pikanterie am Rande: Die selbe Melodie wurde auch für ein Schlachtenlied verwendet. „Hör uns, Allmächtiger, hör uns, Allgütiger, himmlischer Führer der Schlachten“ – mit diesem Text des Schriftstellers Theodor Körner auf den Lippen zogen Soldaten in den Krieg.
Zurück zu Johannes Falk. 1768 in Weimar als Sohn eines Perückenmachers geboren, musste er schon als Zehnjähriger in der Werkstatt seines Vaters arbeiten. Ein Lehrer, der seine Begabung erkannte, gab ihm Privatunterricht. Dank der Fürsprache eines Pfarrers durfte er das Gymnasium besuchen und später Theologie studieren. Falk, bekannt als kritischer Geist, brach jedoch das Studium ab, um als Publizist zu arbeiten, wo er sich im Dunstkreis von Goethe, Herder und Wieland bewegte. Unter anderem machte er sich durch die Herausgabe des „Taschenbuchs für Freunde des Scherzes und der Satyre“ einen Namen.

Eine familiäre Tragödie – vier seiner Kinder starben an Typhus – war der Anlass, das sogenannte „Rettungshaus für verwahrloste Kinder“, zu gründen. Die Napoleonischen Kriege und die Völkerschlacht zu Leipzig hatten viele Kinder zu Waisen gemacht. Falk und seine Frau Caroline setzten mit ihrem außerordentlichem Engagement einen Meilenstein in der Jugendsozialarbeit.
Nicht nur ein Denkmal in Weimar erinnert an den großen Wohltäter. Zahlreiche soziale Einrichtungen tragen heute den Namen von Johannes Falk. Er fand auch einen Platz im Evangelischen Namenkalender, am 14. Februar, seinem Todestag. Und sogar ein Asteroid ist seit 2003 nach ihm benannt. 48480 – ein Stern, der seinen Namen trägt.

ExCellent durch die Krise – Kreative Wege in Zeiten des Lockdown (Teil VI)

Zusammengestellt von Turid Müller

Ein Lockdown light sollte es werden. Nun wurde er erneut verlängert… und gerade noch mal verschärft. Lockerungen sind nicht in Sicht. Und die finanziellen Rettungspakete schaffen derart hohe Hürden, dass viele Kreative durchs Raster fallen. Das Weihnachtsgeschäft fällt ins Wasser. Wie geht die Branche damit um? – Ein paar Eindrücke…

Die Gründerinnen der Sisters of Comedy (Foto: Stefan Mager)

3 Shows hätten es 2020 werden sollen, die zeitgleich am 12.11. in Deutschland, Österreich und der Schweiz stattgefunden hätten, mit über 120 Künstlerinnen, um ein Zeichen gegen Gewalt gegen Frauen und gegen Sexismus zu setzen und um zu zeigen, dass es sehr wohl viele beruflich komische Frauen gibt. Hätte, wäre… Dieses Jahr gab es aus bekannten Gründen keine Sisters of Comedy – nachgelacht– Shows. – Um aber auch 2020 nicht ganz aus dem Fokus zu fallen und um wenigstens für ein Frauenhilfsprojekt Spenden sammeln zu können, haben Dagmar Schönleber (Celler Schule 2018) und Vera Deckers kurzerhand am 12.11. einen Livestream als „Sisters Special“ präsentiert.

In der Kölner Kneipe „Heimathirsch“, von wo aus Vera Deckers zusammen mit den Kollegen Heinz Gröning und Keirut Wenzel seit dem ersten Lockdown wöchentlich das Format „Homekneiping“ präsentieren, wurde quasi das Setting geentert und zum „Sisters special“ geladen. Einspieler von Kolleginnen wie Carmela de Feo und Patrizia Moresco, die mit Dagmar Schönleber zu den Gründerinnen der Sisters of Comedy gehören, sowie Grüße und Sketche von Lisa Feller, Daphne De Luxe, Mirja Regensburg, Rebecca Carrington, Frau Kühne, Andrea Volk, Deana Ehrich, Nora Böckler, Ariane Müller und Julia Gamez Martin (Suchtpotenzial), Ramona Schukraft (Sybille Bullatschek), Constanze Lindner, Barbara Ruscher und Katie Freudenschuss (Celler Schule 2008), der Spendenaufruf ging zugunsten des Vereins „Frauen helfen Frauen e.V.“, die zwei autonome Frauenhäuser in Köln stellen.

Der Livestream wurde über 5 Facebook-Seiten gestreamt, hatte bisher insgesamt über 15000 Aufrufe und kann immer noch zum Beispiel hier angeguckt werden.

Und spenden für die Frauenhäuser könnt ihr natürlich auch immer noch. Bisher sind immerhin gut 1000,-€ an Spenden über den Livestream zusammengekommen.

Und 2021 wird es hoffentlich wieder eine große Sisters-Sause geben, live, mit Karacho und viel Herz und Humor!

 

Aber nicht nur die Sisters haben die virtuelle Bühne unsicher gemacht: Auch Sven Garrecht (Celler Schule 2020) sucht nach neuen Gefilden im World Wide Web und gründet zusammen mit seinen Kollegen eine eigene Online-Show: Lieder machen Leute findet komplett via Videokonferenz (genauer gesagt ZOOM) statt: „Ein kleines, ausgewähltes Publikum, meine Band und ich und jedes Mal ein/e andere/r Liedermacher*in als Gast, sitzen im digitalen Studio, analog heißt das bei sich Zuhause auf der Couch. Es wird ein bisschen erzählt, das Publikum kann im Chat Fragen an den Gast stellen und es wird natürlich auch Musik gemacht. Da das live im Videochat etwas schwierig ist, gibt es vom Gast und uns jeweils ein vorproduziertes Musikvideo. Und um die Spontanität bzw. das Überraschungsmoment eines gemeinsamen Jams nicht ganz verloren gehen zu lassen, schickt uns der Gast vorher ein Video von sich. Wir haben dann eine Woche Zeit, dazu zu spielen, uns aufzunehmen und ein gemeinsames Musikvideo daraus zu basteln. Welches Lied uns geschickt wird, wissen wir nicht und der Gast hört nicht die gemeinsame Version, bevor es gesendet wird.“

Ein Ticket für die erste Folge kann man hier erwerben. Auf der Seite kann man das Video dann auch direkt sehen. Die erste Folge ist ab 18.12.20 verfügbar. Der erste Gast ist Lars Reichow.

Für die zweite Folge im Januar haben schon Lucie Mackert und Peter Fischer (Celler Schule 2018), alias Mackefisch zugesagt.

Mackefisch mit Album

 

Die beiden sind übrigens nicht nur auf der Bühne liiert, sondern auch jenseits der Bretter, die die Welt bedeuten. Als freiberufliches Künstlerpaar, deren Haushalt sich komplett durch Kulturveranstaltungen finanziert, bekommt die Mannheimer Mini-Band die Corona-Krise deutlich zu spüren. Lähmen lassen wollen sich die beiden von den widrigen Umständen aber nicht: Liedermacherin und Schauspielerin Lucie Mackert ist trotz allem intensiv mit (teilweise mit Abstandsregeln, teilweise „remote“ organisierten) Theaterproben beschäftigt, deren Finanzierung und Aufführung durch Corona jedoch ständig mit neuen Fragezeichen versehen wird. Auch Peter Fischer – Musiker, Kabarettist und außerdem Celler-Schule-Absolvent – versucht die Bühnenpause sinnvoll zu nutzen: „Wenigstens habe ich mal wieder etwas mehr Zeit zum Klavier üben. Und gelegentlich schreibe ich auch an einer kleinen Buch-Idee herum. Außerdem bilde ich mich in Sachen Homerecording fort – das wird man wie’s aussieht künftig öfter mal brauchen.“

Jutta Wilbertz mit ihrer Krimi-Sammlung

Dass es hilft der aktuellen Situation hin und wieder mit Humor zu begegnen, beweist Mackefisch im neuesten Lied Wohnzimmer. Das Duo besingt darin die zur Normalität gewordenen Home-Videochats und damit verbundenen privaten Einblicke, die nun jedermann gewährt. Hören kann man es derzeit hier auf YouTube, eine Veröffentlichung über Spotify ist geplant. Das Lied ist außerdem bereits Vorgeschmack auf das neue Album, an dem Mackefisch bereits arbeitet. Ihr Debütalbum ‚Brot und Glitzer‘, Anfang 2020 veröffentlicht und dann durch Corona stark ausgebremst, wurde von Kritikern bereits sehr gut aufgenommen: Es wurde nominiert für den Preis der deutschen Schallplattenkritik, den Förderpreis der Liederbestenliste, war ‚Persönliche Empfehlung Album‘ der Liederbestenliste im März 2020 und ließ Mackefisch die Auszeichnung mit dem Walther-von-der-Vogeldweide-Preises zuteil werden. Nur die Verleihung des Preises beim renommierten Format Songs an einem Sommerabend musste leider coronabedingt abgesagt werden. Unterstützen könnt ihr die Künstler mit einer Bestellung der CD.

 

Feli strickt

Kreative unterstützen – das hat auch Songtexterin Ilona Boraud (Celler Schule 2015) im Sinn: Sie wirbt via Facebook dafür, die Weihnachtsgeschenke dieses Jahr mit gelebter Kulturförderung zu koppeln. Unter den Künstler*innen, die sie vorstellt, sind auch viele Menschen aus dem Dunstkreis der Celler Schule – neben Peter Fischer von Mackefisch zum Beispiel auch Karla Feles (Celler Schule 2018) mit gestrickten Winterträumen, Katharin Lena Orso (Celler Schule 2016) mit ihrem Kinderbuch Ahoi Ihr wilden Piraten, Christine Raudies (Celler Jahrgang 2014) mit ihrem Kinderliederalbum, und  Jutta Wilbertz (Celle 2011) Musikkabarettistin & Krimiautorin.

Kati Orso mit ihrem Kinderbuch

Mit ihrer Aktion hofft die Absolventin, Aufmerksamkeit für die Situation der Kreativbranche zu wecken. Denn sie glaubt, „dass vielen gar nicht klar ist, wie sie Künstler*innen unterstützen können und dass diese von Streamings, YouTube etc. so gut wie kein Einkommen haben. Sie leben von Live-Auftritten (und den bei dieser Gelegenheit verkauften CDs & Merch). Auch Autor*innen haben Probleme, weil Lesungen nicht stattfinden können.“ CDs kann man übrigens am besten bei den Künstler*innen direkt kaufen. „Positiver Nebeneffekt: Dann kann man sie gewidmet und signiert bekommen.“ Das „macht es persönlicher.“

Die Idee: „Eine Win-win-win-Situation schaffen, von der Künstler*innen, Schenkende und Beschenkte etwas haben.“ Künstler*innen bekommen etwas Einkommen in einer schwierigen Zeit. Schenkende finden endlich eine Antwort auf die schwierige Frage: ‚Was schenke ich nur zu Weihnachten?!‘ Und die Beschenkten bekommen etwas viel Wertvolleres als die üblichen Verlegensheits-Wollsocken: Ein schönes wie sinnvolles Geschenk!
Tine Andersen alias Christine Raudies & Erich Sellheim (Celle 2012)

„Das Ganze soll sehr persönlich laufen, von meinen FB-Freunden zu meinen FB-Freunden. Eine kleine Aktion, aber vielleicht machen andere ja etwas Ähnliches. Ich selbst werde für dieses Weihnachtsfest auch vermehrt bei Künstler*innen einkaufen und spenden.“

Wenn das Weihnachtsgeschäft durch einen sich ständig verlängernden Lockdown ersetzt wird, ist diese freundschaftliche Kulturförderung hoffentlich Anstoß und Vorbild für andere. Ilona Boraud ist vorsichtig optimistisch: „Ich habe schon öfters Produktempfehlungen ausgesprochen. Zu konkreten Käufen führt das nur selten. Aber ich hoffe, dass das dieses Jahr anders ist.“

 

 

 

Thomas Franz und sein Malheur beim Friseur

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Der letzte Friseurbesuch endete letal. Nicht für Thomas Franz, sondern für seinen Figaro, der in seinem Salon Knall auf Fall erschossen wurde. Ob es ein unzufriedener Kunde war oder doch ein Mafioso, ist noch ungeklärt. Thomas glaubt eher an eine Mafiageschichte. Solche Bilder kriegt man nicht so schnell aus dem Kopf, aber nun hat er das Trauma auf einem Video und einem Song seiner neuen CD aufgearbeitet. „Zwischen Iro und Ironie!“, bringt es Musikerkollege Melvin Haak auf den Punkt. „Jetzt geht’s mir besser“, sagt der bayrische Liedermacher, der zur Zeit in München seinen Hausarrest absitzt und dabei den Haaren beim Wachsen zuschaut. „Jetzt geht’s mir besser“ hat er der Einfachheit halber auch die CD benannt.

ALLES EIN BISSCHEN DADA

Die skurrilen Texte bezeichnet Thomas als total konstruierte Kurzgeschichten, kurz TKKG, die er in einer Art Sprechgesang vorträgt, als depressiven bürgerlichen Hip Hop seine Musik. Alles ein bisschen Dada. So fragt er sich, wer im Raumschiff den Dreck wegmacht, beweint seinen Hamster, der im Meer ertrunken ist und die Folgen, wenn man einen Eisbecher per Post verschickt. Und das ganze mit der Attitüde eines sympathischen Losers, den man am liebsten sofort in den Arm nehmen würde, wären nicht Corona und seine Freundin dagegen. Neugierig geworden? Das Album kann man als Download überall kaufen (amazon, itunes, bandcamp etc). Die CD gibt es über bandcamp oder direkt über die Homepage von Thomas Franz. Einfach anschreiben und bestellen.

IRONISCH, TRAGIKOMISCH, ABSURD

„Meine Musik ist“, sagt Thomas, der kokett sein Alter verschweigt, „wahrscheinlich Ausdruck einer arg verspäteten Pubertät. Am besten treffen es vielleicht die Begriffe ironisch, tragikomisch und absurd. Ich freue mich immer, wenn mir was Abwegiges und Unerwartetes einfällt. Dann macht es mir auch selbst mehr Spaß, das Lied zu schreiben. Außerdem freue ich mich, wenn Leute sich nicht sicher sind, ob ich irgendetwas ernst meine oder nicht. Wahrscheinlich weil beides stimmt, also weil ein wahrer Kern drin ist, den ich dann aber künstlerisch verändert habe. Und ich freue mich, wenn Leute gleichzeitig gerührt sind und lachen. Weil meine eigenen Gefühle auch ambivalent sind.“
Die Musik ist minimalistisch. Thomas kommt mit zehn Gitarrengriffen aus und geht auch sparsam mit den Akkorden auf dem Keyboard um. Dass er nicht singen kann, hat er sich schon öfters sagen lassen müssen. Das hat ihn aber in keine Sinnkrise gestürzt. „Ist leider wahr. Von Quantenphysik verstehe ich übrigens auch nichts“, meint er lakonisch. Wenn ihm jemand sagt, er erinnere ihn an Helge Schneider, nimmt er das gern als Kompliment. „Früher wollte ich mal so werden wie Howe Gelb, ein amerikanischer Songwriter. Hier habe ich geschätzte Kolleginnen und Kollegen, wie Lennart Schilgen, Christoph Theussl, der Rockn Roll Diktator, Christian Gottschalk, aber nicht so Liedermacher als Vorbilder.“
2013 war er Stipendiat in der Celler Schule. „Dort habe ich gelernt, sauberer zu arbeiten, also mir am Ende das Lied noch einmal von außen anzuschauen und schlechte Reime und Satzverdreher herauszunehmen, weil es sonst kacke klingt. Und ich erinnere mich noch an die kreativen Partyspiele. Das war irgendwie wie im Landschulheim.“

ZWIEBACK FÜR DIE SEELE

Seit 15 Jahren pendelt Thomas zwischen Berlin und München, wenn nicht gerade die Corona-Maßnahmen dagegen sind. „München hat sich für mich immer wie zuhause angefühlt, obwohl alle Vorwürfe natürlich stimmen: es ist teuer, es ist schick, und die nicht so hohe Kultur führt ein Mauerblümchendasein – an einer Mauer, die vielleicht schon nächsten Monat eingerissen wird, und dann kommen da Büros hin oder Eigentumswohnungen.“ Regelmäßige Auftritte hat er im Vereinsheim Schwabing. In Berlin ist sein Lieblingsauftrittsort die Scheinbar. „Das ist ein kleines Varieté-Theater mit einer langen Tradition. Wenn gerade nicht Pandemie ist, kann man dort von Mittwoch bis Samstag auf die Offene Bühne springen. Leider geht es der Scheinbar nicht gut gerade, aus den allgemein bekannten Gründen. Ich hoffe, dass es sie noch lange gibt.“

AUF DER SUCHE NACH EINEM NEUEN FRISEUR

Und wie wurschtelt sich Thomas durch die Krise? „Ich komme schon klar, aber das Auftreten fehlt mir. Mein Solo-Konzertprogramm „Zwieback für die Seele“ wartet geduldig in der Schublade auf bessere Zeiten. Im September habe ich einen Songslam im Berliner Heimathafen gewonnen. Das war ein kleines Erfolgserlebnis für zwischendurch. Manchmal schaue ich mir Hamstervideos auf Youtube an und weine in meinen Zwieback. Die Haare sind mittlerweile nachgewachsen, ich müsste wieder mal zum Friseur. Halt zu einem neuen, weil der alte ist ja tot.“