von Claudia Karner (Celler Schule 2006)
Schnee von vorvorgestern: Am 13. März 1965, also vor genau fünfzig Jahren, landeten die Beatles auf dem Flughafen in Salzburg. 5000 Fans standen auf dem Rollfeld (ja, das durfte man damals noch!), um The Fab Four willkommen zu heißen. Nach der Pressekonferenz ging es dann weiter in den Wintersportort Obertauern, wo die Dreharbeiten für die Agenten-Parodie Help! stattfanden. Drei Songs auf der gleichnamigen LP kennen wahre Beatles-Fans heute noch auswendig: Help, Ticket to ride und Yesterday. Hi-Hi-Hilfe! hieß die deutsche Fassung des Films. Apropos Deutsch: Haben Sie sich schon mal gefragt, wer eigentlich für Paul McCartney, John Lennon, George Harrison und Ringo Starr die deutsche Übersetzung von I want to hold your hand schrieb? Es war Camillo Felgen.
TAUSENDSASSA AUS LUXEMBURG
Camillo Felgen wurde als Camille Jean Nicolas Felgen am 17. November 1920 in in Tetingen in Luxemburg geboren. Nach Volksschule und Gymnasium besuchte er die Lehrerbildungsanstalt und war als Volksschullehrer und Dolmetscher tätig. Danach studierte Felgen Schauspiel, Gesang und Oper in Brüssel und Lüttich, schloss das Studium 1949 ab und widmete sich der leichten Muse. Seinen ersten internationalen Plattenerfolg hatte er bereits zwei Jahre später mit Bonjour les amis. Dieses Lied wurde später die Erkennungsmelodie für den französischen Sender von Radio Luxemburg. Als Camillo Felgen 1958 zum ersten deutschsprachigen Programmleiter von Radio Luxemburg, dem ersten Privatsender Europas und Vorläufer von RTL, berufen wurde, erfand er das Radio neu. Mit seiner sonoren Stimme, seiner charmanten Art zu moderieren und seiner Improvisationskunst begeisterte er Millionen von deutschsprachigen Hörern und vor allem Hörerinnen. Felgen traf den Nerv der Zeit. Seine Hitparade wurde Kult. Die großen Acht, eine Sendung, in denen er Neuerscheinungen aus aller Welt vorstellte, galt als Erfolgsbarometer für die Plattenindustrie. Das sonntägliche Wunschkonzert ist für viele heute noch unvergessen. In den 1960er und 1970er Jahren stand Radio Luxemburg – zumindest akustisch – für ein vereintes Europa. Der Fernempfang über Kurz- und Mittelwelle machte die Diskussionen über offene Grenzen und Zusammengehörigkeit obsolet. Kaum zu glauben: Es gab sogar spezielle Kofferradios mit der Radio Luxemburg-Taste. Mit einem Klick zum richtigen Sound, hieß die Devise.
JEAN NICHOLAS ALS PSEUDONYM
Camillo Felgen erfand den Werbeslogan Die fröhlichen Wellen von Radio Luxemburg und war maßgeblich an der Schaffung des Goldenen Löwen von Radio Luxemburg beteiligt, einer Auszeichnung für nationale und internationale Künstler. Auch als Sänger war er erfolgreich. Der Bariton vertrat zwei Mal Luxemburg beim Grand Prix Eurovision de La Chanson, dem Vorläufer des Eurovision Song Contests, und erreichte 1962 mit dem französischen Lied Petit Bonhomme den dritten Platz. 1968 verließ Camillo Felgen den Radiosender, denn es lockte ein neues Medium, das Fernsehen. Wetten, dass Sie seinen Nachfolger kennen? Es war – Richtig! – Frank Elstner. Felgen wechselte zum WDR und moderierte er von 1965 bis 1973 125 Mal die legendäre Fernsehsendung Spiel ohne Grenzen. Dazwischen fand das Multitalent Zeit, für sich und andere Liedtexte zu schreiben. Für sein Pseudonym Jean Nicholas nahm er Anleihe bei seinem zweiten und dritten Vornamen. Er schrieb auch unter Lee Montague,was mitunter zur Verwirrung führte. 2000 Lieder sind es im Laufe seines Lebens geworden. Einer seiner größten Hits war Sag warum?. Die Single verkaufte sich 800.000 mal. An diesen Erfolg kam nur der Titel Ich hab Ehrfurcht vor schneeweißen Haaren heran, das im Original von Bobbejaan gesungen wurde. Dieser unverwüstliche Evergreen aus dem Jahr 1961 treibt noch heute ungezählten Müttern und Großmüttern die Tränen in die Augen.
KOMM, GIB MIR DEINE HAND!
In den 1960er Jahren war so es durchaus üblich, fremdsprachige, meist englische Lieder ins Deutsche zu übertragen. So schrieb Felgen für Connie Francis den Hit Schöner, fremder Mann (während die Originalversion Someone elses boy in den USA floppte), für Peter Alexander Ich zähle täglich meine Sorgen (Original: Heartaches by the number), für Rolf Paulsen Bonanza und für die Beatles Komm gib mir deine Hand (I want to hold your hand) und Sie liebt dich (She loves you). Der Produktionsleiter des deutschen Plattenvertriebs war der Überzeugung, dass die Beatles in Deutschland nur Erfolg hätten, wenn es auch eine deutschsprachige Fassung gäbe. Felgen flog nach Paris, wo er im Nobel-Hotel Georges V John Lennon und Paul McCartney traf. Ihm blieben nicht einmal 24 Stunden Zeit, um die Texte zu verfassen und mit den zwei Pilzköpfen die Songs phonetisch einzustudieren. Fast wäre das Unterfangen gescheitert, zu sehr plagten sich John und Paul mit der deutschen Aussprache. Am 29. Januar 1964 wurden im Pariser Tonstudio Pathé Marconi die neuen Texte aufgenommen und über die Original-Musikspuren gelegt. Nicht einmal eine Woche später, am 4. Februar 1964, erschienen die Aufnahmen als Komm, gib mir deine Hand/Sie liebt dich liebt Dich (Odeon 22671) und erreichten einen fünften beziehungsweise siebten Rang der deutschen Hitparade.. Letztendlich war die englischsprachige Originalfassung erfolgreicher. Sie war die acht Wochen auf Platz 1 und wurde im April 1964 von O my Darling, Caroline von Ronny verdrängt. Heute werden die beiden Songs als Kuriosum gewertet. Sie sind die einzigen Lieder, die die Beatles in Deutsch aufgenommen haben und obendrein die einzigen, die außerhalb von London entstanden sind.
1987 zog sich Camillo Felgen offiziell aus der Medienwelt zurück. Sich auf seinen Lorbeeren ausruhen, wollte der Radiopionier auch im fortgeschrittenen Alter nicht. Er schrieb französische und deutsche Chansons, spielte Theater und wirkte in Filmen mit, u. a. in Andy Bauschs Le Club des Chômeurs. 2004 drehte der luxemburgische Filmemacher eine Dokumentation über seinen Landsmann unter dem Titel Monsieur Warum – als kleine Anspielung an dessen größten Erfolg Sag warum. Ein Jahr später, am 17. November 2005, verstummte die wunderbare Stimme von Camillo Felgen für immer.
Auch fast zehn Jahre nach seinem Tod scheint er unvergessen zu sein. So betreibt Meike Konrad aus Offenbach im Internet eine liebevoll gestaltete Fanseite, um das Andenken an jenen Mann zu bewahren, der den Beatles Sätze wie O du bist so schön, schön wie ein Diamant. Ich will mit dir gehen. Komm gib mir deine Hand in den Mund gelegt hat. Übrigens: Im Original ist der Text auch nicht besser!