Thomas Franz und sein Malheur beim Friseur

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Der letzte Friseurbesuch endete letal. Nicht für Thomas Franz, sondern für seinen Figaro, der in seinem Salon Knall auf Fall erschossen wurde. Ob es ein unzufriedener Kunde war oder doch ein Mafioso, ist noch ungeklärt. Thomas glaubt eher an eine Mafiageschichte. Solche Bilder kriegt man nicht so schnell aus dem Kopf, aber nun hat er das Trauma auf einem Video und einem Song seiner neuen CD aufgearbeitet. „Zwischen Iro und Ironie!“, bringt es Musikerkollege Melvin Haak auf den Punkt. „Jetzt geht’s mir besser“, sagt der bayrische Liedermacher, der zur Zeit in München seinen Hausarrest absitzt und dabei den Haaren beim Wachsen zuschaut. „Jetzt geht’s mir besser“ hat er der Einfachheit halber auch die CD benannt.

ALLES EIN BISSCHEN DADA

Die skurrilen Texte bezeichnet Thomas als total konstruierte Kurzgeschichten, kurz TKKG, die er in einer Art Sprechgesang vorträgt, als depressiven bürgerlichen Hip Hop seine Musik. Alles ein bisschen Dada. So fragt er sich, wer im Raumschiff den Dreck wegmacht, beweint seinen Hamster, der im Meer ertrunken ist und die Folgen, wenn man einen Eisbecher per Post verschickt. Und das ganze mit der Attitüde eines sympathischen Losers, den man am liebsten sofort in den Arm nehmen würde, wären nicht Corona und seine Freundin dagegen. Neugierig geworden? Das Album kann man als Download überall kaufen (amazon, itunes, bandcamp etc). Die CD gibt es über bandcamp oder direkt über die Homepage von Thomas Franz. Einfach anschreiben und bestellen.

IRONISCH, TRAGIKOMISCH, ABSURD

„Meine Musik ist“, sagt Thomas, der kokett sein Alter verschweigt, „wahrscheinlich Ausdruck einer arg verspäteten Pubertät. Am besten treffen es vielleicht die Begriffe ironisch, tragikomisch und absurd. Ich freue mich immer, wenn mir was Abwegiges und Unerwartetes einfällt. Dann macht es mir auch selbst mehr Spaß, das Lied zu schreiben. Außerdem freue ich mich, wenn Leute sich nicht sicher sind, ob ich irgendetwas ernst meine oder nicht. Wahrscheinlich weil beides stimmt, also weil ein wahrer Kern drin ist, den ich dann aber künstlerisch verändert habe. Und ich freue mich, wenn Leute gleichzeitig gerührt sind und lachen. Weil meine eigenen Gefühle auch ambivalent sind.“
Die Musik ist minimalistisch. Thomas kommt mit zehn Gitarrengriffen aus und geht auch sparsam mit den Akkorden auf dem Keyboard um. Dass er nicht singen kann, hat er sich schon öfters sagen lassen müssen. Das hat ihn aber in keine Sinnkrise gestürzt. „Ist leider wahr. Von Quantenphysik verstehe ich übrigens auch nichts“, meint er lakonisch. Wenn ihm jemand sagt, er erinnere ihn an Helge Schneider, nimmt er das gern als Kompliment. „Früher wollte ich mal so werden wie Howe Gelb, ein amerikanischer Songwriter. Hier habe ich geschätzte Kolleginnen und Kollegen, wie Lennart Schilgen, Christoph Theussl, der Rockn Roll Diktator, Christian Gottschalk, aber nicht so Liedermacher als Vorbilder.“
2013 war er Stipendiat in der Celler Schule. „Dort habe ich gelernt, sauberer zu arbeiten, also mir am Ende das Lied noch einmal von außen anzuschauen und schlechte Reime und Satzverdreher herauszunehmen, weil es sonst kacke klingt. Und ich erinnere mich noch an die kreativen Partyspiele. Das war irgendwie wie im Landschulheim.“

ZWIEBACK FÜR DIE SEELE

Seit 15 Jahren pendelt Thomas zwischen Berlin und München, wenn nicht gerade die Corona-Maßnahmen dagegen sind. „München hat sich für mich immer wie zuhause angefühlt, obwohl alle Vorwürfe natürlich stimmen: es ist teuer, es ist schick, und die nicht so hohe Kultur führt ein Mauerblümchendasein – an einer Mauer, die vielleicht schon nächsten Monat eingerissen wird, und dann kommen da Büros hin oder Eigentumswohnungen.“ Regelmäßige Auftritte hat er im Vereinsheim Schwabing. In Berlin ist sein Lieblingsauftrittsort die Scheinbar. „Das ist ein kleines Varieté-Theater mit einer langen Tradition. Wenn gerade nicht Pandemie ist, kann man dort von Mittwoch bis Samstag auf die Offene Bühne springen. Leider geht es der Scheinbar nicht gut gerade, aus den allgemein bekannten Gründen. Ich hoffe, dass es sie noch lange gibt.“

AUF DER SUCHE NACH EINEM NEUEN FRISEUR

Und wie wurschtelt sich Thomas durch die Krise? „Ich komme schon klar, aber das Auftreten fehlt mir. Mein Solo-Konzertprogramm „Zwieback für die Seele“ wartet geduldig in der Schublade auf bessere Zeiten. Im September habe ich einen Songslam im Berliner Heimathafen gewonnen. Das war ein kleines Erfolgserlebnis für zwischendurch. Manchmal schaue ich mir Hamstervideos auf Youtube an und weine in meinen Zwieback. Die Haare sind mittlerweile nachgewachsen, ich müsste wieder mal zum Friseur. Halt zu einem neuen, weil der alte ist ja tot.“

Engelszungenbrecher – Lieder und Schabernack mit Lennart Schilgen

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Nun ist es raus, das erste Album von Lennart Schilgen, das live im Zebrano-Theater in Berlin aufgenommen wurde. Engelszungenbrecher heißt es, genau wie Lennarts aktuelles Solo-Programm. Schon im Titel zeigt sich sein Hang zur Doppelbödigkeit. „Ich habe heute so viel vor…“, platzt der Berliner Liedermacher und Musik-Kabarettist gleich zu Beginn heraus, um dann mit einem „…mir hergeschoben“ die vollmundige Behauptung gleich wieder zu relativieren.

„Lieder und Schabernack“ machen, das mag er und das kann er. Lennart Schilgen inszeniert sich dabei als liebenswerter Nichts-auf-die-Reihe-Krieger, auf dessen To-Do-List ganz oben „Aufstehen“ steht, der aber an der Snooze-Taste oder an der verlorenen Telefonnummer scheitert. Das tut er mit soviel Musikalität, sprühendem Wortwitz und Selbstironie, dass dieses Scheitern für den Zuhörer zum reinsten Vergnügen wird. Es geht dem Liedermacher in erster Linie nicht um den schnellen Gag. Seine Texte zeichnen sich durch genaue Beobachtungsgabe, perfekte, unverbrauchte Reime und einen Hang zum Absurden aus. Das ist komisch und anrührend gleichzeitig, wenn das Komische ins Tragische kippt und umgekehrt. Und dabei sitzt Lennart immer der Schalk im Nacken wie Pippi Langstrumpf Herr Nilsson, der kleine Affe.
Lennart Schilgen erzählt nicht nur von widerspenstigen inneren und äußeren Schweinehunden und deren Zähmung, sondern auch von Frauen: von der globetrottenden Marta zum Beispiel, der er schon nachheult, bevor sie noch weg ist, oder von Miriam und ihren rotäugigen, blassen Handyfotos und vor allem von Lea, der Kurzzeitflamme, der er am Telefon gesteht, er hätte ein Lied für sie geschrieben und – Was für ein charmanter Wink mit dem Zaunpfahl an die Radiomacher! – sie solle es von ihm erfahren und nicht aus dem Radio. Lea wurde von David Wonschewski auf seinem Lieder- und Chansonblog Ein Achtel Lorbeerblatt zum Videotipp des Monats Dezember gekürt. Lennart begleitet sich selbst bei seinen Songs, er spielt Klavier und Gitarre, routiniert und vielseitig, mal zart, mal Rock’n’Roll, so wie es eben der Inhalt des Songs verlangt. „Was dabei herauskommt, ist subtiler Wahnsinn zum Wohlfühlen“, schreibt der Pressetexter. Der Mann hat Recht!

Schilgen, Absolvent der Celler Schule 2011, ist mit seinen 28 Jahren in der Szene kein Unbekannter mehr. Er hat sowohl im Alleingang als auch mit seiner Kabarett-Band Tonträger schon etliche Chanson- und Kleinkunstpreise gewonnen, darunter den 1. Preis (plus Publikumspreis) beim Potsdamer Chansonfestival 2012 – vor Georg Clementi und Konstantin Schmidt. Mit den Tonträgern gewann er 2017 die St. Ingberter Pfanne, als Solokünstler ersang er sich im selben Jahr beim Deutschen Songcontest Der Troubadour trotz gerissener Gitarrensaite den 3. Platz. 2016 gewann er den Bielefelder Kabarettpreis und ein Jahr zuvor den Deutschen Chansonpreis 2015 in der Nachwuchskategorie. „Man geht mit Freude mit auf seine doppelten Böden, man jubelt innerlich über die vielen Einfälle und Reime. Wunderbar leichte, überraschend unaufwändige und höchste einfallsreiche Songs“, hieß es in der Laudatio. „Lyrisch astreines Wortwerk … eines Reinhard Mey würdig“, schrieb der Tagesspiegel.

Erhältlich ist Engelszungenbrecher unter mail@lennartschilgen.de oder als Download bei Amazon,iTunes, Spotify, Deezer, Google Play, 7Digital und Slacker.

Neue CD von Sylvia – Die Unvollendete

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Sylvia - die Unvollendete
Sylvia – Die Unvollendete

Was kann einen himmelblauen Frühlingstag noch schöner machen? Ein Päckchen aus Berlin. Darin die neue CD der Musikkabarettistin und Chansonsängerin Sylvia – Die Unvollendete. Nach „Fang nichts mit deinem Pianisten an“ legt die ExCELLEntin (Jahrgang 2007) ihr 2. Album mit dem Titel „Egoisten müssen zusammenhalten“ vor.

Ist Ihnen dieses Phänomen vertraut? Sie lernen jemanden kennen und möchten gerne mehr über ihn erfahren. Gespannt werfen Sie die Suchmaschine Ihres Vertrauens an und stalken dem Objekt Ihrer Begierde virtuell hinterher. Sylvia tut es auch. „Ich hab dich gegoogelt heut Nacht“, gesteht sie mit leicht frivoler Stimme auf dem 1. Lied der CD, einem Lied, das man nicht mehr aus dem Ohr kriegt und das mit einer wunderbaren Pointe endet. Ein toller Einstieg! Dass die Chansons eine unerwartete Wendung nehmen, ist neben den witzigen, unverbrauchten und durchwegs perfekten (von wegen unvollendet!) Reimen eine Spezialität von Sylvia. Erstaunlich, was die Frau alles auf dem Kasten hat: Sie schreibt nicht nur die Texte, sondern auch die Melodien selbst, die – durchaus beabsichtigt – wie aus der Zeit gefallen klingen. Das macht eine ganze besondere reizvolle Mischung aus. Ihre musikalischen Vorbilder wie Friedrich Hollaender und Georg Kreisler sind unüberhörbar.

Der Bogen der Themen ist weit gespannt. Mal gibt sich Sylvia – Die Unvollendete mit entzückender Berliner Schnauze (n)ostalgisch („Wenn noch DDR wär“), mal nimmt sie den zeitgeistigen Lifestlye auf die Schippe („Nimm doch ’nen Nerd“, „Du bist fest und ich bin frei“ und „Wer kennt wen?“). „Das Bett von Jeannette“, in dessen Matratze noch Licht brennt (Was für eine köstliche Formulierung!) endet in einem Furioso. Regisseur und Chansonsänger Jo van Nelsen attestiert dem Lied absolute Kreisler-Qualitäten in Text und Melodie.

„Fang nichts mit deinem Pianisten an“, riet Sylvia – Die Unvollendete auf ihrer ersten CD. Nun hat sie es doch wieder getan. Der Mann am Klavier ist Peter André Rodekuhr, der auch zwei Duette mit der Chansonette singt. Egoisten müssen zusammenhalten. Zumindest für die Dauer von 14 Liedern. Die CD gibt es auf Amazon, I-Tunes und GooglePlay.

 

 

 

 

 

 

 

Wolfgang Hofer im Porträt

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Zwei Seelenverwandte: Udo Jürgens und sein Textdichter Wolfgang Hofer

Zwei Seelenverwandte: Udo Jürgens und sein Textdichter Wolfgang Hofer

Am 17. Februar feiert Wolfgang Hofer, einer der großen zeitgenössischen Textdichter  und Hitschreiber von Udo Jürgens, seinen 65. Geburtstag. Was läge da näher als den gebürtigen Linzer, der in den 70er Jahren als Liedermacher erfolgreich war, zu fragen: Fängt tatsächlich erst mit 66 das Leben an? Das etwas andere Porträt.

Noch mehr Musical, das wär‘ schon was!“

Im Internet lässt sich nicht sehr viel über Sie finden. Kollegen Ihres Kalibers haben eine umfassende Homepage. Stehen Sie lieber in der 2. Reihe als im Rampenlicht und wollen eigentlich von den Medien verschont bleiben?

Anfang der 70er stand ich für ein einige Jahre durchaus im Rampenlicht, nachdem ich als dahergelaufener Ösi Heino von Platz eins der ZDF-Hitparade verdrängt hatte. Mein Lied vom Trödler Abraham hatte einen außergewöhnlichen Text, und so fragten die Kollegen, ob ich auch für sie schreiben würde. Über Peter Kraus und Michael Schanze, die ich von gemeinsamen Auftritten kannte, kam ich auch zu Aufträgen für Fernsehshows. Das ging später bis „Flitterabend“, „Bambi“ und „Wetten dass…“ Irgendwann war für die Bühne einfach keine Zeit mehr. Für eine Homepage fehlen mir die Lust und die Eitelkeit.

Stammen Sie aus einem künstlerischen Elternhaus? Welche Musik wurde im Hause Hofer gehört?

Mein Vater war Buchhalter, meine Mutter hatte eine poetische Ader, die blieb aber privat. Als Kind habe ich alles gehört, was das Radio an Schlager und früher Popmusik hergab. Ich habe auch Beatles- und Rolling-Stones-Texte aus der Bravo ausgeschnitten.

Wie verlief Ihre Schullaufbahn?

Ich war ein Einser-Schüler, der im Gymnasium zum Rebellen mutierte. Als Rädelsführer der klasseneigenen OAS (Organsiation académique de sabotage) hatte ich etliches auf dem Gewissen, auch eine ziemlich satirische Maturazeitung. Dank meiner schulischen Leistungen blieben mir aber Sanktionen weitgehend erspart.

Wann machte sich Ihr dichterisches Talent zum ersten Mal bemerkbar?

Im zarten Alter von sieben Jahren habe ich einen Familienausflug in Gedichtform für die Nachwelt festgehalten. Leider hat die Nachwelt das Werk verschlampt.

War das Studium der Nachrichtentechnik nur ein Vorwand, um aus der Provinz nach Wien zu kommen?

Erwischt! Zu Hause in Linz konnte man damals nur Sozialwissenschaften studieren. So kam ich als Bastler auf die Idee, Nachrichtentechnik zu belegen, ein Teilgebiet der Elektrotechnik. Und das gab es nur in Wien! Das Studium habe ich nicht abgeschlossen. Ich war zu viel mit der Musik beschäftigt, habe jeden Tag im Keller des Studentenheims mit der Gitarre komponiert und geübt.

Wann  entstand der Wunsch, Liedermacher zu werden? Gab es Vorbilder?

In meiner Gymnasialzeit waren Protestsongs angesagt, ausgehend von amerikanischen Songwritern wie Bob Dylan, Joan Baez & Co.  Also schrieb ich unter der Schulbank weltverbessernde englische Lieder und gründete mit Schulkollegen eine Folklore-Band. Nach der Matura gingen wir auseinander, jeder in eine andere Stadt. In Wien gab es eine Nachwuchsförderung durch den Österreichischen Rundfunk ORF, und ich wurde bei einem bunten Abend im Studentenheim begutachtet und für tauglich befunden. So entstanden erste professionelle Aufnahmen im Rundfunk-Tonstudio.

Sie haben als Sänger Ihren Nachnamen abgelegt.  Wegen Wolfgang Ambros’ „Hofer“? Oder kam der erst später?

Ich fand damals, mit dem Namen „Hofer“ kann man Tiroler Freiheitskämpfer werden, aber kein Schlagersänger. Wolfgang Ambros hat seinen Hofer erst kurz darauf „die Leich‘ massakrier’n“ lassen.

Ihre Karriere als Liedermacher und Sänger begann sehr vielversprechend. Warum haben Sie damit aufgehört? Haben Sie das jemals bereut?

Warum: Siehe oben! Bereut: Nein.

Wann gingen Sie nach München?

Ich ging von Wien zuerst nach Hessen, weil in Frankfurt meine Plattenfirma ansässig war. Eine Villa im Taunus konnte ich mir nicht leisten, also habe ich in Hanau gewohnt. Da gibt es übrigens einen Stadtteil namens „Wolfgang“. Passt doch, oder? Später zog ich nach München, da riecht’s mehr nach Heimat.

Wie schafften Sie es,  für Udo Jürgens zu arbeiten? Was war das erste Lied, das Sie für ihn schrieben?

Ich war als Sänger im Management von Hans Beierlein, der auch Udo betreut hat. Da lag es nahe, mich nach Kitzbühel zu schicken  „…und jetzt schreibt mal was zusammen!“ So stand ich dann mit Herzklopfen vor einer riesigen Villa, und es begann eine wundervolle und anstrengende Zusammenarbeit. Der erste Text, den ich für Udo schrieb, hieß „Mein Klavier“. Insgesamt sind es über 100 gemeinsame Lieder. Genau weiß ich die Zahl noch nicht, mit meiner Datenbank bin ich erst beim Buchstaben K.

Was sind die bekanntesten Lieder und  was Ihre liebsten?

„Buenos Dias, Argentina,“ „Liebe ohne Leiden“, „Mein Bruder ist ein Maler“, „Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff“ und „Mit 66 Jahren…“ Lieblingslied ist schwer, vielleicht „Merry Christmas allerseits“, weil es doch recht originell ist.

Wie war die Zusammenarbeit mit Udo Jürgens? Sie haben bis zuletzt für ihn geschrieben. Die meisten Texte von  „Mitten im Leben“ sind von Ihnen. 

Die Zusammenarbeit war geprägt von einer Seelenverwandtschaft – nicht nur, weil wir beide Österreicher sind – von gegenseitigem Respekt und von höchster Akribie. Wir haben Worte oft x-mal umgedreht, bis wir zufrieden waren. Genauso ist Udo mit seinen Melodien verfahren, deshalb kamen ja auch große Lieder dabei heraus und nicht irgendwelche Allerweltschlager. Udo war ein Arbeitstier wie ich, aber am Abend war Schluss – da gab es früher Rot- und in den letzten Jahren Weißwein und ein entspanntes Essen. Nach dem obligatorischen Wodka Tonic sind wir hie und da doch wieder an den Flügel. „Buenos Dias, Argentina“ ist um drei Uhr nachts entstanden. Und wenn ich nicht mein Diktiergerät hätte laufen lassen, hätten wir uns am nächsten Tag vielleicht nicht mehr erinnert…

Wie geht es Ihnen jetzt – wenige Wochen nach seinem Tod?

Es ist alles ganz unwirklich. Ich habe noch seine Stimme im Ohr, wenn er auf den Anrufbeantworter gesprochen hat: „Jaaa, Udo hier…“ Und es ist eine brutale Erkenntnis: Letztlich bleibt auch vom größten Helden neben dem Ruhm nur eine Handvoll Asche.

Sie erleben das typische Schicksal eines Textdichters.  Alle kennen Ihre Lieder, die wenigsten wissen, dass sie von Ihnen stammen.  Ärgert Sie das? Oder freuen Sie sich im Stillen, wenn Ihnen ein „maßgeschneiderter“ Text gelingt?

Ich freu mich laut, wenn mir ein Text gelingt. Und das ist zum Glück nicht selten. So kann ich als graue Eminenz gut im Hintergrund leben. Die meisten kriegen ja eh raus, was ich mache. Wie mein Fischhändler auf dem Viktualienmarkt. Der hat mich bei der Geburtstagsgala im Fernsehen gesehen und dann ganz geschickt ein Gespräch eingefädelt, um Gewissheit zu haben.

Von Ihnen stammt auch der Hit von Margot Werner „So ein Mann“ und „Lass mein Knie, Joe“, gesungen von Wenke Myrhe. Für wen haben Sie noch geschrieben?

Hier ein kleines ABC meiner Künstler (Sänger und TV-Moderatoren): Dieter Thomas Heck mit Wolfgang HoferSalvatore Adamo, Tom Astor, Peer Augustinski, Roy Black, Gilbert Bécaud, Vivi Bach, Lill Babs, Gerhard Bronner, Axel Bulthaupt, Howard Carpendale, Costa Cordalis, Dorthe, Deutsche Fußball-Nationalmannschaft, The Eagles Charity Project, Thomas Gottschalk, Rex Gildo, Gitti & Erica, Hanne Haller, Heino, Dieter Hallervorden, Hansi Hinterseer, Eva Hermann, Chris Howland, Sigi Harreis, Bata Illic, Udo Jürgens, Jenny Jürgens, Harald Juhnke, Roland Kaiser, Peter Kraus, Johanna von Koczian, Daliah Lavi, Jürgen von der Lippe, Bruce Low, Martin Lauer, Mireille Mathieu, Nana Mouskouri, Wencke Myhre, Jürgen Marcus, Marianne und Michael, Carmen Nebel, Marianne Rosenberg, Iwan Rebroff, Dunja Rajter, Ilja Richter, Carolin Reiber, Harald Schmidt, Bud Spencer, Bobby Solo, Ingrid Steeger, Dietmar Schönherr, Michael Schanze, Sabine Sauer, Vico Torriani, Lena Valaitis, Margot Werner, Stefan Waggershausen, Günter Wewel

Sie arbeiten in München in einer Werbeagentur und werden im Februar 65. Denken Sie an die Pension oder an neue Projekte?  Nach eigener Aussage ist ja mit 66 noch lang noch nicht Schluss.

Die Werbeagentur ist eine Ente. Rente kommt für mich nicht in Frage. Keine Kreuzfahrten, Kegeltouren, Kaffeekränzchen, lieber Arbeit, da bleibt man ewig 66!

Was möchten Sie noch gerne schreiben? Und für wen?

Letztes Jahr lief in Wien mit großem Erfolg das Musical Der Besuch der alten Dame nach Friedrich Dürrenmatt. Premiere hatte das Stück bei den Thunerseespielen in der Schweiz, in diesem Jahr geht es nach Tokio. Ich habe die Songtexte geschrieben. Noch mehr Musical, am liebsten mit Pia Douwes und Uwe Kröger in den Hauptrollen, das wär schon was!

Abschließend möchte ich Sie noch um ein paar  private Infos bitten. Was  neugierige Leut’ halt so wissen wollen: Verheiratet? Kinder? Katze? Hund?

Privates ist tabu. Nur so viel: Ich bin glücklich mit einer eleganten, rheinischen Frohnatur verheiratet, lebe trotz Weißwein gesund, wohne mitten in München in der vierten Etage, nehme statt dem Lift die Treppe und brauche keine Tabletten.

Herzlichen Dank für das Interview!

PS: Wolfgang Hofer hat einen Fan besonderer Art. Tina betreibt  unter dem Namen „Wolfgang – The early Years“ auf Facebook eine öffentlich zugängliche Fanseite, die dem Sänger Wolfgang gewidmet ist. Die ist mehr als nur einen Blick wert.

 

 

Merci Conchita!

 Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Aus dem Laptöppchen geplaudert, die 1o1.: Und schuld dran ist Conchita Wurst! 😉

Das kann keinem Österreicher wuascht sein! Wir sind Songcontestsieger! Conchita Wurst, die langhaarige Diva mit Bart und Stimmgewalt, holte nach 48 Jahren (1966 gewann Udo Jürgens mit „Merci chérie“) den Titel erstmals wieder nach Österreich. Aber nicht nur die Punkte – am Ende waren es 290 – flogen Conchita zu, auch die Herzen. Sie  wurde zur „Queen of Austria“ geadelt. Das Siegerlied „Rise Like A Phoenix“ (getextet und komponiert von Charly Mason, Joey Patulka, Julian Maas und Alexander Zuckowski, dem Sohn von Rolf Zuckowski), ist Programm. Über Nacht stieg Tom Neuwirth, der die divenhafte Kunstfigur Conchita Wurst verkörpert, trotz Anfeindungen aus dem homophoben Lager zur Ikone der Toleranz auf. Dieses Anliegen steckt bereits im Künstlernamen, der vermitteln will, dass es  vollkommen wurst (also egal) ist, welche sexuelle Orientierung man /frau lebt und wie man/frau sich kleidet.

Und die Jubelsbezeugungen kommen aus allen Ecken. So meinte André Heller: „Conchita ist eine Kostbarkeit. Sie ist innerlich und äußerlich schön, von großem Bewusstsein und von ausgeprägter Klugheit.“ Auch Udo Jürgens zeigte sich begeistert: „Endlich was anderes als die Lederhosenkultur!“ Bundespräsident Heinz Fischer freute sich: „Das ist nicht nur ein Sieg für Österreich, sondern vor allem für Vielfalt und Toleranz in Europa. Dass Conchita ihren Sieg all jenen widmete, die an eine Zukunft in Frieden und Freiheit glauben, macht ihn doppelt wertvoll. Ein schöner Tag für Österreich!” Lady Gaga  twitterte: „Conchita, you complete me!“  „Man muss weder Conchita Wurst noch ihre Musik  mögen“, schrieb der Musikjournalist Karl Fluch. „Aber sie steht innerhalb eines Wertespektrums, das für viele in Europa zum Glück schon selbstverständlich ist. Der Rest musste das am Samstag zur Kenntnis nehmen.“

Während sich der Chansonsänger und Regisseur Jo van Nelsen auf Facebook freut:  „War das nicht ein superschöner ESC? Und nächstes Jahr moderiert Dagmar Koller aus Wien, und Udo Jürgens macht das Warm up!“, plagen Edgar Böhm, den Unterhaltungschef des ORF, der den Songcontest 2015 ausrichten wird, schon die Sorgen. Wo soll der ESC stattfinden? Wie viel wird er kosten? Auch für den findigen Metzger aus dem steirischen Bad Mitterndorf, dem Heimatort von Conchita Wurst, der noch vor deren Triumph eine nach ihr benannte Wurst, bestehend aus Selchfleisch, Pepperoni und Knoblauch (!), kreierte, fing die Woche mit Stress an. Er hat keine Würste mehr. Alles ausverkauft! Ein echtes Wurst Case-Sezenario!

 

 

 

 

Der Hunderter ist voll!

von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Dreieinhalb Jahre ist es nun her, dass ich zum ersten Mal aus dem Laptöppchen plauderte. Ich schrieb über die Celler Schule, mich und meine exCELLEnten Kollegen, posaunte  Erfolge und Pläne hinaus, hielt Nachrufe und Geburtstagsständchen und erzählte von Begegnungen mit Künstlerfreunden. Und nun ist er voll, der Hunderter. Um mit Stephan Sulke zu sprechen: „Mensch, ging das aber schnell!“

Ehe ich mein Laptöppchen zuklappe und allen danke fürs Lesen sage, möchte ich noch einen Blick auf eine höchst bemerkenswerte Internetseite werden, die da heißt: Deutsche Lieder. Die Bamberger Anthologie. Auf diesem Blog wird jeden Montag ein deutscher Liedtext  interpretiert. Die Bandbreite der besprochenen Werke ist sehr umfangreich, geht quer durch die Jahrhunderte und umfasst die Bereiche Schlager, Rock, Pop, Liedermacher, Rap, Elektro, Volks-, Kinder- und Kirchenlied. Das Archiv, alphabetisch und nach Veröffentlichungsjahr  geordnet, entpuppt sich als eine  wahre Fundgrube. Es reicht von Martin Luthers  „Mit Fried und Freud fahr ich heim“ von 1524 bis Adel Tawils „Lieder“ von 2013. Diese Woche wird  – passend zur Jahreszeit – das  Volkslied „Der Winter ist vergangen“ besprochen.

„Liedtexte sind wohl heute die meistrezipierte Form von Lyrik, aber zugleich eine in der Literaturwissenschaft wenig beachtete“, stellt Martin Rehfeldt, der die  Webseite seit 2012 betreibt, fest.  Der Mitarbeiter am Germanistischen Institut der Universität Bamberg ortet als Gründe für dieses Missverhältnis u. a. Vorurteile gegenüber der vermeintlich nicht interpretationsbedürftigen Popkultur und Bedenken, einen Songtext isoliert von der Musik zu untersuchen. Mit seinem Projekt will er die Kompetenz für Lyrik erweitern und das Verständnis für populäre Kultur vertiefen. Aber nicht nur Literaturwissenschaftler sind eingeladen, Beiträge zu verfassen. Die Mitarbeit von Fans ist ebenso gefragt.

Ein Salzburger fand bereits Eingang in die Bamberger Anthologie: der Kabarettist, Liedermacher und Chansonnier Peter Blaikner mit seinem Lied „Schütze du mich vor dem Wasser“. Multitalent Blaikner hat sich auch als Übersetzer von Chansons von  Georges Brassens und als Autor von Kindermusicals („Ritter Kamenbert“) einen Namen gemacht. Noch nicht in die Bamberger Athologie geschafft hat es Rapper Dame, auch ein Landsmann von mir. Mit  seinen bisherigen Songs, die sich  vorwiegend um Computerspiele drehen, traf er offensichtlich den Nerv der Zeit. Dame schaffte er es auf unglaubliche 40 Millionen (!) Klicks auf Youtube.  Nun meint er auf seiner neuen CD „Rap ist mein Hobby“, die im April erscheint: „Es wird Zeit, dass wir die Segel setzen, Zeit für ’ne Veränderung, Zeit für ’nen Tapetenwechsel…“  Das meine ich auch!

 

 

Thomas Quasthoff macht KEINE KUNST

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

„Ich wollte schon immer mal ein Chanson singen“, sagt Thomas Quasthoff, der gefeierte Star, der auf allen Opernbühnen dieser Welt zu Hause war, ehe er 2012 aus gesundheitlichen Gründen seinen Rückzug bekannt gab. Nun ist Quasthoff dorthin zurückgekehrt, wo für ihn alles begann: auf die Kleinkunstbühne. Gemeinsam mit dem Kabarettisten Michael Frowin und dem Pianisten Jochen Kilian macht er nun „KEINE KUNST“, so der Titel des Programms, mit dem er beim Salzburger Kabarett-Festival MotzArt seine Österreich-Premiere feierte. Hier kann er sich auch seinen lang gehegten Wunsch erfüllen. Für seine Chanson-Premiere wählte der große kleine Bassbariton „Hauptbahnhof“ von Pigor & Eichhorn. Darin besingt er variantenreich den Hauptbahnhof von Paris. Um am Ende draufkommen zu müssen, dass es dort gar keinen Hauptbahnhof gibt. Kunst im weitesten Sinn ist das Motto, um das sich der Abend dreht, in der Quasthoff und Frowin ihre Sangesfreude, ihre schauspielerische Wandlungsfähigkeit, ihren mitunter bitterbösen Humor und ihre enorme Bühnenpräsenz unter Beweis stellen. Und wie sie das machen, ist auch Kunst.

Nach der frenetisch beklatschten Vorstellung freue ich mich über das Wiedersehen mit Michael Frowin im Arge-Beisl. Auch schon wieder drei Jahre her, dass ich ihn, den Leiter des Theaterschiffes, bei einer Premiere in Hamburg getroffen habe. Eines meiner Lieder wird heute noch in dem Kabarettprogramm  der Drama-Queens „Versprochen!“ gespielt. Die Zusammenarbeit mit Quasthoff habe auf einer Filmgala in Berlin mit dem branchenüblichen Satz: Wir sollten mal was zusammen machen! begonnen, erzählt mir Frowin. Und Quasthoff unterhält  laut und polternd die Runde, zu der sich auch der Chansonnier Georg Clementi und der Kabarettist Jochen Malmsheimer gesellt haben, mit Schnurren aus seinem Leben. Zum Beispiel aus der Zeit,  als er noch beim NDR als Moderator arbeitete und einmal Peter Kraus in ärgste Bedrängnis brachte, als er absichtlich einen Kugelschreiber auf den Boden warf und  Kraus in seinen knallengen Jeans sich danach bücken musste. Was dann passierte, sei der Fantasie des Lesers überlassen. 

Drei ExCELLEnte in der Berliner Distel

von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

„Fang nichts mit deinem Pianisten an”, lautet der gut gemeinte, bio-graphisch angehauchte Rat der Musikkabarettistin, die sich Sylvia – Die Unvollendete nennt und als “Sächsin in the City” (nicht nur) den Berlinern im Kabarett DISTEL zeigt, was eine freche Chansonette mit Hang zu den 1920er-Jahren drauf hat. Dass sie bildhübsch, blitzgescheit und äußerst charmant ist, davon ist nicht nur Musenmutti Edith Jeske überzeugt. Nun lässt sich Sylvia aber doch auf einen Pianisten ein, und zwar auf Tilman Lucke. Lucke, ebenso wie Sylvia Absolvent der Celler Schule, Förderpreis-träger des Troubadours 2013 und Schwabe in Berlin, hat sich als politi-scher Nachwuchs-Kabarettist mit Programmen wie “Bildungslucke” und “Fünf Prozent Würde” einen Namen gemacht. 

Seit sechzig Jahren wird im legendären Kabarett DISTEL in der Fried-richstraße 101, das 1953 auf Beschluss des Ostberliner Magistrats gegründet wurde, um als Waffe im Klassenkampf eingesetzt zu werden, gestichelt. Wegen ihrer raffiniert verpackten System-Kritik wurde die DISTEL der Regierung bald ein Dorn im Auge. Nur der großen Beliebtheit beim Publikum und dem Geschick der Direktoren, Autoren und Darsteller war es zu danken, dass die DISTEL nicht geschlossen wurde. Seit 1991 ist die DISTEL ein privates Theater, in dem nach klassischer Kabarett-Tradition hemmungslos gespottet, seziert und verrissen werden darf.  

Als die DISTEL nach einem jungen, frischen Format suchte, fiel die Wahl von Sven Laude, dem Assistenten der Geschäftsführung, auf Sylvia und Tilman. “Die neue Studio-Bühne bietet Raum für Kreativität und Experiment, und so entstand die Idee zu “Frisch gepresst”, der Late-Night-Redaktion”, erzählt Sylvia. “Tilman und ich ergänzen uns gut.” An ihren ersten beiden Abenden, die am 24. und 25.Januar jeweils um 21.30 Uhr über die Bühne gehen, holen sich die beiden Lennart Schilgen ins Boot. Lennart ist ebenfalls ein Kollege der Celler Schule und Singer-Songwriter. Er heimste 2013 den 1. Preis beim Potsdamer Chanson-Festival ein und verwies dabei Georg Clementi mit seinen Zeitliedern knapp auf Platz 2.  “Lennart ist einfach gut und passt zum frischen Format”,schwärmt Sylvia.

Das Programm, kurz umrissen: “Es gibt einen Schwerpunkt, der ergänzt wird mit weiteren Themen aller Art, ähnlich wie bei einem bunten Magazin. Themen, die uns interessieren, wütend machen und amüsieren”, so die Unvollendete. “Daraus machen wir Texte, Lieder und Videos. Die Show ist ein Experiment. Ob  es gelingt, hängt auch vom Publikum ab. ”Frisch gepresst ist halb gewonnen, heißt ein altes Sprichwort. In diesem Sinne: Toi, toi, toi!

Mensch, ging das aber schnell…

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

„Mensch, ging das aber schnell… „, räsoniert Stephan Sulke in einem seiner Lieder. „Wumm-di-bumm – Halbzeit um, Mensch ging das aber schnell!“ Am 27. Dezember, feiert der Chansonnier seinen 70. Geburtstag. Und noch immer sitzt ihm der melancholische Schalk im Nacken. „Du guckst in den Spiegel und denkst, wo ist die Zeit geblieben? Aber der Spiegel lügt nicht. Du bist ein junger Mann in einem alten Körper geworden, auch wenn du noch immer ganz passabel Tennis spielst und die Treppe hoch läufst oder dir Frauen auch in Begleitung ihrer Männer schöne Augen machen.“?

Als Sohn Berliner Emigranten in Shanghai geboren und in der Schweiz aufgewachsen, startete Sulke seine Karriere als Liedermacher und Chansonnier 1963 in Paris. Unter dem Pseudonym Steff veröffentlichte er seine erste Single „Mon Tourne-Disque“, für die er den Titel „Bester Nachwuchskünstler“ einheimste und von keinem Geringeren als Maurice Chevalier ausgezeichnet wurde. Nach einigen Jahren in den USA starte Sulke Anfang der 1970er Jahre unter eigenem Namen seine Karriere. Rasch wurde er eine große Nummer im deutschsprachigen Raum, melancholisch-poetisch, schnoddrig-lakonisch, nicht so verbissen wie seine Liedermacherkollegen Wader, Wecker und Degenhardt, auch nicht so schwiegermutterkompatibel wie Reinhard Mey. Mein absolutes Lieblingslied aus dieser Zeit: Der Mann aus Russland. Sulke schrieb auch die Texte für Katja Ebsteins LP „He du da“ und Erika Pluhars LP „Beziehungen“ und landete 1982 mit „Uschi, mach kein’ Quatsch“ den größten kommerziellen Erfolg. Dabei war dieser Song nur als schnelle Trotzreaktion auf pseudoemanzipierte Zicken gedacht.

1987 zog sich Stephan Sulke vom Showbiness zurück, weil er zuviel Leere und zuviel Ego ortete, machte Bilder, Skulpturen und glücklose Geschäfte. „Der Heimwehkoller nach Musik“, O-Ton Sulke, trieb ihn 1999 wieder zurück, um wenige Jahre danach, wieder abzutauchen. Gern vergleicht sich der Künstler mit einem Löwen, der erst wieder seinen Hintern hebt, wenn er Hunger hat – Hunger aufs Singen. Vor zwei Jahren kam er mit der CD „Enten züchten hätte ich sollen“ wieder aus der künstlerische Versenkung hervor und ging zur Freude seiner langlebigen Fans auch auf Tour. Seit 2005 firmiert Sulke beim Lied- und Chansonwettbewerb Der Troubadour in  Stuttgart, als Schirmherr.

Die Themen für seine Songs scheinen dem Meister der leisen Töne noch immer nicht auszugehen. Auf die Reporterfrage: „Wie entstehen Ihre Lieder?“, antwortete er einmal: „Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Es ist ein wundersames Geheimnis, diese Muse… kommt, geht, plötzlich da, dann wieder weg. Ich weiß nur eins: Die Idee ist 10 Prozent vom Song, die restlichen 90 Prozent sind Schleifarbeit. Rotwein hilft, aber nur, wenn er gut ist.“

Pläne für heute und überhaupt?  „Nein, ich nehme den Tag wie er kommt.“ Dann bleibt mir nur noch eines: So wie der Mann aus Russland das Glas zu heben, Stephan Sulke zuzuprosten und „Za sdarowje, sa wasche sdarowje i blagabalutschje“ zu rufen.

„Ich will schreiben, bis ich 105 Jahre alt bin…“

von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Wo nimmst du eigentlich die Ideen für deine Lieder her, werde ich hin und wieder gefragt. Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal ist ein Erlebnis, das ich am eigenen Leib verspürt habe, manchmal eine Alltagsbeobachtung, manchmal ein Wort oder ein Reim, der mich zu einer Sprachbastelei animiert, manchmal im wahrsten Sinn des Wortes Erlesenes. Zu dem Lied „Lea“, das ich für Georg Clementi schrieb und von einem verliebten Hundenarren in der Midlife-Crisis erzählt, inspirierte mich meine Lieblingskolumnistin Marga Swoboda.

„Ich will gegen Zynismus und Menschenverachtung leise Töne setzen“, war ihr Credo. Wie keine andere schaffte es Marga Swoboda, mit ihren täglich erscheinenden Miniaturen, die unter dem Titel „ Tag für Tag“ und ihren Künstlerporträts, die in der Kronenzeitung eine Millionenleserschaft berühren. „ Texte voll Charme, Geschichten mitten aus dem Leben, messerscharf beobachtet und so mitreißend erzählt, als säße man am Küchentisch zuhause gegenüber“,  wie ihre Kollegin Conny Bischofsberger es beschrieb.

Auch ich gehöre zu den Marga-Süchtigen. Manche Artikel riss ich aus der Zeitung und hob sie auf, wie die Huldigung an Cornelia Froboess, die anlässlich des 70. Geburtstags am 27.  Oktober erschien. Er liegt noch auf meinem Schreibtisch, sollte er doch als Inspiration für einen möglichen Blogbeitrag dienen. „Die wunderbaren Jahre mit dem Mädchen, das alle liebten“, titelte Marga Swoboda in „Tag für Tag“, dem Anlass entsprechend im X-large Format. „Es war eine verdammt schöne Zeit, sich schon im Sandkasten zu wünschen, einmal wie Conny zu werden – Sexappeal und Musik wie frisch und sündenfrei vom Baum gefallen. Heute ist Conny  – in goldgrüner Schrift bitte! – siebzig. Und deshalb drücke ich die Knöpfe der Jukebox. Conny und Peter Kraus und Peter Weck und Peter Alexander. Goldene Zeit. Egal, wie naiv sie war. Damals wollte niemand gaga sein, um zu träumen. Nur Sonne, Mond und Sterne und Conny…“

„Ich will schreiben, bis es die Finger zulassen und bis ich 105 Jahre alt  bin“, hat Marga Swoboda einmal gesagt. Es war ihr nicht vergönnt. Sie starb am 20. November viel zu früh im Alter von 58 Jahren. „Only the good die young“, sang Billy Joel. Ein ziemlich schwacher Trost!

 

Doch darauf hereingefallen!

 

von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

 Nun sind sie also doch darauf hereingefallen, die Juroren des Troubadour 2013, allen voran Katja Ebstein, Urgestein des deutschen Schlagers („Wunder gibt es immer wieder!). Auf Tilman Luckes lammfrommes Unschuldslächeln, mit dem er von der Bissigkeit seiner politischen Couplets und Chansons ablenken will. Dabei hatte er alle ausdrücklich davor gewarnt:  Fallen Sie nicht darauf herein! So steht’s auch schwarz auf weiß im Programheft. Aber es hat nichts genützt. Am vergangenen Wochenende wurde der Schwabe aus Berlin, so Luckes Eigendefinition, mit dem 1. Förderpreis geehrt, dem kleinen Bruder des Troubadours sozusagen. Politisches Kabarett  (u. a. in der renommierten Distel in Berlin) macht Tilman Lucke schon seit acht Jahren und ist somit eigentlich dem künstlerischen Nachwuchsalter entwachsen, wie er findet. Gefreut über den Preis hat sich er sich trotzdem.

Freuen kann sich auch die Celler Schule, dass wieder zwei ExCELLEnte beim Troubadour, dem deutschsprachigen Chanson- und Liedwettbewerb, der heuer zum  neunten Mal im Ballsaal des Hotel Le Meridien in Stuttgart über die Bühne ging, von sich reden machten. Lennart Schilgen aus Berlin ersang sich den 3. Förderpreis. Wie unterschiedlich die Geschmäcker der  Juroren  bei den diversen Wettbewerben sind, zeigt folgendes: Lennart Schilgen, „nur“ Förderpreisträger beim Troubadour  2013 gewann im vergangenen Jahr den 1. Preis beim Potsdamer Chansonfestivals und verwies dort den Troubadour 2012, Georg Clementi, auf Platz 2. Der heurige Preisträger ist der in der Schweiz geborene Roger Stein. „Lieder ohne mich“ nennt er seine Songs, die zwischen Panik und Poesie changieren. DIE ZEIT schrieb: „So ein Mann kommt einem sonst nicht unter.“

Der Troubadour ist nicht nur mit 5000 Euro dotiert, er beinhaltet auch ein Konzert im Rahmen des Chansongfestes im Renitenztheater in Stuttgart im darauf folgenden Jahr. Am 24. Oktober ist es so weit: Da wird Georg Clementi gemeinsam mit Sigrid Gerlach-Waltenberger (Akkordeon) und Tom Reif (Gitarre) seine Zeitlieder zum Besten geben. „Lieder, die so berührend sind, dass die Zeit stillsteht“, wie ein Journalist vermerkte. Hingehen und Augen und Ohren machen!

Die Welt ist schön, Milord!

von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Am 10. Oktober 2013 jährt sich der Todestag von Edith Piaf, der wohl berühmtesten französischen Sängerin, zum fünfzigsten Mal. Auch nach einem halben Jahrhundert sind ihre Chansons wie „Je ne regrette rien“ und „Milord“ unvergessen. „Milord“ stammte aus der Feder von Georges Moustaki, der mit diesem Lied seine Karriere startete. Weil es Ende der Fünfziger Jahre und  Sechziger Jahre üblich war, englische und französische Hits ins Deutsche zu übertragen, wurde „Milord“ auch  übersetzt, und zwar von Ernst Bader, einem der erfolgreichsten heimischen Textdichter seiner Zeit.

Schlussendlich sang aber nicht Edith Piaf „Die Welt ist schön, Milord“, sondern die aus Ägypten stammende, in Frankreich lebende Dalida, die bereits mit der Bader-Übersetzung „Am Tag, als der Regen kam“ (Original: Le jour, où la pluie viendra) einen Riesenerfolg landete. Den Grund dafür beschrieb Ernst Bader in seinen Erinnerungen, die 1974 anlässlich seines 70. Geburtstag als Buch unter dem Titel „Die Welt ist schön, Milord“ erschienen, so:

„Eigentlich hätte Edith Piaf das Lied singen sollen. Tagelang wanderte ich gegen Mittag zur Rue Lannes, um der Künstlerin Deutschunterricht zu geben. Aber es wollte und wollte nicht klappen. Edith war wohl eine zu romanische Person, um einen nur einen Funken Gefühl  für germanische Buchstabenzusammensetzungen aufzubringen. Sie lachte nur. „Mon dieu, mon dieu, mon dieu, lass mir mein Glück nur einen Tag, mon dieu“ – so hieß unter anderem ein Titel, den sie auf deutsch für die Schallplatte singen sollte. Aber das einzige, das sie wirklich gut aussprach, war: „Mon dieu!“ Bei einem anderen Text schüttelte sie sich vor Vergnügen und meinte: „Monsieur Badderr, ich glaube, Sie wollen mir Chinesisch beibringen.“ Als sie schließlich gar keine Lust mehr zum Lernen hatte, rief sie: „Ein Wort spreche ich perfekt deutsch: Merssedess! Kommen Sie, wir fahren spazieren mit meinem neuen Auto.“ Dann setzten wir uns in den Wagen und kutschierten vergnügt durch Paris.“ 

Vor einer Deutschland-Tournee versuchte Ernst Bader noch einmal seiner berühmten Schülerin Sprachunterricht zu geben. Kurz darauf erkrankte Edith Piaf schwer und starb im 48. Lebensjahr, und zwar am 10. Oktober 1963 in Plascassier an der Côte d’Azur (und nicht – wie auf dem Totenschein steht – am 11. Oktober in Paris). 40.000 Fans kamen auf den Friedhof Père Lachaise, um für immer Abschied von „La Môme“ zu nehmen.

Edith Piaf war nur eine der über sechzig Künstler, für die Ernst Bader arbeitete. „Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage: Es gibt keinen Star der Fünfziger und Sechziger Jahre, für den ich nicht irgendwann ein Lied getextet hätte“, schrieb er in seinen Erinnerungen. „Ich war der unbekannte Vater vieler bekannter Kinder.“ Aber das ist eine andere Geschichte…