Ralph Maria Siegel im Porträt

von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Auch in diesem Sommer konnte sich Capri vor Touristen nicht erwehren. Bis zu 45.000 Tagesgäste! Wer jetzt aber glaubt,das läge daran, dass dort Heidi Klum und Tom Kaulitz neulich in den Hafen der Ehe geschippert sind,der irrt. Der Mittelmeer-Tourismus wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts in Capri quasi „erfunden“. In 1950er Jahren entdeckte dann der internationale Jetset die Insel, ehe der deutsche Massentourismus auf sie überschwappte. Nicht ganz unschuldig daran ist der Textdichter und Komponist Ralph Maria Siegel, der mit dem Lied Capri-Fischer das Italo-Fieber entfachte und einen unsterblichen Evergreen schuf. Darauf ein Glas Chianti!

DER MANN IM FRACK

Ralph Maria (eigentlich: Rudolf) Siegel kam am 8. Juni 1911 in München als Sohn des Juristen und Komponisten Rudolf Siegel, einem Schüler von Engelbert Humperdinck, und dessen Frau Maria zur Welt. Schon früh zeigte sich sein musikalisches Talent. Nach dem Realgymnasium in Krefeld besuchte er das dortige Konservatorium und ging mit 16 Jahren zum Geigen- und Klavierstudium nach Rom und Florenz, wo seine italienische Großmutter lebte. Seinen Vornamen hatte er kurzerhand in Ralph Maria abgeändert. Das Kürzel RMS sollte später zu seinem Markenzeichen werden. Mit 18 Jahren wurde er in London Sekretär eines Kunsthändlers, der auch als Mäzen fungierte, als Siegel gemeinsam mit seinem Jugendfreund und späteren Textdichter-Kollegen Kurt Feltz die erste Operette, Der Mann im Frack, schuf, eine Jazz-Operette, die allerdings nicht dem Zeitgeist entsprach und gnadenlos verrissen wurde. Das tat aber Siegels Ambitionen keinen Abbruch. Er gründete eine eigene Tanzkapelle und schrieb Musik für weitere Operetten (Alles für Eva, 1933) und Spielfilme (Hilde und die vier PS, 1936). Das Handwerk hatte er bei dem österreichischen Komponisten Ernst Toch erlernt, nach Selbsteinschätzung der „vergessenste Komponist des 20. Jahrhunderts“.

JA, JA, DER CHIANTI-WEIN…

Als Siegel den Komponisten Gerhard Winkler traf, wechselte er die Seite und wurde Schlagertexter. Die Studienjahre in Italien machten sich nun bezahlt. Er bezauberte seine Landsleute mit Liedern wie O mia bella Napoli (1937) Ja, ja, der Chianti-Wein (1940) und Capri-Fischer (1943). Die Erstfassung sang Magda Hain, es folgte eine weitere Plattenaufnahme mit
Rudi Schuricke. Als im Oktober 1943 die Italiener den Deutschen den Krieg erklärten, war aber Schluss mit Vino und romantisch-verklärten Sonnenuntergängen. Aus dem Chianti wurde ein Tiroler Wein und über die Capri-Fischer ein Rundfunk-Boykott verhängt. Das Duo Winkler/Siegel musste deshalb bis nach Kriegsende auf den Erfolg warten.
In der Zwischenzeit debütierte Siegel, der auch ausgebildeter Tenor war, am Theater am Gärtnerplatz in München und verliebte sich in die Leipziger Operettendiva Ingeborg Döderlein, die er Sternchen nannte. Geheiratet wurde 1942, drei Jahre später kam Sohn Ralph zur Welt. Das Sprichwort Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm bewahrheitete sich bei den Siegels. Auch wenn der Junior lange im Schatten seines übermächtigen Vaters stand, wurde er einer der erfolgreichsten deutschen Schlagerkomponisten der Gegenwart. Mit dem Lied Ein bisschen Frieden, getextet von Bernd Meinunger und gesungen von Nicole, verhalf er 1982 Deutschland zu Grand-Prix-Ehren.

WENN BEI CAPRI DIE ROTE SONNE IM MEER VERSINKT

Nach dem Ende des 2. Weltkriegs verbreitete sich das Sehnsuchtslied der Capri-Fischer unaufhaltsam. Winkler und Siegel hatten den Nerv der Zeit getroffen. Die Aufnahmen mit Rudi Schuricke und Vico Torriani erreichten in den 1950er-Jahren Rekordumsätze in Millionenhöhe und verhalfen Capri zu einer Gratis-Fremdenverkehrswerbung erster Güte. Plötzlich waren die Deutschen reif für die Insel. Mode und Industrie sprangen ebenfalls auf den Zug auf. Die deutsche Modedesignerin Sonja de Lennart erfand die Capri-Hose, die Audrey Hepburn berühmt machte, die Autofirma Ford benannte ein Modell nach der Insel und ein Getränkehersteller packte die Capri-Sonne in Trinktüten. Viele Künstler – von Peter Kraus bis Max Raabe – nahmen den Schlager in ihr Repertoire auf. Mehr als eine Million Klicks auf Raabes Youtube-Video von bestätigen die ungebrochene Popularität des Liedes.

ICH HAB’ NOCH EINEN KOFFER IN BERLIN

Ein genialer Wurf gelang Siegel 1951 mit einem weiteren Lied Ich hab’ noch einen Koffer in Berlin. Hier war er allerdings als Komponist tätig. Den Text schrieb Aldo von Pinelli. Bully Buhlan sang die erste Schallplatten-Version, Marlene Dietrich und Hildegard Knef machten das Lied berühmt. Ich hab’ noch einen Koffer in Berlin heißt auch die Biographie, die der Wiener Autor Andi Zahradnik zum 100. Geburtstag von Ralph Maria Siegel und Ingeborg Döderlin 2011 verfasste. Das Leben aus dem Koffer kannte RMS nur zu gut. Er hatte 1948 einen höchst erfolgreichen Musikverlag gegründet, später das Platten-Label
Jupiter Records, war dauernd auf Achse und entdeckte viele Künstler, darunter den jungen Udo Jürgens als Komponisten. „Mein Vater schaffte es, dass Shirley Bassey ein Lied von Udo zu hören bekam, Reach For The Stars. Es wurde dessen erster Welterfolg“, schrieb Ralph Siegel in seinen Lebenserinnerungen. „Was Vater betraf: Er liebte Udo, aber dessen Karriereweg ging als Sänger weiter, und dann kamen andere Macher, Manager und Verleger ins Spiel“.
Mehr als 2500 Lieder schrieb Siegel, der auch die Pseudonyme Theo Hansen und Gustav Auerbach verwendete, im Laufe seines Lebens, darunter Auf meiner Ranch bin ich König für Peter Hinnen und Der Puppenspieler von Mexiko für Roberto Blanco, der deutschen Fassung von The young new Mexican puppeteer. Vor allem 1950er und 1960er-Jahren war es in Mode, internationale Erfolgsschlager ins Deutsche zu übertragen. Das kam dem sprachbegabten Siegel gerade recht. Für Connie Francis machte er aus Ev’rybody’s somebody’s fool Die Liebe ist ein seltsames Spiel, für Dalida übersetzte er J’attendrais (Komm zurück), für Charles Trenet La mer (Das Meer) für Edith Piaf La vie en rose (Schau mich bitte nicht so an) und für Renée Franke Les feuilles mortes (Der Schleier fiel von meinen Augen), um nur einige der bekanntesten Titel zu nennen. Siegel hielt sich fast nie an das Original. „Ich war immer bemüht, meinen Texten einen Sinn zu geben, sauber zu reimen, leicht verständlich zu sein und der Stimmung der Musik zu folgen“, beschrieb er seine Arbeitsweise. Mit dem Aufkommen der Beat-Musik Anfang der 1960er Jahre, mit der er nicht viel anfangen konnte, war die große Zeit des Schlagertexters vorbei. 1967 wollte RMS es noch einmal wissen und machte gemeinsam mit den Textdichter-Granden Robert Gilbert und Max Colpet aus der Verwechslungskomödie Charleys Tante ein Musical. Hauptdarsteller war Hans Clarin, die spätere Synchronstimme des Pumuckl. Der Erfolg war sensationell. Seine Heimatstadt München lag ihm zu Füßen. Im Deutschen Theater in München besuchten 70.000 Zuschauer die Vorstellungen.

„EINE KERZE, DIE AN BEIDEN ENDEN BRANNTE“

Als Verleger und Plattenproduzent war Siegel ein Workaholic, lange bevor dieses Wort erfunden wurde. Stress, viele Reisen und eine ausschweifende Lebensweise setzten dem schwergewichtigen Mann und dessen Gesundheit zu. Da halfen auch die eigenen Ratschläge in dem Buch Wer wiegt(wagt), gewinnt! – Eine kleine Fastenkur nichts. Die Leber rebellierte. Häufige Klinikaufenthalte waren die Folge. „Mein Vater hörte nicht auf seinen Körper. Er war wie eine Kerze, die an beiden Enden brannte“, notierte der Junior in seiner Biographie. „Er reiste stets mit zwei Taschen: die eine war voll mit Arbeitsunterlagen, die andere mit Medikamenten.“ Am 22. Juli 1972 kam der Zusammenbruch. Siegel wurde in ein Münchner Krankenhaus eingeliefert, wo er am 2. August 1972 an einem Organversagen starb. Mit knapp 61 Jahren. Ob er geahnt hatte, wie schlimm es um ihn stand? Drei Wochen vorher hatte er das Testament zugunsten seines Sohnes Ralph, der damals 27 Jahre alt war, geändert. Wie sehr der große RMS geliebt und geschätzt wurde, zeigte sich bei seinem Begräbnis. 5000 Menschen gaben ihm das Geleit, als er auf dem Münchner Nordfriedhof zu Grabe getragen wurde.

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