Die Welt passt in fünf Zeilen – Jens Wenzel holt den Limerick aus der Versenkung

Von Turid Müller
Mit
Limerix hat Jens „Ohrenblicker“ Wenzel eine stetig wachsende Sammlung von Limericks zum Lesen und Hören angelegt, um der ein wenig aus der Mode gekommenen Gedichtform wieder neues Leben einzuhauchen – zum Beispiel mit dem gleichnamigen Podcast.

In der Presseinformation zum neuen Projekt heißt es: „Ein Limerick ist ein fünfzeiliges Scherzgedicht mit aabba-Reimschema und einer festgelegten metrischen Struktur. Gedichte mit ähnlichem Aufbau gab es schon im Mittelalter und auch bei Shakespeare. Der erste berühmte Limerick-Dichter war der Engländer Edward Lear, der im 19. Jahrhundert Kinder mit lustigen Fünfzeilern und kleinen Zeichnungen bespaßte. In Deutschland wurde der Limerick vor allem in den 70er Jahren durch das Duo Schobert & Black populär, das Limericks der Autoren Georg Bungter und Günter Frorath vortrug.
Heute fristet der Limerick als lyrische Form in Deutschland eher ein Nischendasein. Das möchte ich ändern!“

Da war so ein Typ aus Berlin,
der hatte ‘nen ziemlichen Spleen:
Er schrieb, ganz unsäglich,
zehn Limericks täglich.
Das kam von zu viel Koffein.
(Jens Ohrenblicker)

Der Macher des Mitmach-Projektes ist hauptberuflich als Studiosprecher aktiv, und nebenbei als Liedermacher, Multiinstrumentalist, Podcaster und Autor. Seit Anfang 2022 schreibt der ExCellent (Celler Jahrgang 2016) Limericks für den Podcast Die Wochendämmerung, wodurch seine Liebe zum gereimten Fünfzeiler wiedererweckt wurde. Er begleitet Improtheatershows musikalisch und steht alle zwei Monate mit seiner Show Gerührt und geschüttelt auf der Bühne des Berliner Theaters BühnenRausch. Und er hat Ambitionen:

Limerix bietet Taschenpoesie für alle und hat sich zum Ziel gesetzt, die größte deutschsprachige Limericksammlung zu werden! Im Podcast werden regelmäßig neue, von mir im Studio eingesprochene Limericks veröffentlicht: Ob satirische Beiträge zum Weltgeschehen und über den Wahnsinn des Politikbetriebs, ob gereimter Klatsch und Quatsch über Promis und Sternchen oder klassische Limericks mit fiktiven Albernheiten an ungewöhnlichen Orten.“

Es war mal ein Rapper aus Heppenheim,
der rappte ‘nen Reim über Treppenleim.
Und als er beim Rappen
noch anfing zu steppen,
da brüllten die Fans: „Schickt den Deppen heim!“
(Jens Ohrenblicker)

Inzwischen ist die Zahl der veröffentlichten Limericks auf über 50 angewachsen. Im „Limerick-Januar 2023“ gab es sogar täglich eine Neuveröffentlichung, u.a. mit Beiträgen der ExCellentinnen Sandra Niggemann (Celler Jahrgang 2014) und Claudia Karner (Celler Jahrgang 2006) sowie dem Vorsitzenden unseres Fördervereins Willi Giere, der sich zum wahren Limerickvirtuosen entwickelt hat und von Jens zum Limericker des Monats gekürt wurde. Als nächstes Projekt ist der Druck von Limerick-Postkarten geplant.

Für alle, die sich auch mal am Projekt beteiligen möchten: Auf taschenpoesie.de gibt es ein Formular zum Einreichen eigener Werke.
Daneben gibt es eine umfangreiche Schreibanleitung mit Hörbeispielen sowie einer Limerick-Silbentabelle. Die Mission: „Limerickdichten soll ein neuer Volkssport werden!“

 

Risikobereitschaft – Feindlers Wort zum neuen Jahrzehnt

Eingestellt von Turid Müller

Das aktuelle Monatsgedicht gibt uns den Wunsch zu Besonnenheit mit auf den Weg.

 

Was werden wir aus dem neuen Jahrzehnt machen? fragt Michael Feinder. Und: Was werden die künftigen politischen Debatten bringen? Werden wir es lernen, „demokratisch notwendige“ von denen zu unterscheiden, die „überflüssig“ sind? Oder machen wir weiter wie bisher?

„Welche dieser beiden Optionen die größeren Risiken birgt, hängt vom konkreten Fall ab. Es soll ja sogar Fälle geben, in denen die unbedingte Beibehaltung eines Status quo diesen Status quo erst recht gefährdet.“ Im Gedicht geht es folgerichtig um „gesunde und ungesunde Formen von“:

 

Risikobereitschaft

 

Du hast mir häufig imponiert
mit Deinem Hang zum Risiko.
Da hab ich manchmal Neid verspürt,
noch öfter dachte ich: „Chapeau“,

 

weil ich mich selbst so wenig traute,
zumal ich das Spontane mied
und gern auf die Statistik schaute,
bevor ich irgendwas entschied.

 

Statt mich, wie Du, ins Abenteuer
zu stürzen und mal viel zu wagen,
war mir das nie so ganz geheuer
und ständig hörtest Du mich fragen:

 

„Was tust Du, wenn Dir was passiert?“
Dann kamst Du nachher grinsend an
und meintest: „Hat ja funktioniert.“
Das ändert aber nichts daran,

 

dass ich inzwischen klar erkenn:
Es ist bescheuert, was Du machst.
Das sag ich Dir persönlich, wenn
Du aus dem Koma noch erwachst.

Deutscher Freiheitsbegriff – Michael Feindlers Monatsgedicht

Michael Feindler hat ein neues Monatsgedicht und auch ein neues Bühnenprogramm.

„Worum es dabei geht?“ fragt er in seinem Newsletter. „Zum Beispiel darum“:

Deutscher Freiheitsbegriff

Ihr dürft mich online überwachen,
mich arm und dadurch kränker machen,
an Eure eig’nen Lügen glauben,
mir schließlich meine Würde rauben,
doch lasst mir bitte dreierlei,
dann fühl ich mich auch künftig frei:
Böller, Wurst und Raserei.

Appetit bekommen? Das neue Programm gibt’s hier:Ihr Standort wird berechnet„.

Im Ankündigungstext heißt es: „Im neuen Bühnenprogramm unternimmt Michael Feindler den Versuch einer Standortbestimmung, und zwar für die Menschheit im Allgemeinen: Zwischen ökologischem Kollaps, Demokratiekrise und unübersichtlichen Datenströmen will er Freiraum für politische Visionen schaffen. Das ist anmaßend, aber womöglich der einzig realistische Weg aus den Dilemmata“. Feindler meint das ernst. Nichtg nur im Kabarett. Darum schließt er in seinem Newsletter auch mit den Worten: „Vielleicht sehen wir uns ja an irgendeiner Bühne. Oder auf der Straße – aus gegebenem Anlass.“

„Frieden gibt es nicht umsonst“: Deutsch-französisches Kinderliederbuch auf Musikmesse lanciert

Von Turid Müller

Ilona Boraud (Celler Schule 2015) wollte „das Songtexten nur mal so ausprobieren, um es ganz eventuell irgendwann als Hobby zu betreiben“. Nun kann sie sich über zahlreiche Veröffentlichungen freuen. Eine der jüngsten: Ein deutsch-französisches Kinderliederbuch.

Alles fing mit einem Zufall an: Die Songtexterin wollte ihren Kollegen Peter Schindler nur fragen, ob es für ihn o.k. wär, wenn sie das gemeinsame Foto postet. Er rief zurück und stieß dabei auf ihren deutsch-französischen Anrufbeantworter. Französisch ist so eine tolle Sprache, fand er. Eine Weltsprache! Man müsse doch mal Lieder machen, halb auf Deutsch, halb auf Französisch! – Und so entstand das erste Lied. Aber: Auf einem Lied kann man nicht stehen. Es braucht eigentlich zehn, fand Schindler, damit man ein Buch draus machen kann. Gesagt, getan. Und im April wurde das Werk veröffentlicht: Kinderhits mit Witz Nr.22! Und schon ging’s auf die Musikmesse in Frankfurt!

Ilona Boraud auf der Musikmesse in Frankfurt

Der kollegiale Kontakt war der entscheidende Funke, aus dem die Idee geboren wurde: Der Komponist der Kinderlieder ist seit vielen Jahren Gast in der Celler Schule und stellt die bei der Ausschreibung die Aufgabe für das Genre ‚Kinderlied‘. „Ohne die Celler Schule hätts dieses Projekt nicht gegeben“, meint die ExCellentIn. Und natürlich auch nicht ohne den zweisprachigen Anrufbeantworter. – Auf die Frage, wie sie zu diesem kam, erzählt die mit einem Franzosen verheiratete Mutter mehrsprachig aufwachsender Kinder von ihren Studien-Jahren in Frankreich. Dort hat sie dann auch ihren Mann kennen gelernt… Zunächst habe der gemeinsame Anrufbeantworter nur Deutsch gesprochen – „dann haben die französischen Verwandten immer aufgelegt, weil sie nicht wussten, ob sie richtig verbunden sind“. Auch ein Französisch sprechender AB war keine Lösung – nun hängte die deutsche Familie irritiert auf. Die Antwort war schließlich: Zweisprachigkeit.

„Französisch ist eine schwierige Sprache? Stimmt nicht! Pas du tout ! Mit diesen Liedern beweisen wir das Gegenteil“, heißt es im Vorwort des Liederbuches, das die Vokabelliste gleich mitliefert.

Un, deux, trois, quatre. Eins, zwei, drei, vier.

Mach mit! Französisch lernen wir.

(Aus „Französisch lernen wir“. Musik: Peter Schindler. Text: Ilona Boraud.)

„Für die meisten Europäeer von heute ist es völlig selbstverständlich, in Frieden zu leben. Aber Frieden gibt es nicht umsonst. An der Völkerverständigung muss ständig aktiv gearbeitet werden, und ein Baustein dafür ist das Lernen der Sprache der jeweiligen Nachbarn“, gibt die Textdichterin zu bedenken. „Leider lassen sich Eltern bei der Sprach-Wahl ihrer Kinder vor allem davon leiten, was wirtschaftlich und für die Karriere nützlich ist. Die Sicherung des Friedens spielt bei diesen Überlegungen keine Rolle mehr.“

Vielleicht sollten wir es also öfter mal mit Ilona Borauds Anrufbeantworter halten. In diesem Sinne: „Bonjour und Guten Tag!“

 

 

„Also singe ich.“ – Christof Stählins Erbe

Von Turid Müller

Am 24. und 25. März traf sich die Christof-Stählin-Gesellschaft im Weyenhof in Wasungen. Die seit 2017 bestehende Vereinigung bemüht sich um das Andenken an den 2015 verstorbenen Christof Stählin.

Vorstand der Christof-Stählin-Gesellschaft

„Wer war Stählin für dich?“ lautet die Frage in die Runde des Liedermacher-Seminars. „Ein Lehrer“, „jemand mit Strahlkraft“, „ein Phantom“. – So unterschiedlich wie die Antworten sind, ergeben sie verschiedene Perspektiven auf ein und das selbe Thema. Das Bild, was dazu an die Tafel gezeichnet wurde, zeigt den so genannten Kaspar Hauser Turm. Ein Symbol, das Stählin in seinen ‚Unterweisungen‘ verwendet hat. Der Dichter, Liedermacher und Kabarettist hat nicht nur ein umfangreiches Werk, sondern auch seine Denk-Ansätze sowie viele begeisterte Schülerinnen.

Zwei davon führen seinen Lehre nun fort: Unter der Leitung von Matthias Binner und Martin Betz fand in der Woche vor Ostern zum wiederholten Male ein so genanntes SAGO-Seminar statt. Alte AnhängerInnen und neue Gesichter treffen sich hier, um in Sinne Stählins Grundlagen des Liedermachens zu durchdringen, einander Feedback zu geben und im Austausch künstlerisch zu reifen.

Dabei gehört es zum Konzept, dass alte Hasen, die Stählin noch kannten, neu Dazugestoßenen begegnen. Darum gab es auch ein Abschlusskonzert am Ende der Versammlung der Stählin-Gesellschaft, die direkt vorher tagte. Geladen waren die Teilnehmenden der anschließenden Fortbildung. Dargeboten wurden Lieder, Gedichte und Übersetzungen aus der Feder Stählins, sowie von ihm und seiner Lehre Inspiriertes.

SAGO heißt die Schule, die um den Altmeister herum entstand. Wer jetzt an ein fast vergessenes Getreide-artiges Produkt von Anno Knips denkt, denkt richtig: Der Name leitet sich von genau diesem Kolonialwaren-Produkt ab, für das es einst in vielen Küchenschränken eine eigene Schublade gab. Nachdem es aus der Mode kam sammelten sich hier lauter Dinge, die nirgends hin gehören: Gummibänder, Kleinstteile, Schrauben… Alles, was sonst in keine Schublade passt. So ist es auch in der gleichnamigen Liedermacher-Akademie, die man nach einem Gedicht von Stählin auch als ‚Versammlung der Inseln‘ beschreiben könnte: Lauter Individuen unterschiedlichster Genres finden sich hier zusammen. Namhafte KünstlerInnen wie Bodo Wartke, Sebastian Krämer und Dota Kehr sind schon aus der Talentschmiede hervorgegangen. Das soll auch weiterhin so bleiben.

Um das veröffentlichte wie das unveröffentlichte Werk des großen Liedermachers zu pflegen und verwalten, gründeten Stählins Familie, Freundeskreis, seine Kolleginnen und Kollegen die Stählin-Gesellschaft. Ziele der Vereinigung sind die Schaffung eines Back-Kataloges, die Archivierung des Nachlasses sowie jährliche Gedenk-Konzerte:

Durch nachträgliche Digitalisierung sollen nach und nach alle Tonträger des Künstlers zugänglich gemacht werden – auch die auf Vinyl erschienenen und die vergriffenen. Als Kanäle seien der Shop auf der Homepage, sowie die üblichen online-Plattformen angedacht. Bisher sei ein Album unentgeltlich erhältlich.

Über den zu Lebzeiten veröffentlichten Bücher- und Schallplatten-Schatz hinaus sind weitere Veröffentlichungen geplant. Es ginge darum, den Schatz zu heben und ihn für die Nachwelt zugänglich zu machen, so Vereinsmitglied Matthias Binner und Vorstandsmitglied Philipp Taubert. Auch sei beabsichtigt, die Didaktik am Leben zu halten – zum Beispiel in Form eines SAGO-Lehrbuches.

Jährlich stattfindende Konzerte zum Gedenken an Stählins künstlerisches Werk werden von wechselnden SAGOnautInnen ausgetragen. Dieses Jahr findet das Memorial-Konzert am 21.06. in der Villa Eugenia in Hechingen statt.

Christoph Stählin

Neue Mitglieder sind in der Christof-Stählin-Gesellschaft herzlich willkommen – ganz gleich ob Fans, Schülerinnen oder Neu-Einsteigende.

 

Auch ohne meine Lieder ginge die Welt nicht zugrunde.
Schön, aber ich möchte darauf hinweisen, daß die

Welt ausschließlich aus Dingen besteht, ohne die sie nicht zugrunde gehen würde.
Man kann doch nun die Welt nicht einfach so ihrer Bestandteile berauben!
Also singe ich.

(Christoph Stählin)

Etwas bleibt

„Ich bin wirklich der Meinung, dass man sich, weil man aus vielen Atomen und Molekülen besteht, in all die Bestandteile auflöst, und Mutter Natur setzt alles neu zusammen. Man verschwindet körperlich nicht. Man lebt in einer völlig anderen Weise oder bleibt der Erde in einer völlig anderen Weise erhalten.“
(Loki Schmidt)

crime & catastrophe – historisch betrachtet

Es ist wunderbar, dass der Mensch durch Schreckliches immer aufgeregt sein will. Es ist an Mord und Totschlag noch nicht genug, an Brand und Untergang; die Bänkelsänger müssen es an jeder Ecke wiederholen. Die guten Menschen wollen eingeschüchtert sein um hinterdrein erst recht zu fühlen, wie schön es ist, frei Atem zu holen.“
Das hat nicht etwa ein moderner Soap-Produzent gesagt.
Es war Goethe.