Fritz Grünbaum im Porträt

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Wie frivol ist das denn! Ein Voyeur steht vor der leicht geöffneten Hotelzimmertür und wirft einen unerlaubten Blick in das Badezimmer. Dann fängt er auch noch zu singen an. „Ich hab das Fräul’n Helen baden seh’n, das war schön. Da kann man Waden seh’n, rund und schön im Wasser steh’n. Und wenn sie ungeschickt tief sich bückt – so! Da sieht man ganz genau bei der Frau – Oh!“ 95 Jahre ist es her, dass Fritz Grünbaum dieses Lied zur Musik von Fred Raymond getextet und der Welt einen unausrottbaren Ohrwurm geschenkt hat.

DU SOLLST DER KAISER MEINER SEELE SEIN

Fritz Grünbaum wurde am am 7. April 1880 als Sohn eines deutsch-jüdischen Kunsthändlers Wilhelm Grünbaum und dessen Gattin Regina in Brünn/Brno (Mähren, heute Tschechische Republik) geboren. Er besuchte das dortige deutsche Gymnasium. Schon während des Jusstudiums in Wien widmete er sich dem Schreiben und verfasste 1903 das erste Operettenlibretto mit Robert Bodanzky. Auch mit Leo Fall („Die Dollarprinzessin“), Carl Michael Ziehrer („Liebeswalzer“) und Robert Stolz („Der Favorit”) entstand eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Das Lied „Du sollst der Kaiser meiner Seele sein“ wurde zu einem Evergreen. Die Tantiemen waren der Grundstein für eine millionenschwere Kunstsammlung, die 400 Werke, darunter 80 von Egon Schiele, beinhaltete und deren Verbleib bis heute nicht zur Gänze geklärt ist und einen jahrelangen Erbstreit nach sich zog.

DER G’SCHEITE UND DER BLÖDE

Seine Kabarettkarriere startete Grünbaum 1906 in dem Kabarett „Hölle“ in Wien als Conferencier. 1914 trat er zum ersten Mal im Kabarett Simpl auf und führte dort mit Karl Farkas die aus Ungarn stammende Doppelconference – das ist ein Dialog zwischen dem „G’scheiten” und dem „Blöden” – zur Perfektion. Abseits der Bühne wirkte der klein gewachsene, glatzköpfige Grünbaum unscheinbar. Aber wehe, er machte den Mund auf! „Er schiesst pausenlos seine Witzraketen und Bonmots mit überdrehter Logik ins überraschte Parkett. Famose Begabung! Viel zu schade für Wien“, meinte Theaterdirektor Rudolf Nelson und holte Grünbaum nach Berlin. Dort trat er auf Nelsons Bühnen und in Filmen auf, schrieb Schlagertexte und verfasste Drehbücher für Filme. In Wien machte er weiterhin Kabarett und brillierte als Conferencier, dessen Aufgabe er so definierte: „Das ist einer, der den Leuten auf lustige Weise zu erklären versucht, dass es nichts zu lachen gibt.“ Ab 1933 wurden seine Texte in Wien zunehmend politischer.

„ICH SEHE ABSOLUT GAR NICHTS…“

Kurz vor dem Anschluss an Hitler-Deutschland am 10. März 1938 spielte Grünbaum mit Farkas ein letztes Mal im Simpl, ehe ein Auftrittsverbot für jüdische Künstler verhängt wurde. Da witzelte er noch, als bei einem Stromausfall das Licht ausging: „Ich sehe nichts, absolut gar nichts, da muss ich mich in die nationalsozialistische Kultur verirrt haben.“ Es blieb zappenduster. Während Farkas die Ausreise gelang, missglückte Grünbaums Flucht an der tschechischen Grenze. Im Mai 1938 wurde von der Gestapo in der Synagoge verhaftet und eingesperrt. Mithäftling war der spätere österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky. Danach wurde ins KZ Dachau, anschließend nach Buchenwald und wieder nach Dachau deportiert, wo er im Steinbruch schuften musste. Grünbaum bewahrte sich seinen Humor bis zuletzt. Bereits todkrank spielte er zu Silvester 1940 noch einmal für seine Mithäftlinge. Darunter waren Freunde aus Wien, der Textdichter und Librettist Fritz Löhner-Beda und der Klavierhumorist Hermann Leopoldi.

EIN LEBENSLANGER IMPERATIV

Zwei Wochen später, am 14. Jänner 1941 starb der große kleine Mann an Entkräftung und Tuberkulose. Seine Urne, die in einem Paket nach Wien kam, wurde auf dem Zentralfriedhof von seiner Frau Lilly, der Nichte von Theodor Herzl, beigesetzt. Sie selbst wurde im Oktober 1942 deportiert und kam im KZ Maly Trostinec um. Ob es an der eigenwilligen Interpretation von Grünbaum lag, dass es kein Denkmal in Wien für ihn gibt? Er meinte: „Für mich ist Denkmal ein lebenslanger Imperativ, der aus zwei Wörtern besteht.“ Zumindest erinnert der Fritz Grünbaum-Platz an den größten Unterhaltungskünstler seiner Zeit. Der Ort ist nicht zufällig gewählt. Das Apollo-Theater, in dem Grünbaum viele seiner Erfolge feierte und das heute ein Kino ist, befindet sich in Sichtweite.

Making of:
Der erste LYRIKON geht an Edith Jeske

ein Beitrag von Edith Jeske

 

Was für ein Tag!
Eine hochkarätige Fachjury hat mich ausgewählt für den LYRIKON.

Beim Sommerfest des Deutschen Textdichterverbands 2020 hätte mir der Preis verliehen werden sollen. Wegen Covid-19 wurde das Fest abgesagt, und auch für 2021 sind die Aussichten kaum besser.
Also Plan B.

Foto: Felix Pitscheneder
Foto: Peter Heske

Am 13. Januar rollt der Kleintransporter auf unsere Einfahrt. Ihm entsteigen ein vierköpfiges Kamerateam und Dr. Jürgen Brandhorst. Im Laderaum: Das ganz große Besteck. Nach zwei Stunden ist das ganze Erdgeschoss voll mit Kameras auf Stativen, mit Kabeln, Scheinwerfern, Reflektoren, Diffusoren, Monitoren und Menschen mit FFP2-Masken.

 

 

Maske tragen, Abstand halten, lüften, literweise Desinfektionsmittel, als wärs nicht ohne das schon kompliziert genug.
Ein unter so erschwerten Bedingungen so reibungslos arbeitendes, hochkonzentriertes und unfassbar achtsames Team habe ich noch nie erlebt.

 

Mein Lichtdouble Peter mit einem Mottoshirt von Marcel Brell, dem Fred-Jay-Preisträger 2015 Foto: Felix Pitscheneder

 

 

Wir haben bis in den Nachmittag einen Riesenspaß. Das YouTube-Video wird bald fertig sein und dann online gehen.

Auch der andere Kerl im Haushalt hat was für Technik übrig und will die flimmernden Gerätschaften näher untersuchen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zum Abschied ein Gläschen Sekt – im Freien, mit doppeltem und dreifachem Abstand. Wir können uns grade noch sehen. Zurufen klappt aber gut.

v.l.n.r.: Dr. Jürgen Brandhorst, Edith Jeske Christin Wenke, Benedikt Dorn, Sebastian Stein, Felix Pitscheneder

 

 

 

Wie fühlt sich eine frischgebackene LYRIKON-Preisträgerin?
Glücklich. Beschenkt. Dankbar. Und ihr ist gründlich bewusst, dass ohne die Komponist*innen und die Interpret*innen gar niemand von dem Stück Papier Kenntnis nähme, das den Schreibtisch verlässt und seine Reise ins Ungewisse antritt.

 

 

Ich muss wohl ein Glückskind sein. Schon damals, als ich (wie Ludwig Lorenz sagt) als Kind in die Buchstabensuppe gefallen bin. Danke euch allen, die ihr dazu beigetragen habt, dass ich darin schwimmen lernen durfte.
Zusammen sind wir gut.
Und nur zusammen.

Foto: Felix Pitscheneder

O du fröhliche… – Johannes Daniel Falk im Porträt

von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

„O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit! Welt ging verloren, Christ ist geboren: Freue, freue dich, o Christenheit!“ Es ist mittlerweile Tradition, dass ich im Dezember den Textdichter eines bekannten Weihnachtsliedes porträtiere. Heute: Johannes Daniel Falk.
Legende oder Wahrheit? Ein kleiner italienischer Flüchtlingsbub, der in den Wirren der Napoleonischen Kriege im Waisenhaus von Johannes Daniel Falk in Weimar Unterschlupf gefunden hatte, soll den Herbergsvater zu dem Lied „O du fröhliche“ inspiriert haben. Der Bub sang ein sizilianisches Marienlied, die Melodie blieb Falk im Ohr und er machte ein Weihnachtslied daraus. Der Wahrheit näher kommt wohl die Annahme, der Dichter hätte „O sanctissima, o purissima, dulcis virgo Maria“ in einer 1807 erschienenen zweiten Ausgabe von Gottfried Herders Sammlung „Stimmen der Völker in Liedern“ entdeckt und 1816 neu betextet.

Falk dachte praktisch. Er wollte ein Lied schreiben, das für alle drei Hauptfeste im Kirchenjahr, also für Weihnachten, Ostern und Pfingsten geeignet war. Ein Allerdreifeiertagslied, wie er es nannte. In einer späteren Bearbeitung 1826 von Heinrich Holzschuher wurde eines der meist gesungenen Weihnachtslieder daraus. Diesen Erfolg erlebte Falk allerdings nicht mehr. Er war bereits im Februar des Entstehungsjahres gestorben. Pikanterie am Rande: Die selbe Melodie wurde auch für ein Schlachtenlied verwendet. „Hör uns, Allmächtiger, hör uns, Allgütiger, himmlischer Führer der Schlachten“ – mit diesem Text des Schriftstellers Theodor Körner auf den Lippen zogen Soldaten in den Krieg.
Zurück zu Johannes Falk. 1768 in Weimar als Sohn eines Perückenmachers geboren, musste er schon als Zehnjähriger in der Werkstatt seines Vaters arbeiten. Ein Lehrer, der seine Begabung erkannte, gab ihm Privatunterricht. Dank der Fürsprache eines Pfarrers durfte er das Gymnasium besuchen und später Theologie studieren. Falk, bekannt als kritischer Geist, brach jedoch das Studium ab, um als Publizist zu arbeiten, wo er sich im Dunstkreis von Goethe, Herder und Wieland bewegte. Unter anderem machte er sich durch die Herausgabe des „Taschenbuchs für Freunde des Scherzes und der Satyre“ einen Namen.

Eine familiäre Tragödie – vier seiner Kinder starben an Typhus – war der Anlass, das sogenannte „Rettungshaus für verwahrloste Kinder“, zu gründen. Die Napoleonischen Kriege und die Völkerschlacht zu Leipzig hatten viele Kinder zu Waisen gemacht. Falk und seine Frau Caroline setzten mit ihrem außerordentlichem Engagement einen Meilenstein in der Jugendsozialarbeit.
Nicht nur ein Denkmal in Weimar erinnert an den großen Wohltäter. Zahlreiche soziale Einrichtungen tragen heute den Namen von Johannes Falk. Er fand auch einen Platz im Evangelischen Namenkalender, am 14. Februar, seinem Todestag. Und sogar ein Asteroid ist seit 2003 nach ihm benannt. 48480 – ein Stern, der seinen Namen trägt.

Arthur Rebner im Porträt

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

„Wer wird denn weinen, wenn man auseinandergeht, wenn an der nächsten Ecke schon ein andrer steht…“ Es war ein genialer Schnellschuss von Arthur Rebner, mit dem er Hugo Hirsch, dem Komponisten des musikalischen Schwanks Die Scheidungsreise, aus der Patsche half. Er lieferte Hirsch den Text für die zündende Hauptnummer, die ihm drei Tage vor der Premiere im Deutschen Künstler-Theater in Berlin noch fehlte, aus dem Steigreif. Das war 1920. Marlene Dietrich machte das skandalträchtige Lied berühmt. Der Name des Texters Arthur Rebner, der auch als Librettist, Chansonnier, Conférencier und Komponist Lorbeeren einheimste, ist in Vergessenheit geraten. Versuch einer Wiedergutmachung zum 130. Geburtstag.

FRÜHLING IN WIEN

Geboren wurde Arthur Rebner am 30. Juli 1890, in Lemberg, heute eine Stadt in der Ukraine, damals Hauptstadt Galiziens, Kronland der K&K Monarchie Österreich-Ungarn. Er übersiedelte er in den Jugendjahren mit seiner Familie nach Wien. Dort studierte er von 1909 bis 1915 Musik und lernte den um 10 Jahre älteren Komponisten Robert Stolz kennen, damals musikalischer Leiter am Theater an der Wien. Gemeinsam schrieben sie 1917 O Wien, ich kenne dich nicht wieder, 1918 Frühling in Wien, ein walzerseliges Sehnsuchtslied zum Ende des 1. Weltkriegs. 1919 folgte Hallo, du süße Klingelfee aus der Operette Tanz ins Glück und 1920 Salome, schönste Blume des Morgenlands, der wohl größte kommerzielle Erfolg des Duos.

SALOME

Über das Lied sagte Robert Stolz fast 95jährig kurz vor seinem Tod: „Die alte Hur’ ist nicht umzubringen.“ Die nicht gerade schmeichelnde Bezeichnung galt der tantiementrächtigen Salome. Noch heute erweist sich das Lied als ein Dauerbrenner. Extrabreit machte eine Cover-Version daraus, und auch Max Raabe hat es in seinem Programm. Umso erstaunlicher, dass der erfolgreiche Textdichter in den Stolz-Biographien kaum bis gar keine Erwähnung findet. Rebner arbeitete auch mit anderen bekannten Komponisten seiner Zeit zusammen wie Willy Engel-Berger, Fred Raymond, Artur Werau und Robert Katscher und fand einen wunderbaren Interpreten in Hermann Leopoldi (Zieh dich wieder an, Josefin). Seine Texte repräsentierten den Zeitgeist der Wilden Zwanziger Jahre: frech, anzüglich, gespickt mit jüdischem Humor.
Es blieb nicht aus, dass Rebner seine Fühler nach Berlin ausstreckte, dort wo in den Zwanzigern nicht nur in den Kabaretts der Bär steppte. 1924 schlug er dort auch seinen festen Wohnsitz auf. Er wurde Mitglied des Deutschen Bühnen-Klubs Berlin und war gefeierter Conférencier und Revueautor. Das Medium Film reizte den Vielschreiber ebenso und er verfasste Drehbücher und Lieder für Filme wie Schuberts Frühlingstraum, Acht Mädel im Boot und Großfürstin Alexandra und gemeinsam mit Fritz Zoreff für Ein Stern fällt vom Himmel mit Joseph Schmidt.

 

FELIX, DER KATER

Auch in einem ganz anderen Metier hinterließ Rebner seine Spuren. 1917 brachte Pat Sullivan den ersten kurzen Zeichentrickfilm mit Felix the cat in die amerikanischen Kinos, 12 Jahre, bevor Walt Disney seine Micky Maus über die Leinwand laufen ließ. Die seltsamen Arbenteuer von Felix der Kater erschienen auch in Buchform als eine Art Cartoon. Arthur Rebner übertrug die Verse in Wilhelm-Busch-Manier ins Deutsche. Das Vorwort zu dem Buch, das 1927 in einem Berliner Verlag erschien, verfasste der Wiener Schriftsteller und Kaffeehausliterat Alfred Polgar.
Nach der Machtübernahme des Nationalsozialisten war Rebner gezwungen, Deutschland zu verlassen. Er kehrte vorerst nach Wien zurück und arbeitete dort als Operettenlibrettist für Robert Stolz, Leo Fall und Hans May. Nach dem Anschluss Österreichs im März 1938 emigrierte Rebner über die Schweiz nach Frankreich. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs emigrierte er nach Mexiko und später in die USA. 1947 ließ er sich in Hollywood nieder und wurde Direktor des Ebell-Willshire-Theatre, mittlerweile eines der ältesten Theater von Los Angeles. Arthur Rebner starb am 8. Dezember 1949 im Alter von 59 Jahren in Los Angeles und wurde auf dem jüdischen Mount Carmel Cemetery begraben. Der schwarze Grabstein trägt den Zusatz „Beloved father“.

Kleines Update: Eine persönliche Spur von Arthur Rebner. Der Wienbibliothek im Rathaus gelang es, ein Gästebuch aus dem Kabarett Blaue Spinne in der Spiegelgasse (dort wo Jahre später Gerhard Bronners berühmte Marietta-Bar Einzug hielt) zu erwerben. Hier verewigte er sich am 21. Oktober 1937 mit folgenden Worten:

Wer beruflich dichten muß, wie ich,
Findet „dichten müssen“ fürchterlich,
Wie ja auch der Schuster in der Nacht
Ungern zum Vergnügen Schuhe macht.
Doch die „blaue Spinne“ ist es wert,
Dass ich meinen Pegasus so spät noch zäume;
Und ich weiss als Gast, was sich gehört:
Nette Räume brauchen – nette Reime …

Ernst Neubach im Porträt

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Ein Lied geht um die Welt… 1933 gelang dem Textdichter Ernst Neubach ein genialer Wurf. Er schuf gemeinsam mit dem Komponisten Hans May einen Jahrhundert-Hit, der den Tenor Joseph Schmidt unsterblich machte. Die Premiere des gleichnamigen UFA-Tonfilms fand am 9. Mai 1933, einen Tag vor der Bücherverbrennung, in Berlin statt. In der Übersetzung My Song Goes Round The World eroberten Lied und Film ein Jahr später den englischen Sprachraum. Heuer jährt sich der Geburtstag von Ernst Neubach, der in späteren Jahren auch eine beachtliche Karriere als Regisseur und Filmproduzent machte, zum 120. Mal. Grund genug, wieder einmal ganz tief ins Archiv zu tauchen.

ICH HAB’ MEIN HERZ IN HEIDELBERG VERLOREN

Ernst Neubach wurde am 3. Januar 1900 als Sohn des jüdischen k. u k. Eisenbahnbeamten Albert Neubach und dessen Frau Marie in Wien geboren. Er besuchte die Volks- und Bürgerschule sowie die Handelsakademie. Nach einem vierwöchigen Einsatz im 1. Weltkrieg im Frühjahr 1918 wurde er für untauglich erklärt und schlug sich als Plakatierer durch, ehe er seine ersten Kabarett- und Schlagertexte verfasste. Für das Singspiel Ich hab‘ mein Herz in Heidelberg verloren, das Fred Raymond (bürgerlich: Friedrich Raimund Vesely) 1927 komponierte, schrieb Neubach zusammen mit Fritz Löhner-Beda das Libretto und die Liedtexte. Das titelgebende Lied wurde ein Ohrwurm, von dem auch fast 100 Jahre danach noch die Heidelbergische Touristikwerbung profitiert. Der gleichnamige Film mit Adrian Hoven in der Hauptrolle folgte erst 1952.

HEUT’ IST DER SCHÖNSTE TAG IN MEINEM LEBEN

Neubach pendelte in den 1920er Jahren zwischen Berlin, Wien, München und Amsterdam und trat auch als Conferencier auf, u. a. im Wiener Simpl. Über seine Schlagertexte fand er Kontakt zum Tonfilm und schrieb seine ersten Drehbücher. 1932 lernte er den Tenor Joseph Schmidt kennen, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte. Nach Ein Lied geht um die Welt folgte 1936 der zweite Mega-Erfolg, Heut’ ist der schönste Tag in meinem Leben. In dem gleichnamigen Film unter der Regie von Richard Oswald spielte und sang Schmidt eine Doppelrolle, darunter auch das Lied Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben. Hans May und Ernst Neubach waren ein kongeniales Duo. Von ihnen stammen auch die Evergreens Ein Stern fällt vom Himmel undIn einer kleinen Konditorei.

DU BIST DAS SÜSSESTE MÄDEL DER WELT

Ein weiterer Schlager ist Nostalgikern bis heute im Ohr geblieben: Du bist das süßeste Mädel der Welt aus dem Film Liebeswalzer (Musik: Werner Richard Heymann).Ob Neubach sich beim Schreiben des Textes von seiner Frau Helene, einer ehemaligen Schönheitskönigin, hat inspirieren lassen? 1938 waren die beiden gezwungen, die Flucht vor den Nazis anzutreten. Auf abenteuerliche Weise kamen sie über die Schweiz nach Frankreich, wo sich Neubach für die Fremdenlegion verpflichtete. Das Kriegsende erlebte er in der Schweiz, seine Frau in Paris. Seine Erlebnisse sind in dem Buch Flugsand. Dokumentarischer Roman eines Heimatlosen festgehalten. Noch dramatischer verlief die Flucht seines älteren Bruders Robert, der Schauspieler und Theaterregisseur war. Er wurde ins KZ Auschwitz deportiert, wo er 1943 starb. Schwester Alice konnte mit ihrem Mann nach New York emigrieren.
Ab 1945 lebte Neubach wieder in Frankreich. Dort arbeitete er als Filmregisseur, Drehbuchautor und Produzent unter dem Namen Ernest Neuville und drehte u. a. mit Fernandel das Psychodrama Le signal rouge. Seine Ehe war mittlerweile zerbrochen. Nach der Scheidung heiratete er die Schweizerin Margarete Jenni und wurde Vater von Tochter Christine.

IM HIMMEL GIBT’S KEIN BIER

Anfang der 1950er Jahren gelang es Neubach, in Deutschland in der dortigen Filmszene Fuß fassen. 1958 gründete er in München die Neubach-Film GmbH und produzierte meist nicht sehr anspruchsvolle, aber kommerziell erfolgreiche Heimat- und Schlagerfilme. Das Publikum liebte die unbeschwerte Unterhaltung der Nachkriegsjahre, wie Die Wirtin von der Lahn, Ich hab’ mein Herz in Heidelberg verloren und Die Fischerin vom Bodensee boten. Aus letzterem Film stammt das Lied Im Himmel gibt’s kein Bier (Musik: Ralph Maria Siegel), zu dem auch heute noch in Bierzelten gern geschunkelt wird.
Mit dem Film Ein Lied geht um die Welt (Die Joseph Schmidt- Story) setzte er dem jüdischen Tenor, der 1942 an einem nicht erkannten Herzleiden in einem Schweizer Internierungslager im Alter von 38 Jahren starb, ein cineastisches Denkmal. Die Kritik lobte zwar die schauspielerische Glanzleistung von Hans Reiser in der Rolle von Schmidt, der finanzielle Erfolg hielt sich in Grenzen.
Apropos Ein Lied geht um die Welt: Dem Textdichterkollegen Kurt Feltz ging wohl der Refrain nicht aus dem Kopf und er wandelte bei der deutschen Übersetzung von Charlie Chaplins Lime Light Theme die ersten zwei Zeilen Ein Lied geht um die Welt, ein Lied, das euch gefällt ungeniert in Eine Melodie geht um die Welt, eine Melodie, die mir gefällt um. Neubach zog vor Gericht und gewann den Plagiatsprozess gegen Feltz.
Sperrbezirk
war 1966 die letzte Filmproduktion. Darin verewigte sich Ernst Neubach in einer kleinen Rolle. Zwei Jahre später, am 21. Mai 1968, starb er im Alter von 68 Jahren in München. Seine Grabstätte ist unbekannt.

Kommet, ihr Hirten – Carl Riedel im Porträt

Von Claudia Karner (Celler Schule 1996)

Kommet ihr Hirten, ihr Männer und Fraun, kommet das liebliche Kindlein zu schaun…
Dieses traditionelle deutsche Weihnachtslied erfreut sich 151 Jahre nach seiner Entstehung noch immer großer Beliebtheit. Ursprünglich stammt es aus Böhmen und heißt im Original Nesem vám noviny, was so viel wie „Ich verkünde Euch eine Neuigkeit“ bedeutet. Der Komponist und Chorleiter Carl Riedel schrieb 1868 den deutschen Text.

VOM SEIDENFÄRBER ZUM MUSIKUS

Carl Riedel wurde am 6. Oktober 1827 in Cronenberg (heute ein Stadtteil von Wuppertal) geboren. Über sein Privatleben ist nur sehr wenig bekannt. In der Krefelder Liedertafel wurde der Dirigent, Chorleiter und Komponist Carl Wilhelm – vom ihm stammt Die Wacht am Rhein – auf den talentierten jungen Sänger, der als Seidenfärber arbeitete, aufmerksam und wurde dessen Förderer. Er ermöglichte Riedel von 1849 bis 1852 ein Studium in Krefeld und in Leipzig am Konservatorium, der heutigen Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy. Anschließend bekam Riedel eine Anstellung als Klavierlehrer. Seine große Liebe galt allerdings dem Chorgesang. Und so gründete er 1854 einen gemischten Gesangsverein für geistliche Musik, den er der Riedel-Verein nannte, und der im ganzen Deutschen Reich Berühmtheit erlangte. Riedel führte u. a. Werke von Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel und Franz Liszt auf. Auch bei der Grundsteinlegung des Bayreuther Festspielhauses 1872 war der Riedel-Verein dabei. Damals wurde unter Leitung von Richard Wagner die 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven aufgeführt.

DIE ENGEL UND DIE HIRTEN

Auch die Weihnachtslieder lagen Riedel am Herzen. So bearbeitete er die Bergischen Weihnachtslegenden, Weihnachtslieder von Michael Prätorius – das bekannteste davon ist Es ist ein Ros‘ entsprungen – und Kommet, ihr Hirten. Die Melodie soll bereits seit Anfang des 17. Jahrhunderts als böhmisches Weihnachtslied bekannt gewesen sein. Das ist aber nicht eindeutig belegbar. Sicher ist allerdings, dass sie 1847 erstmals in Olmütz gedruckt und im Katholischen Gesangsbuch (Katolicky kancionál) veröffentlicht wurde. Riedels Fassung erschien unter dem Titel Die Engel und die Hirten erstmals 1870 in seiner Sammlung Altböhmische Gesänge für gemischten Chor . Die Übersetzung hält sich nicht an die ursprüngliche tschechische Textvorlage, steht aber in der Tradition der Hirtenlieder, die die Verkündigung der Geburt Jesu durch die Engel an die Hirten und deren Gang zum Stall von Bethlehem aus dem Weihnachtsevangelium thematisiert. Das Lied ist sowohl im Evangelischen Gesangbuch und als auch im katholischen Gotteslob zu finden. Mari Ruef Hofer verfasste 1921 eine englische Übersetzung mit dem Titel Come, all ye shepherds. Es gibt auch eine niederländische Übersetzung.

COMEDY HIRTEN

Riedel, der auch Mitbegründer und Präsident des Allgemeinen Deutschen Musikvereins war, starb am 3. Juni 1888 im Alter von 61 Jahren in Leipzig. An seinem Geburtshaus im heutigen Wuppertal erinnert eine Gedenktafel an ihn. Kommet, ihr Hirten gehört auch heute noch zum weihnachtlichen Repertoire vieler Sänger. Auf Youtube sind Interpretationen von Heintje, Maite Kelly, Roger Whittaker, Die Flippers, Wolfgang Petry und Hansi Hintereseer zu finden. Nomen est omen: Auch der Mundharmonika spielende Michael Hirte kam nicht an dem Hirtenlied vorbei. Witziges Detail am Rande: Eine österreichische Kabaretttruppe, die vor allem als Stimmenimitatoren beim Ö3-Wecker Kult-Status erlangt hat, ließ sich bei der Namenswahl vom Titel inspirieren. Das Quartett nennt sich Comedy Hirten.

Fred Weyrich Im Porträt

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Einmal um die ganze Welt und die Taschen voller Geld… sang 1972 der kürzlich verstorbene tschechische Sänger Karel Gott. Die Tschechoslowakei war damals noch hinter dem Eisernen Vorhang, Deutschland ein geteiltes Land und eine ungehinderte Ausreise für viele Menschen ein umöglicher Traum. Die Idee zu dieser Sehnsuchtshymne hatte der Textdichter Fred Weyrich. Er krempelte das Lied, das im tschechischen Original tatsächlich Hey, Hey, Baby heißt (Text: Jiri Stajdl, Musik: Karel Svoboda) komplett um und schenkte so Karel Gott einen seiner größten Hits in Deutschland.

EIN KLEINES HERZ UND EINE GROSSE LIEBE

Fred (eigentlich: Alfred) Weyrich wurde am 28. August 1921 in Tauberbischofsheim geboren. Wäre es nach seinem Vater gegangen, wäre er Zahnarzt geworden. Doch Fred zog es ans Theater. Er studierte, unterstützt von seiner Mutter, in Berlin Schauspiel, das er mit dem Examen abschloss. Die künstlerische Karriere musste kriegsbedingt warten. Weyrich wurde zum Wehrdienst einberufen und nach der Grundausbildung in der Truppenbetreuung eingesetzt. In Norwegen arbeitete er als Programmleiter und Moderator bei Radio Tromsö und leitete eine kleine Kapelle. Nach dem Krieg war er als Schauspieler und Kabarettist tätig, wurde Haussänger von Radio Hamburg und begleitete Lale Andersen mit seiner Band auf Tournee. 1950 nahm das Multitalent die ersten Platten auf, darunter Die Nacht ist voller Zärtlichkeit und Ein kleines Herz und eine große Liebe. 160 Platten sind es geworden, einige davon im Duett mit Rolf Simson unter dem Namen Fred und Rolf.

SEHNSUCHT – DAS LIED DER TAIGA

Ab den 1960er Jahren schrieb Weyrich Melodien und Texte für andere Künstler und startete seine Karriere als Musikproduzent. Er hatte eine ausgeprägte Spürnase für Talente. So wurden Nana Gualdi, Klaus Wunderlich mit seiner Hammond-Orgel, Edina Pop und Gunter Gabriel von ihm entdeckt. Der größte Fisch, den er an Land zog, war aber Alexandra. „Eine Entdeckung, die man nur einmal im Leben machen kann“, so O-Ton Fred Weyrich. Alexandra, bürgerlich
Doris Nefedov, die damals bei einem Verleger arbeitete, soll ihrem Chef nach einem Streit einen Papierkorb aufgesetzt haben. Der warf sie zwar hinaus, schwärmte aber dem Musikproduzenten vor: „Die hat auf unserem Betriebsfest so schön gesungen. Interessiert sie dich?“ Weyrich bestellte die temperamentvolle junge Dame zum Vorsingen und war von ihrer tiefen Stimme überaus begeistert. Schon nach einer halben Stunde bot er ihr einen Fünf-Jahres-Vertrag an. Bereits die erste gemeinsame LP katapultierte Alexandra – auch der Künstlername war Weyrichs Idee – in lichte Höhen. Wehmütige, auf Russisch getrimmte Lieder – diese Nische war auf dem Schlagermarkt der 1960er Jahre noch frei. Sehnsucht hielt sich ein halbes Jahr in den deutschen Hitlisten. Dabei hat Alexandra dieses Lied angeblich gehasst. „Es war für sie ein einfältiges Kinderlied, das sie nur ein einziges Mal und unter Tränen einsang“, vermerkte der Autor Marc Böttcher in seiner Biographie. Die Karriere, die so vielversprechend begonnen hatte, endete tragisch. Alexandra starb am 31. Juli 1969 bei einem Autounfall. Das Andenken an sie und ihr musikalisches Vermächtnis wird auch noch fünfzig Jahre nach ihrem Tod von dem Verein Alexandra-Freunde e.V. wachgehalten.

KASATSCHOK, KASATSCHOK, RAS, DWA, TRI…

Offensichtlich hatte Weyrich ein Schwäche für die russische Seele: Er produzierte zahlreiche Platten mit Ivan Rebroff, und als Boris Rubaschkin den Modetanz Kasatschok erfand, verfasste Weyrich einen Text zur Melodie. Für Dorthe schrieb der unermüdliche Textdichter Sind Sie der Graf von Luxemburg?, für France Gall Zwei Apfelsinen im Haar, die deutsche Übersetzung von La Banda, und für Karel Gott das eingangs zitierte Lied Einmal um die ganze Welt.

Fred Weyrich mit seiner Entdeckung Alexandra und seinem Texter-Kollegen Hans Blum (links)

Weitere prominente Namen auf der unvollständigen Künstlerliste: Heidi Brühl, Vico Torriani, Gerhard Wendland, Costa Cordalis, René Kollo, Nana Mouskouri, Hanne Haller, Hildegard Knef, Dunja Rajter, Wencke Myhre und Harald Juhnke. Für ihn machte Weyrich, der auch unter dem Pseudonym Fred Conta textete, aus Frank Sinatras Welt-Hit New York, New York eine Hymne an Berlin.
Auch in Radio und Fernsehen war der Alleskönner präsent. So produzierte er mit Peter Frankenfeld Peters Bastelstunde. Sein Talent hat er an seinen Sohn Pit Weyrich vererbt, der als erfolgreicher Kameramann, Regisseur und Moderator für das ZDF arbeitete. Weyrich sen. zog sich in den 1990er Jahren aus dem Show-Business zurück und tüftelte in Dießen am Ammersee an seinen Lebenserinnerungen. Am 30. Dezember 1999 starb er völlig unerwartet an einem Herzversagen. Die Memoiren blieben unvollendet.

Ralph Maria Siegel im Porträt

von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Auch in diesem Sommer konnte sich Capri vor Touristen nicht erwehren. Bis zu 45.000 Tagesgäste! Wer jetzt aber glaubt,das läge daran, dass dort Heidi Klum und Tom Kaulitz neulich in den Hafen der Ehe geschippert sind,der irrt. Der Mittelmeer-Tourismus wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts in Capri quasi „erfunden“. In 1950er Jahren entdeckte dann der internationale Jetset die Insel, ehe der deutsche Massentourismus auf sie überschwappte. Nicht ganz unschuldig daran ist der Textdichter und Komponist Ralph Maria Siegel, der mit dem Lied Capri-Fischer das Italo-Fieber entfachte und einen unsterblichen Evergreen schuf. Darauf ein Glas Chianti!

DER MANN IM FRACK

Ralph Maria (eigentlich: Rudolf) Siegel kam am 8. Juni 1911 in München als Sohn des Juristen und Komponisten Rudolf Siegel, einem Schüler von Engelbert Humperdinck, und dessen Frau Maria zur Welt. Schon früh zeigte sich sein musikalisches Talent. Nach dem Realgymnasium in Krefeld besuchte er das dortige Konservatorium und ging mit 16 Jahren zum Geigen- und Klavierstudium nach Rom und Florenz, wo seine italienische Großmutter lebte. Seinen Vornamen hatte er kurzerhand in Ralph Maria abgeändert. Das Kürzel RMS sollte später zu seinem Markenzeichen werden. Mit 18 Jahren wurde er in London Sekretär eines Kunsthändlers, der auch als Mäzen fungierte, als Siegel gemeinsam mit seinem Jugendfreund und späteren Textdichter-Kollegen Kurt Feltz die erste Operette, Der Mann im Frack, schuf, eine Jazz-Operette, die allerdings nicht dem Zeitgeist entsprach und gnadenlos verrissen wurde. Das tat aber Siegels Ambitionen keinen Abbruch. Er gründete eine eigene Tanzkapelle und schrieb Musik für weitere Operetten (Alles für Eva, 1933) und Spielfilme (Hilde und die vier PS, 1936). Das Handwerk hatte er bei dem österreichischen Komponisten Ernst Toch erlernt, nach Selbsteinschätzung der „vergessenste Komponist des 20. Jahrhunderts“.

JA, JA, DER CHIANTI-WEIN…

Als Siegel den Komponisten Gerhard Winkler traf, wechselte er die Seite und wurde Schlagertexter. Die Studienjahre in Italien machten sich nun bezahlt. Er bezauberte seine Landsleute mit Liedern wie O mia bella Napoli (1937) Ja, ja, der Chianti-Wein (1940) und Capri-Fischer (1943). Die Erstfassung sang Magda Hain, es folgte eine weitere Plattenaufnahme mit
Rudi Schuricke. Als im Oktober 1943 die Italiener den Deutschen den Krieg erklärten, war aber Schluss mit Vino und romantisch-verklärten Sonnenuntergängen. Aus dem Chianti wurde ein Tiroler Wein und über die Capri-Fischer ein Rundfunk-Boykott verhängt. Das Duo Winkler/Siegel musste deshalb bis nach Kriegsende auf den Erfolg warten.
In der Zwischenzeit debütierte Siegel, der auch ausgebildeter Tenor war, am Theater am Gärtnerplatz in München und verliebte sich in die Leipziger Operettendiva Ingeborg Döderlein, die er Sternchen nannte. Geheiratet wurde 1942, drei Jahre später kam Sohn Ralph zur Welt. Das Sprichwort Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm bewahrheitete sich bei den Siegels. Auch wenn der Junior lange im Schatten seines übermächtigen Vaters stand, wurde er einer der erfolgreichsten deutschen Schlagerkomponisten der Gegenwart. Mit dem Lied Ein bisschen Frieden, getextet von Bernd Meinunger und gesungen von Nicole, verhalf er 1982 Deutschland zu Grand-Prix-Ehren.

WENN BEI CAPRI DIE ROTE SONNE IM MEER VERSINKT

Nach dem Ende des 2. Weltkriegs verbreitete sich das Sehnsuchtslied der Capri-Fischer unaufhaltsam. Winkler und Siegel hatten den Nerv der Zeit getroffen. Die Aufnahmen mit Rudi Schuricke und Vico Torriani erreichten in den 1950er-Jahren Rekordumsätze in Millionenhöhe und verhalfen Capri zu einer Gratis-Fremdenverkehrswerbung erster Güte. Plötzlich waren die Deutschen reif für die Insel. Mode und Industrie sprangen ebenfalls auf den Zug auf. Die deutsche Modedesignerin Sonja de Lennart erfand die Capri-Hose, die Audrey Hepburn berühmt machte, die Autofirma Ford benannte ein Modell nach der Insel und ein Getränkehersteller packte die Capri-Sonne in Trinktüten. Viele Künstler – von Peter Kraus bis Max Raabe – nahmen den Schlager in ihr Repertoire auf. Mehr als eine Million Klicks auf Raabes Youtube-Video von bestätigen die ungebrochene Popularität des Liedes.

ICH HAB’ NOCH EINEN KOFFER IN BERLIN

Ein genialer Wurf gelang Siegel 1951 mit einem weiteren Lied Ich hab’ noch einen Koffer in Berlin. Hier war er allerdings als Komponist tätig. Den Text schrieb Aldo von Pinelli. Bully Buhlan sang die erste Schallplatten-Version, Marlene Dietrich und Hildegard Knef machten das Lied berühmt. Ich hab’ noch einen Koffer in Berlin heißt auch die Biographie, die der Wiener Autor Andi Zahradnik zum 100. Geburtstag von Ralph Maria Siegel und Ingeborg Döderlin 2011 verfasste. Das Leben aus dem Koffer kannte RMS nur zu gut. Er hatte 1948 einen höchst erfolgreichen Musikverlag gegründet, später das Platten-Label
Jupiter Records, war dauernd auf Achse und entdeckte viele Künstler, darunter den jungen Udo Jürgens als Komponisten. „Mein Vater schaffte es, dass Shirley Bassey ein Lied von Udo zu hören bekam, Reach For The Stars. Es wurde dessen erster Welterfolg“, schrieb Ralph Siegel in seinen Lebenserinnerungen. „Was Vater betraf: Er liebte Udo, aber dessen Karriereweg ging als Sänger weiter, und dann kamen andere Macher, Manager und Verleger ins Spiel“.
Mehr als 2500 Lieder schrieb Siegel, der auch die Pseudonyme Theo Hansen und Gustav Auerbach verwendete, im Laufe seines Lebens, darunter Auf meiner Ranch bin ich König für Peter Hinnen und Der Puppenspieler von Mexiko für Roberto Blanco, der deutschen Fassung von The young new Mexican puppeteer. Vor allem 1950er und 1960er-Jahren war es in Mode, internationale Erfolgsschlager ins Deutsche zu übertragen. Das kam dem sprachbegabten Siegel gerade recht. Für Connie Francis machte er aus Ev’rybody’s somebody’s fool Die Liebe ist ein seltsames Spiel, für Dalida übersetzte er J’attendrais (Komm zurück), für Charles Trenet La mer (Das Meer) für Edith Piaf La vie en rose (Schau mich bitte nicht so an) und für Renée Franke Les feuilles mortes (Der Schleier fiel von meinen Augen), um nur einige der bekanntesten Titel zu nennen. Siegel hielt sich fast nie an das Original. „Ich war immer bemüht, meinen Texten einen Sinn zu geben, sauber zu reimen, leicht verständlich zu sein und der Stimmung der Musik zu folgen“, beschrieb er seine Arbeitsweise. Mit dem Aufkommen der Beat-Musik Anfang der 1960er Jahre, mit der er nicht viel anfangen konnte, war die große Zeit des Schlagertexters vorbei. 1967 wollte RMS es noch einmal wissen und machte gemeinsam mit den Textdichter-Granden Robert Gilbert und Max Colpet aus der Verwechslungskomödie Charleys Tante ein Musical. Hauptdarsteller war Hans Clarin, die spätere Synchronstimme des Pumuckl. Der Erfolg war sensationell. Seine Heimatstadt München lag ihm zu Füßen. Im Deutschen Theater in München besuchten 70.000 Zuschauer die Vorstellungen.

„EINE KERZE, DIE AN BEIDEN ENDEN BRANNTE“

Als Verleger und Plattenproduzent war Siegel ein Workaholic, lange bevor dieses Wort erfunden wurde. Stress, viele Reisen und eine ausschweifende Lebensweise setzten dem schwergewichtigen Mann und dessen Gesundheit zu. Da halfen auch die eigenen Ratschläge in dem Buch Wer wiegt(wagt), gewinnt! – Eine kleine Fastenkur nichts. Die Leber rebellierte. Häufige Klinikaufenthalte waren die Folge. „Mein Vater hörte nicht auf seinen Körper. Er war wie eine Kerze, die an beiden Enden brannte“, notierte der Junior in seiner Biographie. „Er reiste stets mit zwei Taschen: die eine war voll mit Arbeitsunterlagen, die andere mit Medikamenten.“ Am 22. Juli 1972 kam der Zusammenbruch. Siegel wurde in ein Münchner Krankenhaus eingeliefert, wo er am 2. August 1972 an einem Organversagen starb. Mit knapp 61 Jahren. Ob er geahnt hatte, wie schlimm es um ihn stand? Drei Wochen vorher hatte er das Testament zugunsten seines Sohnes Ralph, der damals 27 Jahre alt war, geändert. Wie sehr der große RMS geliebt und geschätzt wurde, zeigte sich bei seinem Begräbnis. 5000 Menschen gaben ihm das Geleit, als er auf dem Münchner Nordfriedhof zu Grabe getragen wurde.

Charly Niessen im Porträt

von Claudia Karner

„Hab’n Sie schon mal den Mann im Mond geseh’n…?“
Am 21. Juli 1969, 3:56 MEZ war es so weit: Der US-amerikanische Astronaut Neil Armstrong betrat als erster Mensch den Mond. Acht Jahre zuvor hatte sein Landsmann Gus Backus den Mann im Mond bereits höchst erfolgreich besungen. Den Einfall zu diesem Ohrwurm, der sogar Freddy Quinnns La Paloma von der Spitze der deutschen Hitparade verdrängte, hatte Charly Niessen. Kurz nach der Mondlandung aktualisierte er das Lied. „Jetzt haben wir den Mann im Mond geseh’n…“ hieß es in der ersten Zeile. Ein Kuriosum im Schaffen des Textdichters und Komponisten, der mehr als 1500 Lieder verfasste.

DEINE LIEBLINGSPLATTE

Charly Niessen wurde als Carl Niessen am 22. September 1923 in Wien geboren. Er wuchs in Dresden auf und studierte in Wien, Weimar und Jena Germanistik, Theater- und Musik- und Theaterwissenschaften und verdiente sich nach dem Krieg – von 1945 bis 1949 – als Pianist in der „Kleinkunst am Naschmarkt“ seine ersten künstlerischen Sporen. Danach ging er zum Amerikanischen Rundfunk ECA nach Paris und anschließend nach Berlin, wo er ab 1952 im KabarettDie Stachelschweine in die Tasten haute. „Für eine Abendgage von fünf Mark, ein Abendessen, ein Bier und einen Schnaps“, wie er in einem Interview anlässlich seines 25-jährigen Jubiläums als Textdichter in der Zeitschrift Musikmarkt erzählte. „Schließlich holte mich der Komponist Heino Gaze aus der Garderobe mit dem Satz: Davon kann man doch nich’ leben – womit er recht hatte – und brachte mich zu Peter Schaeffers. Der Musikverleger gab mir ein Zimmer in seinem Büro mit Klavier und Telefon und sagte: Nun mach mal!“ Und Niessen machte. Heraus kam für Bully Bulan das Lied Deine Lieblingsplatte und für Caterina Valente Die Damenwelt von Chile. Das war 1953. Rasch avancierte der Branchenneuling zu einem der erfolgreichsten Komponisten und Textdichter der Fünfziger und frühen Sechziger Jahre in Deutschland. Niessen tanzte gern auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig. Mal schrieb er nur den Text, mal nur die Musik, mal beides. Über 1500 Lieder, darunter 36 Filmmusiken, sechs Musicals und eine Menge Fernseh-Shows sind so entstanden. Achtzig Orchester und mehr als 200 Interpreten von A wie Peter Alexander bis Z wie Helmut Zacharias nahmen seine Lieder auf. Und auch in den USA konnte er reüssieren. Dabei hatte ihn sein Musikverleger Peter Schaeffers 1957 eigentlich nur als Dolmetscher mitgenommen. Aber dann schrieb Niessen gemeinsam mit Heino Gaze für Nat „King“ Cole den Song Ask me und für Dean Martin die Musik zu Angel Baby und landete damit in den amerikanischen Charts.

EINS UND EINS, DAS MACHT ZWEI

Den jungen dänischen Brüdern Jan & Kjeld ebnete Charlie Niessen mit Banjo Boy die Karriere in Deutschland. Dieses Lied wurde sein größter kommerzieller Erfolg. Billy Mo, der schwarze Sänger aus Trinidad, kam mit Ich kauf mir lieber einen Tirolerhut zu schlagartiger Berühmtheit. Hierzu verfasste Niessen allerdings nur die Melodie, der Text stammt von Franz Rüger. 1963 landete Heidi Brühl beim Grand Prix de la Chanson mit dem Lied Marcel auf Patz 9.
Niessens Bandbreite war groß. Er hatte nicht nur ein Gespür für eingängige, harmlos-witzige Ohrwürmer, sondern auch für anspruchsvolle Texte. So verhalf er der Schauspielerin Hildegard Knef zu ihrer außergewöhnlichen Gesangskarriere. Auf einem Faschingsball in München machte 1962 der Chefredakteur der Frauenzeitschrift Madame der Schauspielerin das Angebot für eine Plattenproduktion, wie Petra Roek in der Knef-Biografie Fragt nicht, warum! vermerkte. Die Knef willigte ein, ein Komponist und Texter war bald gefunden: Charly Niessen. Er ließ mit einem völlig neuen Musikstil aufhorchen. „Mit einer Art Chanson – ich bezeichne es ja nicht als Chanson – kamen wir mitten in die Rock’n’Roll-Zeit rein“, so Niessen. Er war nie ein Kavalier hieß die A-Seite der 1. Single. Zu den größten Hits zählen Eins und eins, das macht zwei und In dieser Stadt. Zwei Meter Bein, letzteres in Zusammenarbeit mit Hildegard Knef, war eine Liebeserklärung an ihren frisch angetrauten Mann David Cameron. Insgesamt tragen 55 Titel Niessens Handschrift

 

SO LEB’ DEIN LEBEN

Charly Niessen war auch ein Sprachtalent. Er übertrug weltbekannte Hits wie La Mamma von Charles Aznavour ins Deutsche. Aus L’été indien von Joe Dassin wurde Septemberwind und aus I did it my way von Frank Sinatra So leb’ dein Leben, ein Song, der wie die Faust auf Harald Juhnkes Auge passte. Ein ganz großer Wurf gelang Niessen auch mit dem Lied Der Clown für Heinz Rühmann. Ebenfalls sehr berührend: Die Bäume meiner Kinderzeit, ein früher Udo Jürgens-Titel. 1976 gab es mit Komm doch mal ’rüber einen Karriereschubs für Ingrid Peters. Dann setzte Charly Niessen einen Schlusspunkt.
„Ich wollte nicht als Schlager-Opa enden“, sagte er in einem Interview. Deshalb verlegte sich der vielseitig Begabte in den Achtziger Jahren auf das Schreiben von Theaterstücken und Büchern. Mach’doch mal was falsch, Mama oder: Wie verhindert man eine Ehe heißt der Roman, der seiner Mutter gewidmet ist. Sie war eine gebürtige Flämin, die ihr „Karlchen“ stets unter ihrer Fuchtel haben und nicht an eine andere Frau verlieren wollte. Daran dass seine Ehe mit der Schauspielerin Claudia Wedekind in die Brüche ging, war allerdings nicht Mama schuld, sondern Wedekinds Kollege Hans-Jörg Felmy. In dem Buch Alle meine Perlen setzte Niessen den Haushälterinnen ein literarisches Denkmal. In Große Zeiten beschreibt „Karlchen“ seine Jugendjahre von 1932 bis 1945 in der Tradition eines autobiographischen Schelmenromans. Und in dem Buch Die seltsame Karriere des Pablo Senkfuß erzählt er Geschichten aus dem Show-Biz. Seine tiefstapelnde Selbsteinschätzung: „Ich bin nicht besonders fleißig, es kommt nur so viel zusammen.“
Charly Niessen, der gebürtige Wiener, fand eine neue Heimat in Bayern, wo er bis zuletzt mit seiner Lebensgefährtin in Prien am Chiemsee lebte. Er arbeitete gerade an einem neuen Buch und einem Theaterstück für die Kleine Komödie in München, als er am 21. Februar 1990 im 67. Lebensjahr einem Herzinfarkt erlag. Seine letzte Ruhestätte ist auf dem Friedhof in Prien.

Platz 1 und 2! – Celler Schule ganz vorn in den Rundfunk-Hitparaden … und mittendrin…

Von Turid Müller

Tobias Reitz und Alexander Scholz sind als Textdichter von Schlager & Volksmusik auf Platz 1 und 2 der Jahresbilanz 2018 im Bereich Hörfunk.

In der Publikation des Musikpressedienstes vom 14.Dezember 2018 belegen die beiden ExCellenten in der Kategorie Rundfunk den ersten und zweiten Platz. Tobias Reitz liegt mit 573 Platzierungen ganz vorn und Alexander Scholz mit 391 dicht auf. Eine Flut von Glückwünschen füllt die Kommentarzeilen auf Facebook. Und Ilona Boraud merkt an, dass auch zahlreiche SchülerInnen von Tobias Reitz und Edith Jeske auf der Liste vertreten sind: „Irgendwas musst du richtig machen!“ schreibt die Songtexterin, die das aus eigener Erfahrung weiß, weil sie selber Absolventin der Celler Schule ist. Und tatsächlich! In der Tabelle finden sich zum Beispiel auch: Jonathan Zelter, Simone Altenried,  Lukas Hainer, Marcel Brell, Andreas Zaron und „Fly“ Martin Fliegenschmidt
Herzlichen Glückwunsch an alle Platzierten (und an die Celler Schule)!

Ihr Kinderlein kommet – Christoph von Schmid im Porträt

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

So muss man Feste feiern! Christoph von Schmid, der Textdichter des Weihnachtsliedes Ihr Kinderlein kommet, wäre heuer 250 Jahre alt geworden. Seine Heimatstadt Dinkelsbühl dachte sich für das Jubiläumsjahr etwas Besonderes aus und rief zum Flashmob #SingHisSong auf. Und alle – nicht nur die Kinderlein – kamen, sangen, spielten, rappten und rockten. Die Ersten schon zum Geburtstag im August, die Letzten am 1. Adventwochenende. Wer war der Mann, der noch heute die Massen begeistert?

IHR KINDERLEIN KOMMET

Geboren wurde Christoph Schmid am 15. August 1768 in Dinkelsbühl als Sohn des höheren Beamten Friedrich Schmid und dessen Gattin Theresia. Er war der älteste von neun Kindern, bekam nach der Grundschule Privatunterricht im Kloster und wechselte dann in das Gymnasium in Dillingen. Nach dem Abitur war er als Hauslehrer tätig, wo er sein pädagogisches und erzählerisches Talent entwickelte. Ab 1785 studierte er Philosophie und Theologie an der bischöflichen Universität Dillingen und wurde 1791 zum katholischen Priester geweiht. Er arbeitete in verschiedenen Gemeinden als Seelsorger und wurde 1827 zum Domherrn in Augsburg ernannt. Zehn Jahre später wurde Schmid von König Ludwig I. in den Adelsstand erhoben.

DIE KINDER BEY DER KRIPPE

Christoph von Schmid war auch der erfolgreichste Kinder- und Jugend-schriftsteller seiner Zeit. Er schrieb Erzählungen mit pädagogischen Anliegen in einer auch für Kinder verständlichen Sprache, das Oratorium Caecilia oder Die Feyer der Tonkunst (vertont von Georg Valentin Roeder) und Kirchenlieder. Bis heute noch in aller Munde: Ihr Kinderlein kommet. Es ist vermutlich 1789 an seinem ersten Dienstort in Nassenbeuren entstanden. Ursprünglich hatte das Gedicht acht Strophen und hieß Die Kinder bey der Krippe. In der Vertonung von Franz Luft wurde es 1818 in die Sammlung Blüthen, dem blühenden Alter gewidmet aufgenommen. Das Autograph befindet sich heute in der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg. Bekannt geworden ist das Lied Ihr Kinderlein kommet aber erst in einer späteren Vertonung des Lüneburger Komponisten Johann Abraham Peter Schulz, Hofkapellmeister am dänischen Hof in Kopenhagen. 1832 veröffentlichte es der Gütersloher Volksschullehrer und Organist Friedrich Hermann Eickhoff, dessen Schwiegervater der Verleger Carl Bertelsmann war, in der Sammlung Sechzig deutsche Lieder für dreißig Pfennig. Das Notenheft wurde ein Verkaufsschlager. Durch die Auswanderer gelangte das Lied in die große weite Welt und wurde in 24 Sprachen übersetzt.

SING HIS SONG!

Christoph von Schmid war ein langes Leben vergönnt. Er starb am 3. September 1854 im Alter von 86 Jahren in Augsburg, wo er auch begraben wurde. Sein Name ist nicht in Vergessenheit geraten. Mehrere Straßen und Schulen in Orten und Städten, in denen er gearbeitet hatte, wurden nach ihm benannt. Und noch zu seinen Lebzeiten wurde dem edlen Freund der Jugend, dem Lehrer hoher Tugend, so die Inschrift, auf der Eurasburg bei Augsburg eine Linde gepflanzt. Ob es sich bei dem Baum tatsächlich noch um das Original handelt, wie behauptet wird? Der berühmte Bildhauer und Schüler von Ludwig Schwanthaler, Maximilian Widnmann, schuf 1859 ein imposantes Denkmal, das vor dem Münster St. Georg in Dinkelsbühl steht. Anlässlich des 250. Geburtstags von Christoph von Schmid wurde es Christo-mäßig verhängt. Auf Schildern stand zu lesen: Don’t watch him! #SingHisSong!

Yes, we do it! Spätestens am 24. Dezember!

Thomas Woitkewitsch wird 75 –
Alles Gute zum Geburtstag

von Edith Jeske

Wann wird’s mal wieder richtig Sommer? Keine Frage in einem Jahr wie diesem. Aber ein Lied, das nicht nur die ältere Generation auswendig drauf hat, sondern erstaunlich viele junge Leute auch. So viele kennen so vieles von dem, was Thomas Woitkewitsch getextet hat: Denken wir nur an Herman van Veen mit den Liedern, von denen wir fast nicht glauben mögen, dass ein anderer Mensch hinter seinen Texten steht. Nicht nur wir haben diese Lieder geliebt, als wir jung waren. Wir haben auch unsere Kinder damit großgezogen, mit dem zärtlichen Gefühl, dem kleinen Fratz auf dem Kinderrad mit dem Radweg, der schwarz glänzt wie Lakritz. Flitz…!
Thomas Woitkewitsch hat Musikgeschichte geschrieben. Und nicht nur Musikgeschichte. Fernsehgeschichte auch. Rudi Carrells laufendes Band hat er mit angeworfen, gestaltet und bis zur letzten Sendung mit Songs begleitet. Auch „Wetten, dass…?“ war eines seiner Kinder – wenngleich er nicht der einzige Vater war.

Und noch eines verdanken wir ihm: die große Liebe zwischen dem deutschen Publikum und einer gewissen britischen Komikertruppe namens Monty Python. Thomas war derjenige, der diese aberwitzigen Helden zu uns holte – gegen manche Vorbehalte und die Skepsis zuständiger Redakteure: Monty Python’s Flying Circus. Überdrehter britischer Humor, der Deutschland erobert hat. Auch dank Thomas.

Der berufliche Thomas Woitkewitsch war immer zugleich ein bisschen der private, der menschliche und der menschenliebende. Mitten in einer lärmenden Welt ein leiser Melancholiker, dessen Lieder oft einen Hauch Wehmut in sich tragen. Oder eine feine Weisheit, der man sich kaum entziehen kann. Dem Sänger Kalle Pohl auf den Leib schrieb er:

Mein kleiner Mann, musst nicht traurig sein.
Kommst nicht überall ran, aber überall rein.
Mein kleiner Mann, denk bei Spott und Hohn:
Dich macht keiner klein, denn du bists ja schon.

Die ganz kleine Geste beherrscht Thomas Woitkewitsch ebenso wie die ganz große. „Ich hab keine Angst“ sang Milva stimmgewaltig zu den monumentalen Klängen von Vangelis. „Hurra, wir leben noch“ blieb als Titelmelodie des gleichnamigen Films viel länger im Ohr als der Film auf der Leinwand.

Thomas Woitkewitsch legte sich selten mit anderen an, aber die sich zuweilen mit ihm. Als Milva mit „Zusammenleben“ in der Bundesrepublik aus allen Radiogeräten klang, wurde Thomas in der Zeitschrift EMMA als „Pascha des Monats“ abgewatscht. Wieso das? Es hieß im Lied: „Ich mag dich, weil du klug und zärtlich bist, und doch – das ist es nicht allein. Du zeigst mir immer, dass es möglich ist, ganz Frau und trotzdem frei zu sein“. Alice Schwarzer schäumte. Listig verwies Woitkewitsch auf eine andere Zeile im selben Lied: „Wer wird als Frau denn schon geboren – man wird zur Frau doch erst  gemacht.“ Ein Zitat von Simone de Beauvoir, womit er die streitbare Feministin dann wieder einfing.

Lieber Thomas,
auch ich als Frau habe mich damals über dieses Lied empört. Da war mir auch Simone de Beauvoir egal. Und das Lied ist eines meiner Feindbilder bis heute. Aber du kannst gemeinsam mit mir drüber lachen. Denn eines weißt du: Du bist einer dieser Handvoll Menschen, die mir in meinem Leben am meisten bedeuten. Es gab dich darin schon lange, bevor ich wusste, wie du aussiehst. Da war nur dieser Name, der fast immer dann auftauchte, wenn Texte mich besonders anrührten (ich habe schon immer die klein gedruckten Autorennamen auf den Plattencovern gelesen). Und als ich dann selber zu schreiben begann, wurden diese Texte von diesem unbekannten Mann mir einer meiner  Maßstäbe. Ich wollte es auf meine eigene Art tun, aber ich wollte Gefühle mit einer solchen Selbstverständlichkeit rüberbringen, wie du es kannst.
Und noch was (du weißt es, aber es kann nicht oft genug gesagt werden): Die Celler Schule und du. Den Namen verdankt sie dir. Und das herzwärmende Wort „Nestwerk“ für uns alle – nach 23 Jahren, von denen du uns schon 17 begleitest.
Und jedes Jahr wieder vergoldest du unseren vorletzten Seminartag, indem du uns mitnimmst auf eine Reise durch dein Leben und uns mit wonnevoll feuchten Augen in ein Gefühl eintauchen lässt, wie es uns nicht besser beschreiben könnte:

Vergiss nicht die Freunde!
Vieles, was nicht geht, das geht dann doch ganz glatt,
wenn man Freunde hat.

Du hast sie in uns. Und bist uns ein Freund. Danke dafür. Danke, lieber Thomas und alles Gute – und mögest du noch viele Jahre an unserer Seite bleiben.
Deine Edith – zusammen mit Tobi, Julia, Rainer und der Celler Schule.

Masha Potempa, Thomas Wotkewitsch, Camilla Elisabeth Bergmann, Sylvia die Unvollendete, Erich Sellheim

Und hier – stellvertretend für den ganzen großen Rest  – noch ein paar Grüße an dich:

Sommer 1975, Urlaub auf dem Bauernhof mit meinen Großeltern. Ich kann als Zehnjähriger den Carrell-Tonfall nachahmen, und singe wohl mehrmals täglich zur Belustigung aller: „Wir brauchten früher keine großen Reisen . . .“, auswendig konnte ich es sowieso. Als ich am Abschlussabend der Celler Schule 2009 dann stundenlang mit Dir sprach, lieber Thomas, erfüllte mich eine dermaßene Resonanz, dass mein Herz überlief. Der Wein tat sein Übriges. Mein Vater starb früh; meine Mutter ist, wie ich nun weiß, 10 Tage nach Dir geboren. Ich wünsche Dir Glück und Gesundheit, Du ferner Vater im Geiste! Alles Liebe,
Stefan Noelle (Celler Schule 2009)

 

Thomas, deine Texte sind genial!
Ich mag sie, weil sie klug und zärtlich sind –
und doch, das ist es nicht allein.
Du zeigst uns immer, dass es möglich ist,
ganz Mann und doch Poet zu sein.
Der Thomas ist der Texter des Jahrhunderts,
ein Celler-Schule-Absolvent h.c.!
Man singt begeistert mit und denkt: „Wen wundert’s?“
Und schuld daran ist nicht die SPD …
Daniel Nowak (Celler Schule 2015)

 

Lieber Thomas,
die Gesellschaft braucht Menschen mit Feingefühl und Feinsinn wie dich. Schön, dass es dich gibt! Schön, dass ich dich kennenlernen durfte!
Ilona Boraud (Celler Schule 2015)

 

Lieber Thomas,
ohne Dich und Deine herzerwärmenden Geschichten wäre die Celler Schule nur halb so schön. Und die bundesdeutsche Unterhaltungskunst um einige Perlen ärmer. Danke, dass Du uns so reich beschenkst und dabei so liebenswert und bescheiden geblieben bist.
Alles Liebe zu Deinem 75. Geburtstag! Möge es Törtchen und Konfetti regnen. Oder andere segensreiche Gaben Deiner Wahl.
Camilla Elisabeth Bergmann (Celler Schule 2013)

 

Wann wird’s mal wieder richtig Sommer
(auf die bekannte Melodie zu singen, aber in Moll!)
Gewidmet dem wunderbaren Thomas Woitkewitsch zum 75 Geburtstag.

Jens Ohrenblicker, (Celler Schule 2016)

Wir brauchten früher keine große Reise,
wir wurden nass in München und Berlin.
Doch heute hat das Klima echt ’ne Meise.
Man will am liebsten in die Arktis fliehn.

Ja früher gab’s an jedem Tag
zehn Wochen lang nur Niederschlag
und Gummistiefel lagen voll im Trend.
Und unterm Regenschirm zu zweit
vergaß man gerne mal die Zeit
und nie-mand musste fürchten, dass die Haut verbrennt.

Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?
Ein Sommer, wie er früher einmal war?
Ja, mit Wolkenbruch von Bayern bis zur Nordsee
und nicht so heiß und so saharisch wie in diesem Jahr.

Und was wir da für Regengüsse hatten!
Die Eisverkäufer machten ständig frei.
Man brauchte keine Kühlung, keinen Schatten,
und Pollen flogen nicht einmal im Mai.

Der Regen klatschte ins Gesicht,
da brauchte man die Dusche nicht,
das Auto wurde sauber von allein.
Man tanzte durch die Pfützen wie
Gene Kelly, voller Energie.
Doch heut – heut schwitzt man selbst im T-Shirt wie ein Schwein.

REFRAIN

Der Winter war der Reinfall des Jahrhunderts.
Kein Schnee fiel in der ganzen Republik.
Mein Nachbar sagt: Das Klima hier, wen wundert’s!
Das liegt nur an der Flüchtlingspolitik.

Ich find, das geht ein bisschen weit
und bald ist wieder Erntezeit,
doch die wird mager, das ist, was uns droht.
Was nützen Reichtum, Macht und Geld,
wenn wochenlang kein Regen fällt,
denn wir, wir sitzen alle doch im selben Boot.
REFRAIN