Ein Prosit der Gemütlichkeit – Bernhard Dietrich im Porträt

von Claudia Karner (Celler Schule 2006)
„Ein Prosit, ein Prosit der Gemütlichkeit, ein Prosit, ein Pro-o-sit der Gemütlichkeit…“ Das ist der Allzeit-Wiesn-Hit schlechthin. An die neun Millionen Menschen besuchen jährlich das Münchner Oktoberfest, das größte Bierfest der Welt, kurz Wiesn genannt. ein-Prosit-der-GemuetlichkeitWer jemals dort in einem Bierzelt auf den Bänken tanzte, der weiß: An diesem Lied kommt keiner vorbei. Auch wenn die Bayern das gar nicht gerne hören: Das Loblied auf die Gemütlichkeit schrieb ein Sachse, Bernhard Dietrich aus Chemnitz.
OANS, ZWOA, GSUFFA
Du lieber Herr Gesangsverein! Es muss wohl Ende des 19. Jahrhunderts gewesen sein, dass Bernhard Dietrich diese epochalen Zeilen für seine Sangesbrüder verfasste. Viel ist nicht aus seinem Leben bekannt. Er war von 1860 bis 1896 Mitglied des Jakobs-Kirchenchores in Chemnitz, sang bei einem nach ihm bekannten Doppelquartett und betätigte sich, wie aus dem Chemnitzer Stadtarchiv hervorgeht, neben seiner Arbeit als Prokurist als Komponist. Seine Hymne auf die Gemütlichkeit fand bei den Männerchören Gefallen und wurde in alle Richtungen getragen, so auch nach München auf das Oktoberfest. Dort wurde es mit einem Schlachtruf „Oans, zwoa, gsuffa!“ von den Bayern ergänzt. Die Idee dazu dürfte aus dem nicht minder berühmten Lied „In München steht ein Hofbräuhaus“ stammen, das von Wilhelm „Wiga“ Gabriel (Musik) und Klaus Siegfried Richter (Text) verfasst wurde. Heute werden mit jedem Prosit, das vom jeweiligen Kapellmeister mit einem „Die Krüge hoch, die Krüge hoch!“ eingeleitet wird, die Bierzeltbesucher zum Griff zum Maßkrug ermuntert. Und diese kommen der Aufforderung gerne nach. Bis 3000 (!) Euro sollen dabei in die Kasse des Wiesn-Wirts gespült werden, geht das Gerücht. Was die Wiesn-Wirte allerdings heftigst dementieren.

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Foto: Die Krüge hoch! ©Exithamster

DIE KRÜGE HOCH, DIE KRÜGE HOCH!
Der Komponist Bernhard Dietrich hingegen ging leer aus. Er konnte den Siegeszug seines Liedes nicht mehr erleben und starb 1902. Seine Sangesbrüder attestierten ihm in der Traueranzeige edle, unvergessliche Charaktereigenschaften. „In seinen köstlichen Liedergaben wird sein Andenken bei uns stets fortleben.“ Dass zumindest eine dieser musikalischen Köstlichkeiten unsterblich wurde, dafür sorgte Georg Lang, ein fränkischer Gastwirt, der Wirt vom Gasthaus“Zum Krokodil“ in Nürnberg. Er revolutionierte das Münchner Oktoberfest, in dem er durch einen geschickten Schachzug fünf Bierbuden anmietete und auf diesem Platz das erste große Bierzelt errichtete. Er war es auch, der zum ersten Mal eine Musikkapelle aufspielen ließ. Aber weil es in dem Riesenzelt immer so laut herging und die Musik kaum zu hören war, teilte man beim Eingang Liedtexte aus, damit die Besucher mitsingen konnten.

SÜSSER DIE TANTIEMEN NIE KLINGEN…
Lauthals im Bierzelt zu mitzusingen, dieser Brauch hat sich bis in unsere Tage erhalten. bildAber was macht einen heutigen Wiesn-Hit aus? „Die Melodie muss ins Ohr gehen und der Text darf nicht zu kompliziert sein. Zumindest der Refrain muss von allen mitgegrölt werden können. Oder wenigstens eine Zeile“, sagt Walter Bankhammer, der Kapellmeister der Niederalmer. Und der muss es ja wissen, schließlich spielt seit 20 Jahren mit seiner Showband im Schützen-Festzelt auf. Sein Tipp für den Wiesn-Hit 2016? „Lulapalu“ von Andreas Gabalier oder „Ham kummst“ von Seiler und Speer. Die drei Herren dürfen sich – gemäß dem Motto: Süßer die Tantiemen nie klingen… schon jetzt die Hände reiben.

 

 

Walter Rothenburg im Porträt

 

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Walter Rothenburg
Walter Rothenburg

Wenn die Deutschen ihr kollektives Glücksgefühl gesanglich ausdrücken wollen, sei es nun bei einer feucht-fröhlichen Geburtstagsrunde oder nach einem gewonnenen Fußballmatch im Stadion, kommen sie an einem Gassenhauer nicht vorbei: So ein Tag, so wunderschön wie heute! Auch in den nächsten Wochen wird er während der Fußball-EM in Frankreich vermutlich landauf, landab aus Abertausenden Fan-Kehlen klingen. Eine gute Gelegenheit also, jenen Mann vorzustellen, dem vor 65 Jahren dieser Text eingefallen ist: Walter Rothenburg.

O DU VLAAMISCHE DEERN

Walter Rothenburg wurde am 28. Dezember 1889 in Hamburg-Eimsbüttel geboren. Sein Vater Joseph war ein Brauereivertreter, sein Großvater Charles Schriftsteller und Verleger. Schon in jungen Jahren zog es Walter in die Ferne. Anstatt Brötchen zu backen, wie es die Eltern gewollt hätten, fuhr er als Schiffsjunge zur See. 1899 war er bei der Kaiserlichen Marine im Einsatz. Bereits in dieser Zeit schrieb er Lieder auf Plattdeutsch. Sein erstes überliefertes Lied verfasste er 1916 an der Flandernfront, wo er im Kriegseinsatz war: O du vlaamsche Deern. Überaus erfolgreich war seine Zusammenarbeit mit dem Volkssänger Charly Wittong, mit dem er u.a. Couplets vom Hamburger Fährjung (Fohr mi mol röber!) und An de Eck von de Steenstroot schrieb. Die Lieder wurden so populär, dass sie heute viele Hamburger für alte Volksweisen halten.

KAMPF UM MEISTER UND MILLIONEN

In den Zwanziger Jahren startete Rothenberg, der in den USA mit dem Boxsport in Berührung gekommen war, in Deutschland eine sensationelle Karriere als Boxpromotor. 1925 veranstaltete er den ersten Boxkampf im Berliner Sportpalast. Für den Kampf Walter Neusel gegen Max Schmeling ließ er 1934 in Hamburg eine Sandrennbahn in der Nähe des Tierparks Hagenbeck innerhalb weniger Wochen zu einer Arena umgestalten, die fast 100.000 Besuchern Platz bot – ein Zuschauerrekord, der bis heute nicht eingestellt wurde. Für den Kampf Max Schmeling gegen den Amerikaner Steve Hamas ließ er ein Jahr später innerhalb von 42 Tagen in Hamburg eine Lagerhalle in die größte überdachte Sportarena der Welt umbauen. Die Hanseatenhalle umfasste 25.000 Sitzplätze, der Madison-Square-Garden in New York nur 20.000. Der Sieg gegen Hamas ermöglichte Schmeling, Ex-Weltmeister im Schwergewicht, wieder in Amerika als Boxer Fuß zu fassen und 1936 gegen Joe Louis anzutreten. Zuvor hatte sich Schmeling auch als Schauspieler und Sänger versucht. Das Lied Das Herz eines Boxers aus dem Film Liebe im Ring schrieb allerdings nicht Rothenburg, sondern Fritz Rotter.

SO EIN TAG, SO WUNDERSCHÖN WIE HEUTE

Nebenbei, aber vor allem nach seinem Abschied vom Ring war Rothenburg, der seine Erinnerungen in dem Buch Kampf um Meister und Millionen festhielt, als Schriftsteller und Textdichter tätig. Er schrieb Glossen, Gedichte und Kurzgeschichten, die mit seinem Spitznamen, dem Kürzel Wero, versah. Für das 1949 gegründete Hamburger Abendblatt verfasste er Kolumnen mit Lokalkolorit und veröffentlichte Gedichtbände in Plattdeutsch.

 

Freddy Quinn
Freddy Quinn

Als Liedtexter war er so produktiv, dass seine Komponisten Lotar Olias, Michael Jary, Gerhard Winkler und Gerhard Jussenhoven kaum nachkamen. Du, du, du, laß mein kleines Herz in Ruh‘, im Original gesungen von Lonny Kellner, wurde in der Übersetzung als You, you, you, – Interpreten waren The Ames Brothers – als erstes deutsches Lied nach dem 2. Weltkrieg Nummer 1 in der amerikanischen Hitparade. 1951 gelang Walter Rothenburg mit So ein Tag so wunderschön wie heute sein größter Hit. Als Auftrittslied der Mainzer Hofsänger in der Fastnacht 1952 wurde es über Nacht zur Karnvalshymne. 1954 wurde der Schlager in den Unterhaltungsfilm Geld aus Luft eingebaut, und Lonny Kellner verhalf ihm so zu weiterer Popularität. Auch Ernst Neger, Freddy Quinn und Heino nahmen es in ihr Repertoire auf, und sogar beim Fall der Berliner Mauer sangen Tausende Menschen: „So ein Tag, so wunderschön wie heute, so ein Tag, der dürfte nie vergeh’n…“ Und noch ein Lied aus der Feder von Walter Rothenburg ist bestens geeignet für die Bekundung grenzenlose Freude: Oh, wie bist du schön! Die Musik dazu stammt von Willibald Quanz.

JUNGE, KOMM BALD WIEDER!

1954 brachte der Komponist Lotar Olias im Operettenhaus in Hamburg die Revue-Operette Heimweh nach St. Pauli heraus. Die Story war dem singenden Seemann Freddy Quinn auf den Leib geschrieben. Das Libretto stammte von Gustav Kampendonk und Heinz Bruck, die Liedtexte u. a. von Kurt Schwabach, Ernst Bader, Stephan Weiss und Walter Rothenburg. Rothenburg gelang mit Junge, komm bald wieder! der ganz große Wurf. 1963 wurde das Musical verfilmt. Junge, komm bald wieder führte dreizehn Wochen die deutsche Hitparade an. 2,5 Millionen Singles wurden verkauft.

Seine letzten Lebensjahre verbrachte der fernwehgeplagte Wero mit seiner fünften Ehefrau, die er der Einfachheit halber Weroline nannte, und Yorkshire-Terrier Lord Simon in Ascona in der Schweiz. Nicht aus Steuergründen, sondern der gesunden Luft wegen, wie er einmal dem Hamburger Abendblatt anvertraute. Rothenburg starb am 10. März 1975 in Ascona, wurde aber als echter Hamburger Jung in Hamburg-Ohlsdorf beigesetzt. Ihm zu Ehren wurde eine Brücke im Stadtteil Neuallermöhe benannt.

 

 

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In der Bar zum Krokodil

von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

„Sie machte sich nen Schlitz am Kleid und pfiff dann auf die Sittsamkeit, tirili, tirila…“ Wenn das nicht das ideale Motto für die kommenden närrischen Tage ist! Eingefallen ist dieser köstliche Doppelreim Fritz Löhner-Beda vor mehr als achtzig Jahren. Sie stammen  aus dem Lied „In der Bar zum Krokodil“. Fritz Löhner-Beda? Nie gehört?

Löhner erlitt das Schicksal vieler großer Textdichter. Seine Lieder kennt man noch heute, seinen Namen nicht. 1883 in Böhmen als Beda Löwy geboren und in Wien aufgewachsen, war er Star des deutschsprachigen Entertainments der 1920er und 1930er Jahre.  „Ausgerechnet Bananen“, „Was machst du mit dem Knie, lieber Hans“ oder „ O Donna Clara“ – alle diese  wunderbaren,  unvergesslichen Lieder stammen aus seiner Feder. Lieder, die sich durch feine Ironie, herzerfrischenden Humor, charmante Zweideutigkeiten und höchste Reimkunst auszeichnen. Fritz Löhner-Beda arbeitete auch als Operettenlibrettist und schuf mit dem Komponisten Franz Lehár die Operetten  „Land des Lächelns“, „Guidetta“ und „Schön ist die Welt“.

Die berühmtesten Interpreten von Löhners Schlagern waren wohl die Comedian Harmonists, die erste Boy-Group der Welt, die in den frühen 1930er-Jahren Triumphe feierten.  Was für ein Glück, dass viele dieser Gassenhauser   mehr als fünfzig Jahre von Max Raabe und dem Palast Orchester wieder entdeckt wurden! „Die Lieder klingen frisch und lebendig wie am ersten Tag“. So ist es auf Max Raabes Homepage nachzulesen  Ach, was waren das noch für unbeschwerte Zeiten, als man bedenkenlos drauf losklau… pardon schreiben konnte! 😉   Und dort erfährt man auch, dass gerade die neueste CD „Küssen kann man nicht alleine“ erschienen ist. Max Raabe hat sie gemeinsam mit Annette Humpe geschrieben und produziert, als sie Pause von ihrem zweiten Ich machte.

Wer mehr über Fritz Löhner-Beda wissen möchte:  Zwei Bücher zeichnen sein Leben, das auf tragische Weise  1942 im KZ Ausschwitz endete, nach: „Dein ist mein ganzes Herz. Die Geschichte von Fritz Löhner-Beda, der die schönsten Lieder der Welt schrieb und warum Hitler ihn ermorden lieߓ und  „Kein Land des Lächelns“ von Barbara Denscher und Helmut Peschina (Residenz Verlag).

Wer „In der Bar zum Krokodil“ hören möchte, sollte schnell auf die YouTube drücken. Und dann nichts wie raus ins Faschingsgetümmel!