„Orongsch“: Rainer Bielfeldts neues Album – ein Baby der Celler Schule

von Turid Müller

Achtzehn Songs. Etliche Kreative – alle aus dem Celler Dunstkreis. Ein Album.

 

Rainer Bielfeldt (Foto: Tiago Bielfeldt)

Rainer Bielfeldt hat ein Album veröffentlicht, an dem viele Kolleginnen (und ich zitiere an dieser Stelle das Booklet: „Männer sind mitgemeint…“) mitgestrickt haben. Das Gemeinschaftsprojekt beginnt mit dem Liebeslied „Glückspilz“; beim Text haben Sandra Niggemann (Celler Schule 2014), Mario Rembold (Celle 2015) und Tanja Svejnoha (beide Celle 2015) mitgewirkt – ebenso an „Ungeweinte Tränen“ und am Titelsong.
„Zug nach Hagen“, ursprünglich von Tim Fischer interpretiert, und „Auf dem Weg zu Dir“ haben – wie so viele Ohrwürmer des Chansoniers – Texte von Edith Jeske.
Johanna Hanf und Uli Lux (beide Celle 2020) haben an „Du bist mein Lieblingslied“, einer Liebeserklärung an einen Herzensmenschen, mitgeschrieben. „Zwei Euro sechsundfünfzig“, mitgetextet von David Quaas, Dagmar Schönleber und Carsten Thiele (alle Celle 2018) ist eine moderne „Father and Son“-Unterhaltung. In „Krokus“Angelika Glitz, Manuel Westermann, Lorelay (alle Celle 2019) und Rainer Bielfeldt) wird ein Mensch besungen, der so ein Kämpfer ist, wie das namensgebende Blümchen, das Eis und Schnee zum Trotze Blüten trägt.
Die „Geisterbahn“ – unter anderem von Matthias Ningel, Björn Patrick Pfeiffer und Anne Folger (alle Celle 2019) – besingt das nostalgische Jahrmarktsabenteuer als einzige Konstante in der dem stetigen Wandel unterworfenen Welt. Ein anderes Fahrgeschäft behandelt „Big Dipper“ – unter Beteiligung von Barbara Berrien (Celle 2011), Tillman Graach (Celle 2015) und Hannes Potthoff (Celle 2017).

(Gestaltung: Tiago Bielfeldt)

„Keine Angst“ ist ein berührendes Mutmach-Duett von und mit Lorelay und Rainer Bielfeldt. Erdmann Lange hat das sehnsuchtsvolle „Mehr als Freunde“ getextet. „Wie gut, dass wir kein Paar sind“ aus der Feder von David Quaas, Carsten Thiele und Rainer Bielfeldt feiert eine Freundschaft, die viele zerbrochene Beziehungen überlebt hat; „Weich gelandet“ (Angelika Glitz & Rainer Bielfeldt) nimmt dagegen mit hoffnungsvollem Blick das Ende der Liebe aufs Korn.
Dass das Leben auch noch an seinem Abend neue Liebesgeschichten schreibt, das verspricht „Nie zu alt für neue Märchen“ mit einem Text von Angelika Glitz.
Unter Mitwirkung von Manuel Westermann entstanden, sind zwei sehr persönliche Nummern: für seine brasilianisch-peruanische Nichte Laura: Laurinha (Lass dein Herz niemals vergiften)“ und für seinen Bruder „Bielfeldt Brothers Band“.
Nur „Home!“ ist allein vom Künstler selbst – das gemeinsame Schreiben hat es ihm angetan.

 

„Für das Celler Schule Seminar 2015 schlug Tobias Reitz vor, ein Songcamp auszuprobieren: gemeinsames texten in einem festen (und ziemlich sportlichen) Zeitfenster.

In Schlager und Pop war dieses Vorgehen schon ziemlich üblich, für mich im Bereich Chanson war es absolut neu. In diesem Jahr entstand gemeinsam mit Barbara Berrien, Annette Müller und Tillman Graach an einem halben Tag Pflanz Lavendel auf mein Grab – ein Lied, das zunächst von Tim Fischer auf seinem Album Absolut veröffentlicht wurde und danach von mir auf Zwei Leben, und das mittlerweile einen Grundpfeiler meines Solorepertoires darstellt. Unser jährliches Song- und Chansoncamp wurde zu einer festen Einrichtung und einem Höhepunkt der jährlichen Seminare.

Auf meinem gerade veröffentlichten Best-of-Doppelalbum Was bisher geschah stammen die Texte der insgesamt 30 Lieder zu einem Drittel aus Kooperationen mit Teilnehmer:innen der Celler Schule; weitere 14 schrieb die Chefin und Grande Dame des Chansontextes höchstpersönlich: meine langjährige (wir feiern 2023 unseren 40. Jahrestag) Freundin Edith Jeske.“

Carlo Karges im Porträt

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

„Hast du etwas Zeit für mich? Dann singe ich ein Lied für dich von 99 Luftballons auf ihrem Weg zum Horizont…“ 1983 traf Carlo Karges mit diesem Song, der die Neue-Deutsche-Welle-Band Nena an die Spitze der heimischen und internationalen Charts katapultierte, den Nerv der Zeit. Eine Erinnerung an den Gitarristen und Texdichter, der am 31. Juli seinen 70. Geburtstag begangen hätte.

WER SCHMETTERLINGE LACHEN HÖRT

Carlos Karges, geboren am 31. Juli 1951 in Hamburg, träumte schon als kleiner Junge von einer Musikerkarriere. Mit 20 wurde er Gitarrist und Keyboarder bei der Hippie-Band Novalis an, für die er das romantische Gedicht „Wer Schmetterlinge lachen hört, der weiß, wie Wolken schmecken“ schuf, das oft fälschlicherweise dem Dichter Novalis zugeschrieben wird, nachdem sich die Gruppe benannt hatte. Das Lied ist vergessen, die erste Zeile lebt heute als Kalender- und Wandtattoo-Spruch weiter. Nach einem kurzen Gastspiel bei der NDW-Band Extrabreit lernte er 1982 die Sängerin Susanne Gabriele Kerner, genannt Nena, kennen, die gerade dabei war, mit ihrem Freund, dem Schlagzeuger Rolf Brendel, eine neue Musikgruppe zu gründen und einen Gitarristen suchte.

99 LUFTBALLONS

Als die Rolling Stones am 8. Juni 1982 in Berlin ein Open Air-Konzert in der Waldbühne spielten, wurden am Ende der Show Tausende Luftballons in den Nachthimmel geschickt. Was wäre wohl, wenn die Luftballons in die DDR rüberfliegen würden? dachte sich Carlo Karges, einer der 22.000 Konzertbesucher. Könnten sie für atomar bestückte Flugojekte gehalten werden, die einen militärischer Gegenschlag zur Folge hätten? Er spann diese verrückte Idee weiter und textete einen Song, zu dem sein Bandkollege Uwe Fahrenkrog-Petersen die Musik komponierte. „Carlo, das ist das Beste, was du je geschrieben hast“, meinte Nena begeistert, obwohl es die Plattenfirma ganz anders sah. Es fehle der Refrain, es gäbe keine richtige Hookline. Und mitsingen könne man auch nicht. Was für ein Glück, dass sich Nena gegen die Plattenbosse durchsetzte.

IRGENDWIE, IRGENDWO, IRGENDWANN

Brendel schwärmt noch heute über seinen Freund und Bandkollegen: „Carlo war ein Rockpoet, der es verstand, Texte zu schreiben und Musik zu komponieren, die einen sofort mit auf eine Reise nehmen.“ Aus Carlos Feder flossen noch weitere erfolgreiche Songs: “Irgendwie, irgendwo, irgendwann”, aus dem die wunderbare Zeile „Liebe wird aus Mut gemacht“ stammt, “Rette mich” und Vollmond“. Nach fünf Jahren ging die beispiellose Erfolgsgeschichte zu Ende. Die Musiker waren ausgebrannt, das vierte Album lag bleischwer in den Regalen, die Band löste sich 1987 auf. Für Carlo begann eine unaufhaltsame Talfahrt. Wie hatte er es nur geschafft, in kürzester Zeit ein Millionenvermögen durchzubringen? „Nun, das ist ganz einfach. Man braucht nur einen ausgeprägten Hang zum süßen Leben, ausreichend Verschwendungssucht, ein übersteigertes Ego, wirtschaftliches Unvermögen und ein paar schlitzohrige Finanzberater“, so beschrieb es Rolf Bendel in dem Buch “Nena – Geschichte einer Band“. Dazu kamen auch noch immense Steuerschulden. Carlo versuchte, sich ein zweites Standbein neben der Musik zu schaffen. Aber auch das ging schief. Das Café Carlo, ein Musikcafé in Berlin, musste er nach einem Jahr wieder zusperren. Die Kundschaft war ausgeblieben, er selbst sein bester Gast geworden. Seine Band “Café Carlo” blieb ebenfalls erfolglos. Als die Plattenfirma Sony seine neuen Projekte ablehnte, schickte Karges erbost dem Chef ein Paket mit all seinen Gold- und Platinplatten, die er zuvor in Stücke gehackt hatte. Und dann zerkrachte er sich auch noch mit Nena.

ICH BIN DIE LIEBE

1994 zeigte der einstige Star aber noch einmal, was er konnte, schrieb nach seiner Versöhnung mit der Sängerin für ihr Soloalbum “Und alles dreht sich” zwei Titel („Vor deiner Tür“ und “Ich bin die Liebe“) und arbeitete 1996 als Texter am ZDF-Soundtrack-Album “Nena und die Bambusbären-Bande” mit. In den darauffolgenden Jahren kriegte er aber nichts mehr auf die Reihe. Er spielte bei unbedeutenden Bands und ertränkte seinen Frust im Alkohol. Am 30. Januar 2002 starb Carlo Karges im Alter von 51 Jahren in Hamburg an Leberkrebs und wurde im Urnenhain am Friedhof Ohlsdorf anonym beigesetzt. Am 31. Juli 2021 hätte Carlo seinen 70. Geburtstag gefeiert.
“Hab‘ ’nen Luftballon gefunden. Denk‘ an dich und lass‘ ihn fliegen…”

Fotonachweis: Die Fotos stammen aus dem Buch „Nena – Geschichte einer Band“ von Rolf Brendel, das Carlo Karges gewidmet ist. Das Porträtfoto hat Jim Rakete gemacht.

Freundschaft fürs Leben: Jahreshauptversammlung vom Freundeskreis Celler Schule

Von Turid Müller

Der Förderverein der Celler Schule, ins Leben gerufen, um der der Masterclass der GEMA-Stiftung auch auf dem Papier den richtigen Rahmen zu geben, tagte am 04. Juli. Dank moderner Technik waren alle Vereinsmitglieder (virtuell) anwesend. Teilgenommen wurde von unterschiedlichsten Orten aus – zu Wasser und zu Land.

Man mag es kaum glauben – aber: Hinter dem kreativen Treiben der Nachwuchs-Schmiede steckt mittlerweile auch ein gehöriger Batzen Vereinsmeierei. Glücklicherweise kann der junge Verein dabei auf die Unterstützung von Willi (Hans-Wilhelm Giere) setzen. Er begleitet die Vereinsmitglieder (und, wie er augenzwinkernd bei der Sitzung anmerkte, auch die „Mitgliederinnen“) mit kundigem Kopf durch den Bürokratie-Dschungel.
Dank gilt auch dem nach der Entlastung frisch verabschiedeten Vorstand – und ganz besonders Gordon Buschle für seine (wie es im Protokoll heißt) „Verdienste bei der Gründung des Vereins und die jahrelange Tätigkeit als Vereinsvorsitzender“.
Als neuen Vorstand können wir begrüßen: Hans-Wilhelm-Giere (1. Vorsitzender), Tobias Reitz (2. Vorsitzender), Peter Heske (Kassenwart) und Thomas Paul Schepansky (Kassenprüfer). Für die Zukunft hofft der Verein auf eine paritätischere Besetzung.

Was gibt es sonst Neues?
„In diesem Jahr wird von Barbara Berrien wieder eine Sonderspende für den Hans-Bradtke-Förderpreis auf dem Vereinskonto eingehen“; in Kürze wird es einen aktuellen Flyer für den Förderverein geben und die Planungen für die (Corona-bedingt) auf 2022 verschobene 25-Jahr-Feier der Celler Schule sind in vollem Gang.

 

Apropos Corona-Krise: Die Situation der Kulturbranche zeigt einmal mehr, wie wichtig solche Netzwerke und Strukturen für uns Kulturschaffende sind. Und leider auch, dass wir sie selbst aufbauen müssen, weil es sonst keiner tut. Der Förderverein ist ein starker Begleiter der Celler Idee. Und damit er noch stärker wird, freut er sich über Eure Unterstützung.

Making of:
Der erste LYRIKON geht an Edith Jeske

ein Beitrag von Edith Jeske

 

Was für ein Tag!
Eine hochkarätige Fachjury hat mich ausgewählt für den LYRIKON.

Beim Sommerfest des Deutschen Textdichterverbands 2020 hätte mir der Preis verliehen werden sollen. Wegen Covid-19 wurde das Fest abgesagt, und auch für 2021 sind die Aussichten kaum besser.
Also Plan B.

Foto: Felix Pitscheneder
Foto: Peter Heske

Am 13. Januar rollt der Kleintransporter auf unsere Einfahrt. Ihm entsteigen ein vierköpfiges Kamerateam und Dr. Jürgen Brandhorst. Im Laderaum: Das ganz große Besteck. Nach zwei Stunden ist das ganze Erdgeschoss voll mit Kameras auf Stativen, mit Kabeln, Scheinwerfern, Reflektoren, Diffusoren, Monitoren und Menschen mit FFP2-Masken.

 

 

Maske tragen, Abstand halten, lüften, literweise Desinfektionsmittel, als wärs nicht ohne das schon kompliziert genug.
Ein unter so erschwerten Bedingungen so reibungslos arbeitendes, hochkonzentriertes und unfassbar achtsames Team habe ich noch nie erlebt.

 

Mein Lichtdouble Peter mit einem Mottoshirt von Marcel Brell, dem Fred-Jay-Preisträger 2015 Foto: Felix Pitscheneder

 

 

Wir haben bis in den Nachmittag einen Riesenspaß. Das YouTube-Video wird bald fertig sein und dann online gehen.

Auch der andere Kerl im Haushalt hat was für Technik übrig und will die flimmernden Gerätschaften näher untersuchen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zum Abschied ein Gläschen Sekt – im Freien, mit doppeltem und dreifachem Abstand. Wir können uns grade noch sehen. Zurufen klappt aber gut.

v.l.n.r.: Dr. Jürgen Brandhorst, Edith Jeske Christin Wenke, Benedikt Dorn, Sebastian Stein, Felix Pitscheneder

 

 

 

Wie fühlt sich eine frischgebackene LYRIKON-Preisträgerin?
Glücklich. Beschenkt. Dankbar. Und ihr ist gründlich bewusst, dass ohne die Komponist*innen und die Interpret*innen gar niemand von dem Stück Papier Kenntnis nähme, das den Schreibtisch verlässt und seine Reise ins Ungewisse antritt.

 

 

Ich muss wohl ein Glückskind sein. Schon damals, als ich (wie Ludwig Lorenz sagt) als Kind in die Buchstabensuppe gefallen bin. Danke euch allen, die ihr dazu beigetragen habt, dass ich darin schwimmen lernen durfte.
Zusammen sind wir gut.
Und nur zusammen.

Foto: Felix Pitscheneder

O du fröhliche… – Johannes Daniel Falk im Porträt

von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

„O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit! Welt ging verloren, Christ ist geboren: Freue, freue dich, o Christenheit!“ Es ist mittlerweile Tradition, dass ich im Dezember den Textdichter eines bekannten Weihnachtsliedes porträtiere. Heute: Johannes Daniel Falk.
Legende oder Wahrheit? Ein kleiner italienischer Flüchtlingsbub, der in den Wirren der Napoleonischen Kriege im Waisenhaus von Johannes Daniel Falk in Weimar Unterschlupf gefunden hatte, soll den Herbergsvater zu dem Lied „O du fröhliche“ inspiriert haben. Der Bub sang ein sizilianisches Marienlied, die Melodie blieb Falk im Ohr und er machte ein Weihnachtslied daraus. Der Wahrheit näher kommt wohl die Annahme, der Dichter hätte „O sanctissima, o purissima, dulcis virgo Maria“ in einer 1807 erschienenen zweiten Ausgabe von Gottfried Herders Sammlung „Stimmen der Völker in Liedern“ entdeckt und 1816 neu betextet.

Falk dachte praktisch. Er wollte ein Lied schreiben, das für alle drei Hauptfeste im Kirchenjahr, also für Weihnachten, Ostern und Pfingsten geeignet war. Ein Allerdreifeiertagslied, wie er es nannte. In einer späteren Bearbeitung 1826 von Heinrich Holzschuher wurde eines der meist gesungenen Weihnachtslieder daraus. Diesen Erfolg erlebte Falk allerdings nicht mehr. Er war bereits im Februar des Entstehungsjahres gestorben. Pikanterie am Rande: Die selbe Melodie wurde auch für ein Schlachtenlied verwendet. „Hör uns, Allmächtiger, hör uns, Allgütiger, himmlischer Führer der Schlachten“ – mit diesem Text des Schriftstellers Theodor Körner auf den Lippen zogen Soldaten in den Krieg.
Zurück zu Johannes Falk. 1768 in Weimar als Sohn eines Perückenmachers geboren, musste er schon als Zehnjähriger in der Werkstatt seines Vaters arbeiten. Ein Lehrer, der seine Begabung erkannte, gab ihm Privatunterricht. Dank der Fürsprache eines Pfarrers durfte er das Gymnasium besuchen und später Theologie studieren. Falk, bekannt als kritischer Geist, brach jedoch das Studium ab, um als Publizist zu arbeiten, wo er sich im Dunstkreis von Goethe, Herder und Wieland bewegte. Unter anderem machte er sich durch die Herausgabe des „Taschenbuchs für Freunde des Scherzes und der Satyre“ einen Namen.

Eine familiäre Tragödie – vier seiner Kinder starben an Typhus – war der Anlass, das sogenannte „Rettungshaus für verwahrloste Kinder“, zu gründen. Die Napoleonischen Kriege und die Völkerschlacht zu Leipzig hatten viele Kinder zu Waisen gemacht. Falk und seine Frau Caroline setzten mit ihrem außerordentlichem Engagement einen Meilenstein in der Jugendsozialarbeit.
Nicht nur ein Denkmal in Weimar erinnert an den großen Wohltäter. Zahlreiche soziale Einrichtungen tragen heute den Namen von Johannes Falk. Er fand auch einen Platz im Evangelischen Namenkalender, am 14. Februar, seinem Todestag. Und sogar ein Asteroid ist seit 2003 nach ihm benannt. 48480 – ein Stern, der seinen Namen trägt.

Thomas Franz und sein Malheur beim Friseur

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Der letzte Friseurbesuch endete letal. Nicht für Thomas Franz, sondern für seinen Figaro, der in seinem Salon Knall auf Fall erschossen wurde. Ob es ein unzufriedener Kunde war oder doch ein Mafioso, ist noch ungeklärt. Thomas glaubt eher an eine Mafiageschichte. Solche Bilder kriegt man nicht so schnell aus dem Kopf, aber nun hat er das Trauma auf einem Video und einem Song seiner neuen CD aufgearbeitet. „Zwischen Iro und Ironie!“, bringt es Musikerkollege Melvin Haak auf den Punkt. „Jetzt geht’s mir besser“, sagt der bayrische Liedermacher, der zur Zeit in München seinen Hausarrest absitzt und dabei den Haaren beim Wachsen zuschaut. „Jetzt geht’s mir besser“ hat er der Einfachheit halber auch die CD benannt.

ALLES EIN BISSCHEN DADA

Die skurrilen Texte bezeichnet Thomas als total konstruierte Kurzgeschichten, kurz TKKG, die er in einer Art Sprechgesang vorträgt, als depressiven bürgerlichen Hip Hop seine Musik. Alles ein bisschen Dada. So fragt er sich, wer im Raumschiff den Dreck wegmacht, beweint seinen Hamster, der im Meer ertrunken ist und die Folgen, wenn man einen Eisbecher per Post verschickt. Und das ganze mit der Attitüde eines sympathischen Losers, den man am liebsten sofort in den Arm nehmen würde, wären nicht Corona und seine Freundin dagegen. Neugierig geworden? Das Album kann man als Download überall kaufen (amazon, itunes, bandcamp etc). Die CD gibt es über bandcamp oder direkt über die Homepage von Thomas Franz. Einfach anschreiben und bestellen.

IRONISCH, TRAGIKOMISCH, ABSURD

„Meine Musik ist“, sagt Thomas, der kokett sein Alter verschweigt, „wahrscheinlich Ausdruck einer arg verspäteten Pubertät. Am besten treffen es vielleicht die Begriffe ironisch, tragikomisch und absurd. Ich freue mich immer, wenn mir was Abwegiges und Unerwartetes einfällt. Dann macht es mir auch selbst mehr Spaß, das Lied zu schreiben. Außerdem freue ich mich, wenn Leute sich nicht sicher sind, ob ich irgendetwas ernst meine oder nicht. Wahrscheinlich weil beides stimmt, also weil ein wahrer Kern drin ist, den ich dann aber künstlerisch verändert habe. Und ich freue mich, wenn Leute gleichzeitig gerührt sind und lachen. Weil meine eigenen Gefühle auch ambivalent sind.“
Die Musik ist minimalistisch. Thomas kommt mit zehn Gitarrengriffen aus und geht auch sparsam mit den Akkorden auf dem Keyboard um. Dass er nicht singen kann, hat er sich schon öfters sagen lassen müssen. Das hat ihn aber in keine Sinnkrise gestürzt. „Ist leider wahr. Von Quantenphysik verstehe ich übrigens auch nichts“, meint er lakonisch. Wenn ihm jemand sagt, er erinnere ihn an Helge Schneider, nimmt er das gern als Kompliment. „Früher wollte ich mal so werden wie Howe Gelb, ein amerikanischer Songwriter. Hier habe ich geschätzte Kolleginnen und Kollegen, wie Lennart Schilgen, Christoph Theussl, der Rockn Roll Diktator, Christian Gottschalk, aber nicht so Liedermacher als Vorbilder.“
2013 war er Stipendiat in der Celler Schule. „Dort habe ich gelernt, sauberer zu arbeiten, also mir am Ende das Lied noch einmal von außen anzuschauen und schlechte Reime und Satzverdreher herauszunehmen, weil es sonst kacke klingt. Und ich erinnere mich noch an die kreativen Partyspiele. Das war irgendwie wie im Landschulheim.“

ZWIEBACK FÜR DIE SEELE

Seit 15 Jahren pendelt Thomas zwischen Berlin und München, wenn nicht gerade die Corona-Maßnahmen dagegen sind. „München hat sich für mich immer wie zuhause angefühlt, obwohl alle Vorwürfe natürlich stimmen: es ist teuer, es ist schick, und die nicht so hohe Kultur führt ein Mauerblümchendasein – an einer Mauer, die vielleicht schon nächsten Monat eingerissen wird, und dann kommen da Büros hin oder Eigentumswohnungen.“ Regelmäßige Auftritte hat er im Vereinsheim Schwabing. In Berlin ist sein Lieblingsauftrittsort die Scheinbar. „Das ist ein kleines Varieté-Theater mit einer langen Tradition. Wenn gerade nicht Pandemie ist, kann man dort von Mittwoch bis Samstag auf die Offene Bühne springen. Leider geht es der Scheinbar nicht gut gerade, aus den allgemein bekannten Gründen. Ich hoffe, dass es sie noch lange gibt.“

AUF DER SUCHE NACH EINEM NEUEN FRISEUR

Und wie wurschtelt sich Thomas durch die Krise? „Ich komme schon klar, aber das Auftreten fehlt mir. Mein Solo-Konzertprogramm „Zwieback für die Seele“ wartet geduldig in der Schublade auf bessere Zeiten. Im September habe ich einen Songslam im Berliner Heimathafen gewonnen. Das war ein kleines Erfolgserlebnis für zwischendurch. Manchmal schaue ich mir Hamstervideos auf Youtube an und weine in meinen Zwieback. Die Haare sind mittlerweile nachgewachsen, ich müsste wieder mal zum Friseur. Halt zu einem neuen, weil der alte ist ja tot.“

Schlagerstern in Gold für den Fernando Express – und wie man aus Mangos einen Tango macht

2020 vergab Radio Schlagerrallye (www.schlager-rallye.de) bereits zum 16. Mal die Awards für die Titel, die in der sendereigenen Hitparade im gesamten Jahr am erfolgreichsten waren.

Mehr als 500 Songs wurden vorgestellt. Der begehrte Schlagerstern in Gold ging an Fernando Express für „Tango unter Palmen“ – in diesem Jahr leider ohne Preisverleihungsgala. Groß ist die Freude trotzdem – vor allem bei Bandleader Josef Eisenhut.

Ilona Boraud und Josef Eisenhut

Seine musikalische Idee hatte er ein gutes Jahr zuvor an Ilona Boraud geschickt, die schon die Ballade „Sternschnuppennacht“ getextet hatte (Musik: Christof Bergman). Die ExCellentin (Celler Schule 2015) schrieb zunächst über „Mangos unter Palmen“, doch Josef Eisenhut hatte die Idee – passend zu den „Königen der Tanzpaläste“, wie der Fernando Express auch genannt wird – daraus „Tango unter Palmen“ zu machen. Kurzerhand wurde umgetextet.
Und das hat sich gelohnt!

Übrigens stammt auch der Titelsong des Albums von einem Absolventen der Celler Schule: Alexander Scholz (Celler Schule 2013) Im August 2019 wurde „Tango unter Palmen“ vorab als Single ausgekoppelt und war in zahlreichen Hitparaden vertreten, darunter eben auch die Schlagerrallye, wo der Song viermal hintereinander Platz 1 belegte.

Dank seiner treuen Fans – und einem treffsicheren Blick für ihr Autorenteam – ist der Fernando Express auch über 35 Jahre nach Bandgründung aus dem Schlager nicht wegzudenken.
Das muss Heidi, Hans und Josef erst einmal jemand nachmachen!
Wir gratulieren!

 

ExCellent durch die Krise – Kreative Wege in Zeiten des Lockdown (Teil I )

Von Turid Müller

Was machen eigentlich die Absolvent*innen der Celler Schule jetzt, wo die Spielstädten geschlossen sind? – Weiter! Aber oft auf anderem Wege…

Mario Rembold

Mario Rembold, Celler Schule 2015, ist (im bürgerlichen Beruf) Wissenschaftsjournalist. Er betrachtet den Ausnahmezustand durch die Brillen seiner beiden Professionen, die auf unterschiedliche Weise vom Shutdown betroffen sind: „Mein Song Tausend Smileys und ein Herz entstand im heimischen Wohnzimmer (Wo sonst?). Was mach ich sonst so? Als Wissenschaftsjournalist schreibe ich und telefoniere auch schon mal mit Forschern. Da ich meist zuhause arbeite, ist das keine große Umstellung. Sorgen habe ich trotzdem, was meine Auftragslage in naher Zukunft betrifft. Vieles wird sich ja ändern, für jeden von uns. Erstmal ist wichtig, gesund zu bleiben und die Menschen um uns zu schützen.“

Aus professioneller Sicht aus der Welt der Wissenschaft hat er einen Wunsch: „Leider gibt es in den digitalen sozialen Netzen derzeit massenhaft selbsternannte Experten, die mit gefährlichem Halbwissen fragwürdige Thesen verbreiten und damit Klicks generieren. Als Wissenschaftsjournalist wünsche ich mir jetzt, dass wir ausnahmsweise mal alle auf die seriösen Stimmen hören.

Melvin Haack

Als Songschreiber und Bühnenbiologe will ich aber auch, dass wir dabei unseren Mut und Humor behalten. Momentan ist das Wichtigste: Meidet soziale Kontakte! Damit schützt ihr euch und eure Lieben. Aber hey: Ihr dürft trotzdem Spaß haben, mit Freunden videochatten, lustige Videos anschauen oder selber filmen. Seid kreativ oder fahrt einfach mal runter. Es gibt eine Welt nach SARS-CoV-2. Bis dahin lasst uns die Menschen um uns herum schützen, lasst uns gesund bleiben – damit es für all unsere Lieben auch ein Leben nach Corona gibt.“

Melvin Haack, Celler Schule 2016, ist in Wohlstandsquarantäne. Diese gibt ihm und seiner Band Schnaps im Silbersee aber ganz offenbar Zeit für neue Musikvideos.

Und da ist er nicht allein. Viele Kreative stehen statt auf der Bühne zurzeit im Netz.

Michael Krebs

So zum Beispiel auch Michael Krebs, Celler Schule 2003. Er hat einen Online-Channel live aus dem Wohnzimmer ins Leben gerufen, um in Kontakt mit seinem Publikum zu bleiben, und mich damit auf die Idee zu diesem Artikel gebracht. Er hat übrigens seit Neustem in einen Spuckschutz auf dem Flügel investiert. – Ich zitiere: „Irre, was man alles schafft, wenn mal mal gar nichts tut!“

Dagmar Schönleber, Celler schule 2018, ist in der Krise regelmäßige Gästin in der Geistershow vom Hoftheater Baienfurt, Samstags 20:15. Dort spielt sie das Lied der Woche zur Lage der Nation. Und sie war im WDR-Portal #weiterlachen zu sehen. Zur Frage, was sie von einem eigenen Live-Channel hält, sagt sie: „Ich selbst bin noch nicht live gegangen, werde das auch vorerst nicht tun, da ist dieses Überangebot und ich würde das jetzt auch nicht exzessiv betreiben wollen…“

Dagmar Schönleber (Foto: Ralf Bauer)

Stefan Noelle, Celler Schule 2009, sieht die neuen Blüten, die die Kulturszene in Corona-Zeiten im Internet treibt, kritisch: „Ich nutze die freiwerdende Zeit vor allem zum Üben. Mich zu verbessern, damit ich nach der Krise im Zweifel noch mehr gefragt bin, ist immer ein gutes Ziel. Zum Schreiben fehlte mir bis jetzt die Muße, denn Verschiebungen und Umbuchungen erfordern Zeit. Skeptisch bin ich gegenüber dem ganzen freien Content, der jetzt von uns Kreativen massiv ins Netz gedrückt wird. Ich halte das für eine gute Möglichkeit zur Klientelpflege, bezweifle aber stark, dass das tatsächlich eine dauerhafte wirtschaftliche Grundlage für ganz viele sein kann. Im Gegenteil befürchte ich da eher eine weitere Entwertung unserer Arbeit, wenn wir jetzt massenhaft zeigen, dass wir alle bereit sind, ohne Bezahlung schöne Sachen zu machen. Unser Publikum darf uns ruhig ein bisschen vermissen, oder? Dann will es uns danach um so mehr wiedersehen.“

Und ich (Celler Schule 2016, by the way)? Ich habe keine Lust, mich durch vermeintlich unbürokratische Anträge und dergleichen zu arbeiten. Und ebenso wenig möchte ich, dass die kreative Selbst- und Frendausbeutung nun online fortgesetzt wird (Stichwort „Honorar können wir leider nicht zahlen, wir zahlen ja schon das Kamera-Team…“). Lieber mache ich aus der Not eine Tugend und freue mich, endlich Zeit zu haben: Ich schreibe an meinen Musical-Projekten, und sitze an neuen Songs für mein Programm. Mein persönliches Experiment heißt „Crowdfunding„: Dieser Tage startet ein Blog, der meine virtuelle Bühne sein wird in dieser Zeit. Wer will, kann sich gratis inspirieren lassen. Wer möchte kann aber auch solidarisch sein und spenden. Wofür: Für neue Gedichte, Geschichten, Sprüche und Songs, die uns online durch die Tage der Isolation begleiten, und die hinterher auf die Bühne kommen. Dann, wenn es wieder geht. Und bis dahin gilt: #wirbleibenzuhause

 

 

Kommet, ihr Hirten – Carl Riedel im Porträt

Von Claudia Karner (Celler Schule 1996)

Kommet ihr Hirten, ihr Männer und Fraun, kommet das liebliche Kindlein zu schaun…
Dieses traditionelle deutsche Weihnachtslied erfreut sich 151 Jahre nach seiner Entstehung noch immer großer Beliebtheit. Ursprünglich stammt es aus Böhmen und heißt im Original Nesem vám noviny, was so viel wie „Ich verkünde Euch eine Neuigkeit“ bedeutet. Der Komponist und Chorleiter Carl Riedel schrieb 1868 den deutschen Text.

VOM SEIDENFÄRBER ZUM MUSIKUS

Carl Riedel wurde am 6. Oktober 1827 in Cronenberg (heute ein Stadtteil von Wuppertal) geboren. Über sein Privatleben ist nur sehr wenig bekannt. In der Krefelder Liedertafel wurde der Dirigent, Chorleiter und Komponist Carl Wilhelm – vom ihm stammt Die Wacht am Rhein – auf den talentierten jungen Sänger, der als Seidenfärber arbeitete, aufmerksam und wurde dessen Förderer. Er ermöglichte Riedel von 1849 bis 1852 ein Studium in Krefeld und in Leipzig am Konservatorium, der heutigen Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy. Anschließend bekam Riedel eine Anstellung als Klavierlehrer. Seine große Liebe galt allerdings dem Chorgesang. Und so gründete er 1854 einen gemischten Gesangsverein für geistliche Musik, den er der Riedel-Verein nannte, und der im ganzen Deutschen Reich Berühmtheit erlangte. Riedel führte u. a. Werke von Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel und Franz Liszt auf. Auch bei der Grundsteinlegung des Bayreuther Festspielhauses 1872 war der Riedel-Verein dabei. Damals wurde unter Leitung von Richard Wagner die 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven aufgeführt.

DIE ENGEL UND DIE HIRTEN

Auch die Weihnachtslieder lagen Riedel am Herzen. So bearbeitete er die Bergischen Weihnachtslegenden, Weihnachtslieder von Michael Prätorius – das bekannteste davon ist Es ist ein Ros‘ entsprungen – und Kommet, ihr Hirten. Die Melodie soll bereits seit Anfang des 17. Jahrhunderts als böhmisches Weihnachtslied bekannt gewesen sein. Das ist aber nicht eindeutig belegbar. Sicher ist allerdings, dass sie 1847 erstmals in Olmütz gedruckt und im Katholischen Gesangsbuch (Katolicky kancionál) veröffentlicht wurde. Riedels Fassung erschien unter dem Titel Die Engel und die Hirten erstmals 1870 in seiner Sammlung Altböhmische Gesänge für gemischten Chor . Die Übersetzung hält sich nicht an die ursprüngliche tschechische Textvorlage, steht aber in der Tradition der Hirtenlieder, die die Verkündigung der Geburt Jesu durch die Engel an die Hirten und deren Gang zum Stall von Bethlehem aus dem Weihnachtsevangelium thematisiert. Das Lied ist sowohl im Evangelischen Gesangbuch und als auch im katholischen Gotteslob zu finden. Mari Ruef Hofer verfasste 1921 eine englische Übersetzung mit dem Titel Come, all ye shepherds. Es gibt auch eine niederländische Übersetzung.

COMEDY HIRTEN

Riedel, der auch Mitbegründer und Präsident des Allgemeinen Deutschen Musikvereins war, starb am 3. Juni 1888 im Alter von 61 Jahren in Leipzig. An seinem Geburtshaus im heutigen Wuppertal erinnert eine Gedenktafel an ihn. Kommet, ihr Hirten gehört auch heute noch zum weihnachtlichen Repertoire vieler Sänger. Auf Youtube sind Interpretationen von Heintje, Maite Kelly, Roger Whittaker, Die Flippers, Wolfgang Petry und Hansi Hintereseer zu finden. Nomen est omen: Auch der Mundharmonika spielende Michael Hirte kam nicht an dem Hirtenlied vorbei. Witziges Detail am Rande: Eine österreichische Kabaretttruppe, die vor allem als Stimmenimitatoren beim Ö3-Wecker Kult-Status erlangt hat, ließ sich bei der Namenswahl vom Titel inspirieren. Das Quartett nennt sich Comedy Hirten.

Fred Weyrich Im Porträt

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Einmal um die ganze Welt und die Taschen voller Geld… sang 1972 der kürzlich verstorbene tschechische Sänger Karel Gott. Die Tschechoslowakei war damals noch hinter dem Eisernen Vorhang, Deutschland ein geteiltes Land und eine ungehinderte Ausreise für viele Menschen ein umöglicher Traum. Die Idee zu dieser Sehnsuchtshymne hatte der Textdichter Fred Weyrich. Er krempelte das Lied, das im tschechischen Original tatsächlich Hey, Hey, Baby heißt (Text: Jiri Stajdl, Musik: Karel Svoboda) komplett um und schenkte so Karel Gott einen seiner größten Hits in Deutschland.

EIN KLEINES HERZ UND EINE GROSSE LIEBE

Fred (eigentlich: Alfred) Weyrich wurde am 28. August 1921 in Tauberbischofsheim geboren. Wäre es nach seinem Vater gegangen, wäre er Zahnarzt geworden. Doch Fred zog es ans Theater. Er studierte, unterstützt von seiner Mutter, in Berlin Schauspiel, das er mit dem Examen abschloss. Die künstlerische Karriere musste kriegsbedingt warten. Weyrich wurde zum Wehrdienst einberufen und nach der Grundausbildung in der Truppenbetreuung eingesetzt. In Norwegen arbeitete er als Programmleiter und Moderator bei Radio Tromsö und leitete eine kleine Kapelle. Nach dem Krieg war er als Schauspieler und Kabarettist tätig, wurde Haussänger von Radio Hamburg und begleitete Lale Andersen mit seiner Band auf Tournee. 1950 nahm das Multitalent die ersten Platten auf, darunter Die Nacht ist voller Zärtlichkeit und Ein kleines Herz und eine große Liebe. 160 Platten sind es geworden, einige davon im Duett mit Rolf Simson unter dem Namen Fred und Rolf.

SEHNSUCHT – DAS LIED DER TAIGA

Ab den 1960er Jahren schrieb Weyrich Melodien und Texte für andere Künstler und startete seine Karriere als Musikproduzent. Er hatte eine ausgeprägte Spürnase für Talente. So wurden Nana Gualdi, Klaus Wunderlich mit seiner Hammond-Orgel, Edina Pop und Gunter Gabriel von ihm entdeckt. Der größte Fisch, den er an Land zog, war aber Alexandra. „Eine Entdeckung, die man nur einmal im Leben machen kann“, so O-Ton Fred Weyrich. Alexandra, bürgerlich
Doris Nefedov, die damals bei einem Verleger arbeitete, soll ihrem Chef nach einem Streit einen Papierkorb aufgesetzt haben. Der warf sie zwar hinaus, schwärmte aber dem Musikproduzenten vor: „Die hat auf unserem Betriebsfest so schön gesungen. Interessiert sie dich?“ Weyrich bestellte die temperamentvolle junge Dame zum Vorsingen und war von ihrer tiefen Stimme überaus begeistert. Schon nach einer halben Stunde bot er ihr einen Fünf-Jahres-Vertrag an. Bereits die erste gemeinsame LP katapultierte Alexandra – auch der Künstlername war Weyrichs Idee – in lichte Höhen. Wehmütige, auf Russisch getrimmte Lieder – diese Nische war auf dem Schlagermarkt der 1960er Jahre noch frei. Sehnsucht hielt sich ein halbes Jahr in den deutschen Hitlisten. Dabei hat Alexandra dieses Lied angeblich gehasst. „Es war für sie ein einfältiges Kinderlied, das sie nur ein einziges Mal und unter Tränen einsang“, vermerkte der Autor Marc Böttcher in seiner Biographie. Die Karriere, die so vielversprechend begonnen hatte, endete tragisch. Alexandra starb am 31. Juli 1969 bei einem Autounfall. Das Andenken an sie und ihr musikalisches Vermächtnis wird auch noch fünfzig Jahre nach ihrem Tod von dem Verein Alexandra-Freunde e.V. wachgehalten.

KASATSCHOK, KASATSCHOK, RAS, DWA, TRI…

Offensichtlich hatte Weyrich ein Schwäche für die russische Seele: Er produzierte zahlreiche Platten mit Ivan Rebroff, und als Boris Rubaschkin den Modetanz Kasatschok erfand, verfasste Weyrich einen Text zur Melodie. Für Dorthe schrieb der unermüdliche Textdichter Sind Sie der Graf von Luxemburg?, für France Gall Zwei Apfelsinen im Haar, die deutsche Übersetzung von La Banda, und für Karel Gott das eingangs zitierte Lied Einmal um die ganze Welt.

Fred Weyrich mit seiner Entdeckung Alexandra und seinem Texter-Kollegen Hans Blum (links)

Weitere prominente Namen auf der unvollständigen Künstlerliste: Heidi Brühl, Vico Torriani, Gerhard Wendland, Costa Cordalis, René Kollo, Nana Mouskouri, Hanne Haller, Hildegard Knef, Dunja Rajter, Wencke Myhre und Harald Juhnke. Für ihn machte Weyrich, der auch unter dem Pseudonym Fred Conta textete, aus Frank Sinatras Welt-Hit New York, New York eine Hymne an Berlin.
Auch in Radio und Fernsehen war der Alleskönner präsent. So produzierte er mit Peter Frankenfeld Peters Bastelstunde. Sein Talent hat er an seinen Sohn Pit Weyrich vererbt, der als erfolgreicher Kameramann, Regisseur und Moderator für das ZDF arbeitete. Weyrich sen. zog sich in den 1990er Jahren aus dem Show-Business zurück und tüftelte in Dießen am Ammersee an seinen Lebenserinnerungen. Am 30. Dezember 1999 starb er völlig unerwartet an einem Herzversagen. Die Memoiren blieben unvollendet.

Ralph Maria Siegel im Porträt

von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Auch in diesem Sommer konnte sich Capri vor Touristen nicht erwehren. Bis zu 45.000 Tagesgäste! Wer jetzt aber glaubt,das läge daran, dass dort Heidi Klum und Tom Kaulitz neulich in den Hafen der Ehe geschippert sind,der irrt. Der Mittelmeer-Tourismus wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts in Capri quasi „erfunden“. In 1950er Jahren entdeckte dann der internationale Jetset die Insel, ehe der deutsche Massentourismus auf sie überschwappte. Nicht ganz unschuldig daran ist der Textdichter und Komponist Ralph Maria Siegel, der mit dem Lied Capri-Fischer das Italo-Fieber entfachte und einen unsterblichen Evergreen schuf. Darauf ein Glas Chianti!

DER MANN IM FRACK

Ralph Maria (eigentlich: Rudolf) Siegel kam am 8. Juni 1911 in München als Sohn des Juristen und Komponisten Rudolf Siegel, einem Schüler von Engelbert Humperdinck, und dessen Frau Maria zur Welt. Schon früh zeigte sich sein musikalisches Talent. Nach dem Realgymnasium in Krefeld besuchte er das dortige Konservatorium und ging mit 16 Jahren zum Geigen- und Klavierstudium nach Rom und Florenz, wo seine italienische Großmutter lebte. Seinen Vornamen hatte er kurzerhand in Ralph Maria abgeändert. Das Kürzel RMS sollte später zu seinem Markenzeichen werden. Mit 18 Jahren wurde er in London Sekretär eines Kunsthändlers, der auch als Mäzen fungierte, als Siegel gemeinsam mit seinem Jugendfreund und späteren Textdichter-Kollegen Kurt Feltz die erste Operette, Der Mann im Frack, schuf, eine Jazz-Operette, die allerdings nicht dem Zeitgeist entsprach und gnadenlos verrissen wurde. Das tat aber Siegels Ambitionen keinen Abbruch. Er gründete eine eigene Tanzkapelle und schrieb Musik für weitere Operetten (Alles für Eva, 1933) und Spielfilme (Hilde und die vier PS, 1936). Das Handwerk hatte er bei dem österreichischen Komponisten Ernst Toch erlernt, nach Selbsteinschätzung der „vergessenste Komponist des 20. Jahrhunderts“.

JA, JA, DER CHIANTI-WEIN…

Als Siegel den Komponisten Gerhard Winkler traf, wechselte er die Seite und wurde Schlagertexter. Die Studienjahre in Italien machten sich nun bezahlt. Er bezauberte seine Landsleute mit Liedern wie O mia bella Napoli (1937) Ja, ja, der Chianti-Wein (1940) und Capri-Fischer (1943). Die Erstfassung sang Magda Hain, es folgte eine weitere Plattenaufnahme mit
Rudi Schuricke. Als im Oktober 1943 die Italiener den Deutschen den Krieg erklärten, war aber Schluss mit Vino und romantisch-verklärten Sonnenuntergängen. Aus dem Chianti wurde ein Tiroler Wein und über die Capri-Fischer ein Rundfunk-Boykott verhängt. Das Duo Winkler/Siegel musste deshalb bis nach Kriegsende auf den Erfolg warten.
In der Zwischenzeit debütierte Siegel, der auch ausgebildeter Tenor war, am Theater am Gärtnerplatz in München und verliebte sich in die Leipziger Operettendiva Ingeborg Döderlein, die er Sternchen nannte. Geheiratet wurde 1942, drei Jahre später kam Sohn Ralph zur Welt. Das Sprichwort Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm bewahrheitete sich bei den Siegels. Auch wenn der Junior lange im Schatten seines übermächtigen Vaters stand, wurde er einer der erfolgreichsten deutschen Schlagerkomponisten der Gegenwart. Mit dem Lied Ein bisschen Frieden, getextet von Bernd Meinunger und gesungen von Nicole, verhalf er 1982 Deutschland zu Grand-Prix-Ehren.

WENN BEI CAPRI DIE ROTE SONNE IM MEER VERSINKT

Nach dem Ende des 2. Weltkriegs verbreitete sich das Sehnsuchtslied der Capri-Fischer unaufhaltsam. Winkler und Siegel hatten den Nerv der Zeit getroffen. Die Aufnahmen mit Rudi Schuricke und Vico Torriani erreichten in den 1950er-Jahren Rekordumsätze in Millionenhöhe und verhalfen Capri zu einer Gratis-Fremdenverkehrswerbung erster Güte. Plötzlich waren die Deutschen reif für die Insel. Mode und Industrie sprangen ebenfalls auf den Zug auf. Die deutsche Modedesignerin Sonja de Lennart erfand die Capri-Hose, die Audrey Hepburn berühmt machte, die Autofirma Ford benannte ein Modell nach der Insel und ein Getränkehersteller packte die Capri-Sonne in Trinktüten. Viele Künstler – von Peter Kraus bis Max Raabe – nahmen den Schlager in ihr Repertoire auf. Mehr als eine Million Klicks auf Raabes Youtube-Video von bestätigen die ungebrochene Popularität des Liedes.

ICH HAB’ NOCH EINEN KOFFER IN BERLIN

Ein genialer Wurf gelang Siegel 1951 mit einem weiteren Lied Ich hab’ noch einen Koffer in Berlin. Hier war er allerdings als Komponist tätig. Den Text schrieb Aldo von Pinelli. Bully Buhlan sang die erste Schallplatten-Version, Marlene Dietrich und Hildegard Knef machten das Lied berühmt. Ich hab’ noch einen Koffer in Berlin heißt auch die Biographie, die der Wiener Autor Andi Zahradnik zum 100. Geburtstag von Ralph Maria Siegel und Ingeborg Döderlin 2011 verfasste. Das Leben aus dem Koffer kannte RMS nur zu gut. Er hatte 1948 einen höchst erfolgreichen Musikverlag gegründet, später das Platten-Label
Jupiter Records, war dauernd auf Achse und entdeckte viele Künstler, darunter den jungen Udo Jürgens als Komponisten. „Mein Vater schaffte es, dass Shirley Bassey ein Lied von Udo zu hören bekam, Reach For The Stars. Es wurde dessen erster Welterfolg“, schrieb Ralph Siegel in seinen Lebenserinnerungen. „Was Vater betraf: Er liebte Udo, aber dessen Karriereweg ging als Sänger weiter, und dann kamen andere Macher, Manager und Verleger ins Spiel“.
Mehr als 2500 Lieder schrieb Siegel, der auch die Pseudonyme Theo Hansen und Gustav Auerbach verwendete, im Laufe seines Lebens, darunter Auf meiner Ranch bin ich König für Peter Hinnen und Der Puppenspieler von Mexiko für Roberto Blanco, der deutschen Fassung von The young new Mexican puppeteer. Vor allem 1950er und 1960er-Jahren war es in Mode, internationale Erfolgsschlager ins Deutsche zu übertragen. Das kam dem sprachbegabten Siegel gerade recht. Für Connie Francis machte er aus Ev’rybody’s somebody’s fool Die Liebe ist ein seltsames Spiel, für Dalida übersetzte er J’attendrais (Komm zurück), für Charles Trenet La mer (Das Meer) für Edith Piaf La vie en rose (Schau mich bitte nicht so an) und für Renée Franke Les feuilles mortes (Der Schleier fiel von meinen Augen), um nur einige der bekanntesten Titel zu nennen. Siegel hielt sich fast nie an das Original. „Ich war immer bemüht, meinen Texten einen Sinn zu geben, sauber zu reimen, leicht verständlich zu sein und der Stimmung der Musik zu folgen“, beschrieb er seine Arbeitsweise. Mit dem Aufkommen der Beat-Musik Anfang der 1960er Jahre, mit der er nicht viel anfangen konnte, war die große Zeit des Schlagertexters vorbei. 1967 wollte RMS es noch einmal wissen und machte gemeinsam mit den Textdichter-Granden Robert Gilbert und Max Colpet aus der Verwechslungskomödie Charleys Tante ein Musical. Hauptdarsteller war Hans Clarin, die spätere Synchronstimme des Pumuckl. Der Erfolg war sensationell. Seine Heimatstadt München lag ihm zu Füßen. Im Deutschen Theater in München besuchten 70.000 Zuschauer die Vorstellungen.

„EINE KERZE, DIE AN BEIDEN ENDEN BRANNTE“

Als Verleger und Plattenproduzent war Siegel ein Workaholic, lange bevor dieses Wort erfunden wurde. Stress, viele Reisen und eine ausschweifende Lebensweise setzten dem schwergewichtigen Mann und dessen Gesundheit zu. Da halfen auch die eigenen Ratschläge in dem Buch Wer wiegt(wagt), gewinnt! – Eine kleine Fastenkur nichts. Die Leber rebellierte. Häufige Klinikaufenthalte waren die Folge. „Mein Vater hörte nicht auf seinen Körper. Er war wie eine Kerze, die an beiden Enden brannte“, notierte der Junior in seiner Biographie. „Er reiste stets mit zwei Taschen: die eine war voll mit Arbeitsunterlagen, die andere mit Medikamenten.“ Am 22. Juli 1972 kam der Zusammenbruch. Siegel wurde in ein Münchner Krankenhaus eingeliefert, wo er am 2. August 1972 an einem Organversagen starb. Mit knapp 61 Jahren. Ob er geahnt hatte, wie schlimm es um ihn stand? Drei Wochen vorher hatte er das Testament zugunsten seines Sohnes Ralph, der damals 27 Jahre alt war, geändert. Wie sehr der große RMS geliebt und geschätzt wurde, zeigte sich bei seinem Begräbnis. 5000 Menschen gaben ihm das Geleit, als er auf dem Münchner Nordfriedhof zu Grabe getragen wurde.

„Celle ist mehr“ – Abschlussabend in Springe 2019

Von Turid Müller

Ein neuer Jahrgang frisch gebackener ExCellent*innen hat sich vorgestellt. Es gibt einen neuen „Hans-Bradtke-Förderpreis“-Träger. Und wie so oft wurde bis in die Puppen Musik gemacht. 

Jahrgang 2019 mit einigen der Dozent*innen

 

Ich fürchte, ich kann diesen Beitrag nicht einfach rein sachlich schreiben. Dazu bin ich zu involviert. Ich gebe es also auf. Ich hoffe, Ihr seht es mir nach.

Es wäre zu kurz gegriffen, die Abschlussfeier mit ihren Programmpunkten beschreiben zu wollen. Also: Sektempfang, kleine Ansprache, Buffett, Preisverleihung und natürlich die mehrstündige gemeinsame Show. – Es ist wie Nachhause kommen! Das Wort „Nestwerk“ spricht für sich. Da brauche ich mir gar nicht erst einen von wegen „herzliche Kooperation“ und „kollegiale Freundschaft“ zurechtstümpern. Typisch Celler Schule eben: Das Glück der gemeinsamen Kreativität und das Mitfreuen an den Gaben der anderen. Um es mit den Worten des Abschluss-Jahrgangs zu sagen: „Celle ist mehr“!

So hieß die Umbetextung von „Leben ist mehr„, einem „Rolf Zuckowski“-Lied. Rolf war diesmal nicht nur als Gast und Förderer, sondern auch als Dozent dabei. Eine der Aufgaben war gewesen, „Leben ist mehr“ zum Thema Kita neu zu betexten. – Beide Versionen trafen den Kern und bewegten das Publikum, da Ihr übrigens in dem Bild links unten seht.

„Hans-Bradtke-Förderpreis“-Träger Matthias Ningel (Mitte)

Bewegt hat auch die Darbietung des diesjährigen „Hans Bradtke-Förderpreis“-Trägers. Der Preis wird gestiftet von Barbara Berrien, der Tochter des Textdichters (u.a. „Pack die Badehose ein“, „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“). Wie immer ging die Ehrung an den ganzen Jahrgang. Aber diesmal insbesondere an Matthias Ningel. Er tourt als Liedermacher und Humorist. Und hat schon eine lange Liste von Preisen gesammelt. Auf seiner Homepage bringt es ein Zuschauer auf den Punkt: „Das einzige, das den zuuuu tiefen Blick in den Spiegel, den Du uns vorgehalten hast, verstellte, waren die Lachtränen …“ Oder – wie Tobi es in seiner Rede: Das selbsternannte „Omega-Männchen“ ist „ein dichtendes Alphatier“.

Er und alle anderen ExCellent*innen legten ein abwechslungsreiches Programm hin. Und – schwupp! -war es nach Mitternacht! – Celler Nächte sind kurz. Zu kurz für alle Gespräche, die geführt werden und alle Lieder, die gesungen werden wollen.

Aber die nächste kommt bestimmt.