Günther Schwenn im Porträt

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Der Fasching war kurz, der diesjährige Rosenmontagkater ist längst verflogen. Wer aber glaubt, Komasaufen wäre ein Phänomen unserer Tage, der irrt. In den 1960er Jahren sang man: Schnaps, das war sein letztes Wort, dann trugen ihn die Englein fort… Günther Schwenn hatte zur Musik von Heino Gaze den Text für dieses Karnevalslied geschrieben, das Willy Millowitsch berühmt machen sollte, und sich dadurch heftige Kritik von zwei protestantischen Kirchenmännern aus Frankfurt eingehandelt. Dass Schwenn allerdings weit mehr auf dem Kasten hatte als simple Schunkellieder, zeigt dieses Porträt.

SCHÖN IST JEDER TAG…MARIE LUISE

Günther Schwenn wurde am 18. März 1903 als Adolf Hermann Carl Günther Franzke als Sohn des Kaffeegroßhändlers Eduard Franzke und dessen Frau Louise in Berlin geboren. Günther wurde sein Rufname. Später nahm er den Mädchennamen seiner Mutter als Pseudonym an. Nach dem Abitur am Humboldt-Gymnasium, das er schon 17 Jahren ablegte, studierte er Literatur-und Kunstgeschichte in Freiburg. Nach der Rückkehr nach Berlin begann seine Karriere als Kabarettist, wo Franzke/Schwenn im Küka, dem Künstlerkaffee, arbeitete – nach eigener Aussage als Direktor, Klavierspieler, Texter und Rausschmeißer in Personalunion. Seine Mitstreiter waren Erich Kästner, Werner Finck und Max Kolpe, der für eine Gage von 5 Mark seine ersten Gedichte aufsagte. Als das Küka geschlossen wurde, trat er in dem politischen Kabarett Die Wespen auf und veröffentlichte Chansontexte und Gedichte in dem Buch Gesänge gegen bar.

Nach der Machtergreifung Hitlers verschwand der Kabarettist Günther Franzke von der Bildfläche. Als Günther Schwenn kehrte er wieder, verschrieb sich von nun an der leichten Muse, wurde Schlagertexter und landete mit dem Lied Schön ist jeder Tag, den du mir schenkst, Marie Luise in dem Film Die Sonne geht auf, seinen ersten Erfolg. Dieses Lied, das Will Meisel komponierte, fand auch später Eingang in die Operette Königin der Nacht.

FÜR EINE NACHT VOLLER SELIGKEIT

Ope-rette sich, wer kann! so lautete Schwenns Devise, als er Haus- und Hoftexter des Metropoltheaters in Berlin wurde. Heinz Hentschke war dort nicht nur Direktor, sondern auch Librettist, „der letzte König und der erste Manager der Operette“, so ZEIT online. Zehn Jahre lang verfassten die beiden mit Komponisten wie Fred Raymond, Ludwig Schmidseder, Friedrich Schröder und Theo Mackeben alljährlich ein musikalisches Bühnenwerk, getreu dem Motto: Je schwerer die Zeiten, desto leichter die Unterhaltung. Die erfolgreichste Operette wurde Maske in blau (Komponist: Fred Raymond). Noch heute steht sie auf den Spielplan deutschsprachiger Musiktheater, noch heute hat man das Lied Die Julischka, die Julischka aus Buda-Buda-Budapest im Ohr.

Auch der Musikfilm kam an dem vielseitigen Texter nicht vorbei. Dank Schwenn sang sich  Marika Rökk mit viel ungarischem Temperament und ebensolchem Akzent in dem Film Kora Terry in die Herzen der deutschen Kinobesucher. Ihr Lied Für eine Nacht voller Seligkeit ist bis heute unvergessen. Die Melodie stammte von Peter Kreuder. Die meisten Filme sind in Vergessenheit geraten. Nur Witwer mit 5 Töchtern mit Heinz Erhardt in der Hauptrolle taucht Lochness-artig im Samstagsnachmittagsprogramm des Österreichi-schen Fernsehens auf.

Schwenns kreativer Output war schier unerschöpflich: Er verfasste die Liedtexte für 60 Bühnenwerke, 100 Musikfilme und über 1000 Einzeltitel, darunter: Wenn die Sonne über den Dächern versinkt (Pola Negri, Greta Keller und Hildegard Knef), Ach, Egon, ich hab ja nur aus Liebe zu dir… (Evelyn Künneke), Wenn die Glocken hell erklingen, eine Übersetzung von Les trois cloches (Fred Bertelmann, Gerhard Wendland, Lys Assia und Margot Eskens), Es kommt auf die Sekunde an (Johannes Heesters) und Durst ist schlimmer als Heimweh (Friedel Hensch). Bei seinem Auftritt im Wintergarten in Berlin wurde der Clown Charlie Rivel mit dem Lied Akrobat schö-ö-ön! überrascht, das Schwenn gemeinsam mit Fred Raymond schuf.

HEIMWEH NACH DEM KURFÜRSTENDAMM

Nach Ende des Krieges konnte Günther Schwenn seine Arbeit als Textdichter, Librettist und Autor nahtlos fortsetzen. Er engagierte sich ehrenamtlich in den Berufsverbänden, gehörte zu den Mitbegründern der GEMA-Stiftung und folgte Kurt Schwabach als Präsident des Deutschen Textdichteverbandes. In Anerkennung seiner Verdienste um die deutsche Unterhaltungsmusik wurde ihm 1979 als erstem Textdichter der Paul-Lincke-Ring verliehen, er wurde 1982 Ehrenmitglied der GEMA und erhielt 1983 die Goldene Feder des DTV.

Günther Schwenn starb am 4. Januar 1991 in Montreux am Generelle. Er wurde auf dem Friedhof Berlin-Wilmersdorf beigesetzt. Schwenn lebte seit 1959 in der Schweiz, blieb aber im Grund seines Herzens ein Berliner. Ist ja auch nicht verwunderlich bei einem, der seiner Heimatstadt eine unnachahmliche Liebeserklärung geschenkt hat: Ich hab’ so Heimweh nach dem Kurfürstendamm, ich hab’ so Sehnsucht nach meinem Berlin… Die 3 Travellers nahmen 1950 das Lied auf Platte auf, das durch die Interpretation von Marlene Dietrich und Hildegard Knef berühmt gemacht wurde. Für Bobby Kamp, den Komponisten der Berliner Hymne, blieb es allerdings ein One-Hit-Wonder.

Der während des Krieges nach London emigrierte Journalist und Kritiker Paul Erich Markus, der seine Artikel mit Kürzel PEM signierte, sprang auf den Zug auf und verwendete den Titel für seine Erinnerungen an das Berlin der Zwanziger Jahre. Das 1951 erschienene Buch wurde ein Bestseller.

 

 

 

 

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„Freiheit über alles lieben“(Beethoven): ExCellentin trifft Egmont

Von Turid Müller

 

Beate Haeckl, Celler Schule Jahrgang 2003, war schon damals – als Texterin, Autorin und Sprecherin – in vielen verschiedenen kreativen Gewässern unterwegs. Im letzter Zeit hat sie sich vermehrt dem Musiktheater zugewandt. So wurde 2015 am Théâtre de la Monnaie in Brüssel die Oper „Penthesilea“ nach Heinrich von Kleist uraufgeführt, für die sie als Librettistin mit dem französischen Komponisten Pascal Dusapin zusammenarbeitete. Als Dramaturgin wirkte sie letzthin an der Musiktheaterproduktion „Egmont“ in deutscher Sprache mit. Die Herausforderung bestand darin, das fünfaktige Drama von Goethe auf ein angemessenes Maß zu reduzieren, sowohl was die Besetzung als auch die Dramaturgie betrifft. Im Verlauf dieser zweijährigen Arbeit entstand eine Bühnenfassung, die auch einem französischen Publikum zugänglich sein sollte.

 

Fotograf: Knut Stritzke

 

Egmont! Das heißt: Beethoven bzw. Goethe! – Ein alter Schinken?
Nicht in der Pariser Inszenierung von 2017:
„Laurence Equilbey [Dirigat] und Séverine Chavrier [Regie] hatten den Wunsch, dem Werk der beiden Genies seinen ganzen Einfallsreichtum und seine Aktualität zurückzugeben, indem sie sich den Herausforderungen der Erzählung dieses vielschichtigen Stücks stellten. Hierfür haben sie gemeinsam mit der Dramaturgin Beate Haeckl eine besondere Form gewählt, die Musik, gespieltes und gefilmtes Theater und das Geschehen aus der Sicht zweier Hauptpersonen, Klara und Ferdinand, auf der Bühne vereint,“ ist in einem Paper des insula orchestras zu lesen.

 

Das Orchester spielte die von Goethe zu seinem Drama „Egmont“ in Auftrag gegebene symphonische Zwischenmusik von Beethoven, Séverine Chavrier inszenierte das auf fünf Personen reduzierte Stück in deutscher Sprache. Die Uraufführung fand im Konzertsaal der Seine Musicale auf der Ile Seguin im Südwesten von Paris statt. Der große Kulturkomplex wurde Anfang 2017 erst eingeweiht.

Die Produktion ging in Frankreich auf Tournee; im Dezember 2017 gastierte sie im Theater an der Wien.

 

Orchesterdirigentin Laurence Equilbey bringt die Besonderheit der Herangehensweise auf den Punkt: „Beethovens Bühnenmusik drängt nach Freiheit und dient dem Drama und Egmonts Welt auf prachtvolle Weise. Sie lässt uns abwechselnd seine Liebe für das Leben, sein Heldentum, seine Trauer bei Klaras Tod und die Exaltiertheit bei der triumphalen Sinfonie zum Abschluss verspüren, als Egmont für die Freiheit seines Volkes alles opfert.
Wird diese Musik allein, unabhängig von Goethes Stück gespielt, klingt sie nicht so, wie sie eigentlich sollte. Deshalb haben wir mit Séverine Chavrier und Beate Haeckl beschlossen, eine besondere Form zu schaffen, ein gefilmtes und auf der Bühne gespieltes Theater, das die wichtigsten Momente des Stücks Egmont wiedergibt und die ganze Kraft der herausragenden Musik Beethovens zum Ausdruck bringt.“

 

Altklug oder jung weise? – Michael Feindler rechnet mit Vorurteilen gegenüber der Jugend ab

Von Turid Müller

 

Im aktuellen Monatsgedicht widmet sich der junge Kabarettist einem Satz, den er schon oft gehört hat: „Das, was Sie da machen, ist echt gut… für Ihr Alter.“

 

Diese oder Ähnlich gönnerhafte Worte aus dem Munde Älterer hat wohl nicht nur er schon mal gehört. Selbst in der Politik wurde das Thema kürzlich aufgegriffen – und zwar unter dem Hashtag #diesejungenleute. Ein guter Zeitpunkt für Feindlers poetischen punch back:

Einwurf der jungen Leute

 

Ihr tragt Erfahrungen der vielen Jahre
wie einen gut gepflegten, langen Bart.
Ihr deutet stolz auf all die grauen Haare,
noch stolzer deutet ihr die Gegenwart.

Ihr werft Euch für die Außenwelt in Schale,
als mehrte dies den Inhalt Eurer Köpfe,
sitzt selbstgefällig in der Schaltzentrale
der Macht, bedient die Hebel und die Knöpfe –

nicht weil Ihr’s besser könntet, sondern schlicht,
weil Ihr als Erste dort gesessen habt.
Die Zeit hat’s Euch gegeben. Mehr war’s nicht.
„Gegeben“ heißt noch lange nicht „begabt“.

Wir sagen nicht, dass wir es besser wüssten.
Nur anders. Aber das ist auch schon was.
Wie wär es, mal gemeinsam auszumisten?
Und keine Angst: Es wird schon nicht zu krass.

Doch meidet Ihr gemeinsames Gelingen
wie Einzelkämpfer einen Staffellauf.
Ihr glaubt, wir wollen Euch zur Strecke bringen?
Uns drängt sich eher diese Frage auf:

Wozu der Stress, Euch böse aufzulauern?
Ihr habt ja keinen Vorsprung von Bestand.
Was heute jung ist, wird Euch überdauern.
Da warten wir doch lieber ganz entspannt.

Bleibt dennoch Eure Angst durch uns zu stürzen,
schaut nicht auf uns herab – das hilft uns allen!
Warum Ihr Angst habt, lässt sich drauf verkürzen:
Wer weiter oben steht, kann tiefer fallen.

In diesem Sinne wünschen wir – um mit Feindler zu sprechen:

„Frohes und gesundes Altern!“

Ewiger Moment – Debütalbum von Stefan Waldow

Stefan Waldow 3 (credits Tanja Kammel)

 

Von Claudia Karner (Celler Schule 2016)

Manche Großereignisse dauern in Hamburg länger als veranschlagt, werden dann aber noch besser als erwartet: Die Elbphilharmonie zum Beispiel oder das Debütalbum des Singer-Songwriters Stefan Waldow. Am Samstag wurde die CD Ewiger Moment im Gängeviertel in einem Release-Konzert präsentiert. Dort, wo Stefan als Mitbegründer der Konzertreihe Sängerknaben und Sirenen selbst oft und gerne als Gastgeber fungiert.

Stefan Waldow habe ich in der Celler Schule kennengelernt. Fast zwölf Jahre ist das jetzt her. Ich erinnere mich noch gut, dass er allabendlich nach Seminarschluss am Klavier saß und Der Wind schickt mir deine Lieder spielte. Eine traurige Ballade an den verflossenen Liebsten, die ich gleich zu meinem Lieblingslied erkor. Die Zeit machte nicht Halt. Stefan trägt nach einem Intermezzo mit Zylinderhut jetzt graue Schläfen und einen ebensolchen Hipster-Bart (Ob das eine Reminiszenz an den Achtel-Dänen ist, der in ihm schlummert?), geblieben ist sein jungenhafter Charme in der Stimme. Schon in der Celler Schule träumte der Sänger und Pianist von einer eigenen CD. Dass die Produktion, die durch Crowd Funding finanziert wurde, nun so lange gedauert hat, ist wohl neben diversen beruflichen Engagements auch Stefans hohem Qualitätsanspruch geschuldet. Herausgekommen ist, so steht’s im Pressetext, „ein Werk, das dem realen Prinzip Vergänglichkeit etwas entgegenzusetzen hat: Das Leben und Erleben von Musik als ewigen Moment.“

Der Wind schickt mir deine Lieder ist auch auf der CD zu hören, und zwar in einer sehr ins Ohr gehenden Salsa-Version. Stefan und seine zwei Musikerkollegen, Kai Ortmann am Schlagzeug und Christian Glauß am Bass, schufen zwölf Songs aus einem Mix aus Pop, Jazz und Chanson. Da passt mein altes/neues Lieblingslied gut dazu. Auch die anderen Texte berühren. Man spürt Stefans Affinität zum Meer (Ebbe und Flut), zur Natur (Unicornwall), seine Suche nach dem Sinn des Lebens (Wo geht die Reise hin? oder Ohne Musik) und der besonderen Liebe und Wertschätzung (Ein Mann, ein Wort).

Während ich nach dem vierten Mal Anhören des Albums noch immer grüble und grüble, was denn wohl der ewige Moment sei, wollen meine Fingerkuppen Goethes Faust zitieren: „Verweile, ach, du bist so schön!“ Das sei nun doch ein bisschen zu übertrieben, flüstert mir meine unsichtbare Kritikerin ein. Dann lasse ich es eben bleiben und lege noch einmal die CD ein.

Ich gestehe: Ich könnte sie ewig hören!

 

PS: Heute kam ein Mail von Stefan: „Der Konzertabend war wirklich etwas Besonderes für mich. Als Zugabe gab es einen neuen Song von mir, „Brücken bauen“. Den für meine Verhältnisse ungewöhnlich politischen Song habe ich ursprünglich letztes Jahr für den CITY LINK (kultureller Städteaustausch Hamburg / Kopenhagen) komponiert, wofür der Achtel-Däne in mir ein paar dänische Zeilen dazugetextet hatte. Für die Neuauflage am Samstag habe ich Unterstützung von zwei jungen Geflüchteten bekommen – von Muslim, einem Studenten aus Syrien und Siri, einer Sängerin aus Armenien, die erst auf deutsch und dann in ihrer jeweiligen Muttersprache (kurdisch und armenisch) ein paar selbst gedichtete Zeilen mit uns gesungen haben. Das war ein sehr bewegender Abschluss für alle Konzertbesucher.“

 

Fotocredit: Tanja Kammel