Robert Gilbert im Porträt

von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Am Sonntag will mein Süßer...Sommer, Sonne, dazu eine frische Brise – idealer können die Voraussetzungen für ein gelungenes Wochenende nicht sein. Denn: Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln geh’n… Ein klassischer Ohrwurm! 1929 erklang der Schlager zum ersten Mal und wurde 32 Jahre später für den gleichnamigen Film wieder aus der Versenkung geholt. Dany Mann And The Old Merry Tale Jazzband landeten damit den Sommerhit 1961. Wenke Myrrhe verhalf dem unverwüstlichen Gute-Laune-Lied Ende der 1960er Jahre zu erneuter Popularität. Aber wer hat es geschrieben? Von Anton Profes stammt die Melodie, von Robert Gilbert der Text. Robääär Gilbääär? Nie gehört? Dann unbedingt weiterlesen!
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KATHRIN, DU HAST DIE SCHÖNSTEN BEINE VON BERLIN

Robert Gilbert wurde am 29. September 1899 als Robert David Winterfeld in Berlin geboren. Da war sein Vater Max Winterfeld gerade 20 Jahre alt und schlug sich als Kapellmeister und Komponist durch, ehe er sich den Künstlernamen Jean Gilbert zulegte und mit der Operette Die keusche Susanne und dem Ohrwurm Puppchen, du bist mein Augenstern den Durchbruch schaffte. Weil sein Vater immer auf Achse war, besuchte Robert zwangsläufig an die 30 Schulen. 1918 wurde er in den Krieg eingezogen, wo der Spartakusbund, einer Vereinigung marxistischer Sozialisten, sein politisches Bewusstsein weckte. Nach Kriegsende studierte er Philosophie und Kunstgeschichte, ging für mehr soziale Gerechtigkeit auf die Straße und opponierte vorerst gegen seinen zu Reichtum gekommenen Vater. Da er aber heiraten wollte und Geld verdienen musste, machte der Junior eine Kehrtwendung, nahm er Künstlernamen seines Vaters an und verfasste mit ihm Texte für Revuen und Operetten. „Von Schopenhauer zum Gassenhauer“ notierte er Jahre später in seinem „beiläufigen Lebenslauf“. Den ersten Schlager, komponiert von Fritz Löwe (später Frederick Loewe), widmete er seiner Frau: Kathrin, du hast die schönsten Beine von Berlin. Kathrin nannte er die Angebetete nur um um des Reimes Willen, in Wirklichkeit hieß sie Elisabeth, genannt Elke.

Robert Gilbert (rechts im Bild) und Werner Richard Heymann mit der Sängerin Elisabeth von Lüdinghausen.

EIN FREUND, EIN GUTER FREUND

Robert Gilbert arbeitete mit den besten Komponisten seiner Zeit zusammen: Nico Dostal, Friedrich Hollaender, Oscar Straus und Ralph Benatzky. In der Operette Im Weißen Rössl (Uraufführung:1930)fragte er: Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist? und verhalf mit Liedern wie Im Salzkammergut, da kamma gut lustig sein und Im Weißen Rössl am Wolfgangsee einer ganzen Region zur unbezahlten Fremdenverkehrswerbung, die heute noch Früchte trägt.Danach entdeckte ihn der neue Tonfilm.
Mit dem Komponisten Werner Richard Heymann schuf er unvergessliche Evergreens: Ein Freund, ein guter Freund und Liebling, mein Herz läßt dich grüßen (aus: Die Drei von der Tankstelle, 1930), Das gibt’s nur einmal (aus: Der Kongreß tanzt, 1931) und Das ist die Liebe der Matrosen (aus: Bomben auf Monte Carlo, 1931). In über 100 Filmen sangen Stars wie Lilian Harvey, Willy Fritsch, Zarah Leander, Heinz Rühmann und Willi Forst Gilberts Texte.

Das Lied Irgendwo auf der Welt, das Lilian Harvey in dem Film Ein blonder Traum (1932) sang, wurde durch die Comedian Harmonists zum Hit und 1997 Titelsong der von Josef Vilsmaier verfilmten Biographie der ersten Boygroup der Welt. Werner Richard Heymann hatte nicht nur die Melodie geschrieben, sondern auch den Refrain. Seine Tochter Elisabeth Trautwein-Heymann vertraute mir an: „Es war das Hoffnungslied meines Vaters. Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück, und ich träum davon in jedem Augenblick… Ich habe Robert Gilbert als Kind fast täglich bei uns erlebt. Er und mein Vater arbeiteten quasi bis zu dessen Lebensende eng zusammen. Er war ein Genie des Wortes. Wenn zwei Genii sich finden und lieb haben, dann entsteht Ewiges.“

DA WÄR’S HALT GUT, WENN MAN ENGLISCH KÖNNT

Robert Gilbert war ein Zerrissener: Er widmete sich nicht nur der Tantiemen bringenden leichten Muse, er schuf mit Hanns Eisler gesellschaftskritische Lieder wie Das Stempellied, das, vorgetragen von Ernst Busch, zu einem klassischen Arbeiterkampflied wurde. „Ein deutsches Schicksal – zwischen Kunst und Kommerz“, befand der Feuilletonist Maurus Pacher. „Hier brillante Agitation, da die unvergesslichen Schlagertexte für Millionen. Ein Schuss Schizophrenie war sicher dabei.“ Auf Grund seiner politischen Einstellung und seiner jüdischen Herkunft sah Gilbert sich gezwungen, nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 mit Frau und Tochter nach Österreich zu fliehen und fünf Jahre später nach Amerika zu emigrieren. Seine europäische Prominenz nützte ihm dort nicht viel. Er schrieb für das New Yorker Exilkabarett und räsonierte: „Da wär’s halt gut, wenn man Englisch könnt!“ Was für ein Glück es war, dass Gilbert es doch erlernte, sollte sich Jahre später herausstellen.

ES GRÜNT SO GRÜN, WENN SPANIENS BLÜTEN BLÜHEN

Nach elf Hungerjahren kehrte Robert Gilbert, der die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, nach Europa zurück und trennte sich von seiner Frau Elke. Mit seiner zweiten Frau Gisela und Sohn Stephan lebte er in München und später in der Schweiz und startete eine sensationelle Karriere als Übersetzer, die er Frederic Loewe alias Fritz Löwe, seinem alten Freund aus frühen Berliner Tagen, und der mittlerweile perfekten Beherrschung des amerikanischen Idioms zu verdanken hatte. Dem ersten Geniestreich, der Übertragung des Musicals My Fair Lady ins Deutsche und ins Berlinerische, folgten 22 weitere Übersetzungen, darunter Annie get your gun, Hello Dolly, Can Can, Oklahoma und Der Mann von La Mancha.

Gilbert war eine echte Berliner Schnauze. „Meckern ist wichtig, nett sein kann jeder“, behauptete er und machte die Lebensphilosophie zum Titel eines seiner Gedichtbände. „Erwarte mir als Verfasser der Liedtexte zum Weißen Rössl mindestens ein Denkmal. Aus Zwetschgenknödeln“, meinte er schnoddrig. Dieser Wunsch ging ebenso wenig in Erfüllung wie der, nicht vor dem Jahr 2001 endgültig Gute Nacht zu sagen. „Denn dann hätte ich in drei Jahrhunderten gelebt. Was gar nicht so einfach ist.“ Gilbert, den Maurus Pacher als unglaublich Vielseitigen, wahrhaft Gespaltenen und in Anspielung an Die Drei von der Tankstelle als ebenso wahrhaft „Guten Freund“ bezeichnete, starb am 20. März 1978 zurückgezogen in Locarno in der Schweiz – 23 Jahre vor seinem Wunschtermin.

Eine melancholische Lebensbilanz zog er schon lange vor seinem Tod.

Einen Grashalm besingen
Möchte ich.
Einen Freund trösten
Wollte ich.
Einen Feind versöhnen
Will ich.
Was wird aus dem, was ich will?
Der Freund ist untröstlich.
Der Feind unversöhnlich.
Und die Grashalme mahnen mich:
Sei still!

 

Literarisches PS: Wissenschaftlich mit dem Leben von Robert Gilbert befasst hat sich der Journalist Christian Walther. Die 435-seitige Dissertation ist 2016 im Verlag Peter Lang erschienen und kostet stolze 84,50 Euro. Marianne Gilbert Finnegan, die halbjüdische Tochter aus erster Ehe, schrieb unter dem Titel „Memories of a Mischling“ (deutscher Titel: Das gab’s nur einmal – Verloren zwischen Berlin und New York)“ ihre Lebenserinnerungen. Erschienen 2009 bei Diogenes.

Walter Rothenburg im Porträt

 

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Walter Rothenburg
Walter Rothenburg

Wenn die Deutschen ihr kollektives Glücksgefühl gesanglich ausdrücken wollen, sei es nun bei einer feucht-fröhlichen Geburtstagsrunde oder nach einem gewonnenen Fußballmatch im Stadion, kommen sie an einem Gassenhauer nicht vorbei: So ein Tag, so wunderschön wie heute! Auch in den nächsten Wochen wird er während der Fußball-EM in Frankreich vermutlich landauf, landab aus Abertausenden Fan-Kehlen klingen. Eine gute Gelegenheit also, jenen Mann vorzustellen, dem vor 65 Jahren dieser Text eingefallen ist: Walter Rothenburg.

O DU VLAAMISCHE DEERN

Walter Rothenburg wurde am 28. Dezember 1889 in Hamburg-Eimsbüttel geboren. Sein Vater Joseph war ein Brauereivertreter, sein Großvater Charles Schriftsteller und Verleger. Schon in jungen Jahren zog es Walter in die Ferne. Anstatt Brötchen zu backen, wie es die Eltern gewollt hätten, fuhr er als Schiffsjunge zur See. 1899 war er bei der Kaiserlichen Marine im Einsatz. Bereits in dieser Zeit schrieb er Lieder auf Plattdeutsch. Sein erstes überliefertes Lied verfasste er 1916 an der Flandernfront, wo er im Kriegseinsatz war: O du vlaamsche Deern. Überaus erfolgreich war seine Zusammenarbeit mit dem Volkssänger Charly Wittong, mit dem er u.a. Couplets vom Hamburger Fährjung (Fohr mi mol röber!) und An de Eck von de Steenstroot schrieb. Die Lieder wurden so populär, dass sie heute viele Hamburger für alte Volksweisen halten.

KAMPF UM MEISTER UND MILLIONEN

In den Zwanziger Jahren startete Rothenberg, der in den USA mit dem Boxsport in Berührung gekommen war, in Deutschland eine sensationelle Karriere als Boxpromotor. 1925 veranstaltete er den ersten Boxkampf im Berliner Sportpalast. Für den Kampf Walter Neusel gegen Max Schmeling ließ er 1934 in Hamburg eine Sandrennbahn in der Nähe des Tierparks Hagenbeck innerhalb weniger Wochen zu einer Arena umgestalten, die fast 100.000 Besuchern Platz bot – ein Zuschauerrekord, der bis heute nicht eingestellt wurde. Für den Kampf Max Schmeling gegen den Amerikaner Steve Hamas ließ er ein Jahr später innerhalb von 42 Tagen in Hamburg eine Lagerhalle in die größte überdachte Sportarena der Welt umbauen. Die Hanseatenhalle umfasste 25.000 Sitzplätze, der Madison-Square-Garden in New York nur 20.000. Der Sieg gegen Hamas ermöglichte Schmeling, Ex-Weltmeister im Schwergewicht, wieder in Amerika als Boxer Fuß zu fassen und 1936 gegen Joe Louis anzutreten. Zuvor hatte sich Schmeling auch als Schauspieler und Sänger versucht. Das Lied Das Herz eines Boxers aus dem Film Liebe im Ring schrieb allerdings nicht Rothenburg, sondern Fritz Rotter.

SO EIN TAG, SO WUNDERSCHÖN WIE HEUTE

Nebenbei, aber vor allem nach seinem Abschied vom Ring war Rothenburg, der seine Erinnerungen in dem Buch Kampf um Meister und Millionen festhielt, als Schriftsteller und Textdichter tätig. Er schrieb Glossen, Gedichte und Kurzgeschichten, die mit seinem Spitznamen, dem Kürzel Wero, versah. Für das 1949 gegründete Hamburger Abendblatt verfasste er Kolumnen mit Lokalkolorit und veröffentlichte Gedichtbände in Plattdeutsch.

 

Freddy Quinn
Freddy Quinn

Als Liedtexter war er so produktiv, dass seine Komponisten Lotar Olias, Michael Jary, Gerhard Winkler und Gerhard Jussenhoven kaum nachkamen. Du, du, du, laß mein kleines Herz in Ruh‘, im Original gesungen von Lonny Kellner, wurde in der Übersetzung als You, you, you, – Interpreten waren The Ames Brothers – als erstes deutsches Lied nach dem 2. Weltkrieg Nummer 1 in der amerikanischen Hitparade. 1951 gelang Walter Rothenburg mit So ein Tag so wunderschön wie heute sein größter Hit. Als Auftrittslied der Mainzer Hofsänger in der Fastnacht 1952 wurde es über Nacht zur Karnvalshymne. 1954 wurde der Schlager in den Unterhaltungsfilm Geld aus Luft eingebaut, und Lonny Kellner verhalf ihm so zu weiterer Popularität. Auch Ernst Neger, Freddy Quinn und Heino nahmen es in ihr Repertoire auf, und sogar beim Fall der Berliner Mauer sangen Tausende Menschen: „So ein Tag, so wunderschön wie heute, so ein Tag, der dürfte nie vergeh’n…“ Und noch ein Lied aus der Feder von Walter Rothenburg ist bestens geeignet für die Bekundung grenzenlose Freude: Oh, wie bist du schön! Die Musik dazu stammt von Willibald Quanz.

JUNGE, KOMM BALD WIEDER!

1954 brachte der Komponist Lotar Olias im Operettenhaus in Hamburg die Revue-Operette Heimweh nach St. Pauli heraus. Die Story war dem singenden Seemann Freddy Quinn auf den Leib geschrieben. Das Libretto stammte von Gustav Kampendonk und Heinz Bruck, die Liedtexte u. a. von Kurt Schwabach, Ernst Bader, Stephan Weiss und Walter Rothenburg. Rothenburg gelang mit Junge, komm bald wieder! der ganz große Wurf. 1963 wurde das Musical verfilmt. Junge, komm bald wieder führte dreizehn Wochen die deutsche Hitparade an. 2,5 Millionen Singles wurden verkauft.

Seine letzten Lebensjahre verbrachte der fernwehgeplagte Wero mit seiner fünften Ehefrau, die er der Einfachheit halber Weroline nannte, und Yorkshire-Terrier Lord Simon in Ascona in der Schweiz. Nicht aus Steuergründen, sondern der gesunden Luft wegen, wie er einmal dem Hamburger Abendblatt anvertraute. Rothenburg starb am 10. März 1975 in Ascona, wurde aber als echter Hamburger Jung in Hamburg-Ohlsdorf beigesetzt. Ihm zu Ehren wurde eine Brücke im Stadtteil Neuallermöhe benannt.

 

 

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Günter Loose im Porträt

Günther Loose -V-
– Günter Loose –

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

In Kürze geht der Eurovision Songcontest 2016 über die Bühne. Deutschland schickt Jamie-Lee Kriewitz nach Stockholm. Ob das Manga-Mädchen mit dem Titel Ghost einen Blumentopf gewinnen kann? Seit 1970 wissen wir: Wunder gibt es immer wieder! Damals landete Katja Ebstein mit diesem Titel auf Platz 3 und erreichte die bis dato beste Platzierung beim ESC, der damals noch Grand Prix de la Chanson hieß. Die Musik schrieb Christian Bruhn, den Text Günter Loose, dem das heutige Porträt gewidmet ist.

EIN KLEINER NEGERJUNGE TRÄUMT VON EINER SCHNEEBALLSCHLACHT

Rudolf Günter Loose wurde am 5. Februar 1927 in Berlin geboren, wo er auch seine Jugend verbrachte. Sein Interesse galt schon im Gymnasium der Unterhaltungsmusik und dem Jazz, er studierte aber auf Wunsch seines Vaters fünf Semester Medizin. Nach dem Studienabbruch trennte er sich von seinem ersten Vornamen und startete mit Schulfreund und Jazz-Kumpel Klaus Hübner ein ehrgeiziges Projekt. Er gründete eine Gastspiel-Direktion für Jazz. „Bei unseren Jam-Sessions machte Paul Kuhn seine ersten Schritte – wir allerdings nach zwei Jahren unsere letzten“, notierte Loose in seinen Erinnerungen im Booklet zur CD-Sammelbox „Meine Lieder – meine Texte“. Nach dieser Pleite versuchte er sich als Lesezirkel-Vertreter, Regieassistent und klinkenputzender Schlagertexter. Erstmals auf offene Ohren stieß er bei dem Komponisten Gerhard Honig, Musikredakteur des Deutschlandsenders, der im Osten der damals noch nicht geteilten Stadt Berlin ansässig war. Ein kleiner Negerjunge träumt von einer Schneeballschlacht, so lautete der Titel und wurde von der dunkelhäutigen Leila Negra gesungen. Von nun an ging’s bergauf. In Ostberlin entwickelte sich eine gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Komponisten Gerd Natschniski, die bedauerlicherweise durch den Bau der Berliner Mauer ein Ende fand. Loose textete u. a. für den DDR-Star Bärbel Wachholz.

ITSY BITSY TEENY WEENY HONOLULU STRANDBIKINI

Den Durchbruch in der Bundesrepublik erlebte Günter Loose 1959 mit dem Song Ein Mädchen mit 16, gesungen von Conny Froboess. Das brachte ihm die erste Hitparadenplatzierung ein. 1960 verschaffte Loose mit Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu Strand Bikini Catarina Valente den Sommerhit des Jahres. Jedes neue Freddy Quinn-Lied bedeutete damals eine Goldene Schallplatte. Deshalb suchte Loose den Kontakt zu Freddys Komponisten Lotar Olias. So entstanden Du musst alles vergessen, La Guitara Brasilana und Irgendwann gibt’s ein Wiedersehen. Durch Olias lernte Loose James Last kennen, mit dem er Eine ganze Nacht (Games that Lovers play) verfasste, der von über 100 Interpreten in der Welt gesungen wurde. Loose schrieb für alle Schlagergrößen seiner Zeit: Rex Gildo, Vicky Leandros, Ireen Sheer, Bata Ilic, Ricky Shayne und Ted Herold sowie die ehemaligen Eislaufstars Marika Kilius und Hans Jürgen Bäumler. Auch ausländische Stars wie Johnny Cash, Chris Andrews, Paul Anka, Cliff Richard und Adamo kamen nicht an Loose vorbei. Er übersetzte deren Hits ins Deutsche.

MARMOR, STEIN UND EISEN BRICHT

Die erste Begegnung mit dem Komponisten Christian Bruhn dauerte zwei feuchtfröhliche Tage und Nächte. Zum Schreiben und Komponieren kamen die beiden nicht. „Aber wir entdeckten unsere gemeinsame Liebe zum Jazz, und das machte uns zu Freunden“, so Loose. Keine schlechte Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. So entstand für Drafi Deutscher Marmor, Stein und Eisen bricht (Wegen des grammatikalisch falsch gebrauchten Verbs durfte das Lied in Bayern nicht im Radio gespielt werden), für Manuela Ich geh’ noch zur Schule und für Roberto Blanco Ein bisschen Spaß muss sein. Dieser Titel war auch Looses Lebensmotto. „Ohne Spaß läuft gar nichts“, sagte er. „Mir wäre kein Text eingefallen, viele schöne Lieder wären nie entstanden, und ich wäre nie bei diesem Beruf geblieben, der mir viel mehr als nur ein bisschen Spaß bereitet hat“.

WUNDER GIBT ES IMMER WIEDER

Eines Abends im Jahr 1970, kurz vor Einsendeschluss zum Grand Prix d’Eurovision de la Chanson (der heute Eurovision Songcontest heißt) in Amsterdam rief Günter Loose Christian Bruhn an: „Du, wir haben da noch eine angefangene Country-Nummer, die heißt Wunder gibt es immer wieder. Die sollten wir einreichen. Mach‘ eine schöne Festival-Musik dazu, vielleicht etwas langsamer, bedeutender, ich kann ja den Text ändern, wenn’s nötig ist“, erinnerte sich Bruhn in seiner Biographie „Marmor, Stein und Liebeskummer“. Innerhalb weniger Stunden schrieb er eine Melodie mit einem gewaltigen, spannungsgeladenen Intro, dazu ein Arrangement mit Bigband und Streichern. Das Ergebnis ist bekannt. Katja Ebstein holte sich den 3. Platz beim Grand Prix. Es war aber auch der Startschuss für eine jahrelange enge Zusammenarbeit zwischen dem Komponisten und der Sängerin, die 1972 in eine Ehe mündete. Das Lied wurde in viele Sprachen übersetzt und auch oft gecovert, u .a. von Guildo Horn, Karel Gott und Deborah Sasson.

WELCHE FARBE HAT DER SONNENSCHEIN?

Apropos Songcontest: 1984 wollte es Loose noch einmal wissen. Für die Formation Rainy Day verfasste er Text und Musik zu Welche Farbe hat der Sonnenschein, den Schweizer Beitrag für Luxemburg. Das Lied landete auf Platz 17, und Loose beendete seine höchst erfolgreiche Karriere als Textdichter. 3000 Lieder hatte er geschrieben, darunter auch unter dem Pseudonym Peter Berling, was wohl als eine Reminiszenz an seine Heimatstadt gedacht war. Bis 2002 betrieb Loose in Zürich eine Künstleragentur. Er starb am 3. Oktober 2013 im Alter von 86 Jahren in der Schweiz. „Was kann dem Künstler Besseres passieren, als dass seine Werke ihn überleben. Und das ist Dir gelungen, lieber Rudi. Hab Dank!“, schrieb Christian Bruhn in einem Nachruf.

Fritz Rotter im Porträt

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Fritz Rotter
Veronika, der Lenz ist da!

Kaum schielt der Frühling um die Ecke, bricht alle Welt in einen Freudenschrei aus: Veronika, der Lenz ist da! Dass die Comedian Harmonists Veronika zum unausrottbaren Ohrwurm und ihrer Kennung gemacht haben, ist hinlänglich bekannt. Wem wir den köstlichen Text zu verdanken haben, weiß kaum jemand. Darum: Fritz Rotter vor den Vorhang!

VERONIKA, DER LENZ IST DA!

Fritz Rotter (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Berliner Theaterunternehmer) wurde am 1. März 1900 in Wien geboren. Sein jüdischer Vater war Generalvertreter für Champagner, seine Mutter führte den gutbürgerlichen Haushalt. Schon als 17jähriger war Fritz Stammgast im Café Dobler an der Linken Wienzeile, wo die Kabarett- und Literaturszene verkehrte – das spätere Filmgenie Fritz Lang liebte es ebenso, dort seine Melange zu trinken – und schrieb für das Kabarett Simpl Texte und Lieder. An die 1200 Lieder sollten es im Laufe seines Lebens werden. Ob Rotter auch einen „ordentlichen“ Beruf erlernt hat, verschweigt die Chronik.„Die Lieder sind kabarettistisch-komisch und leicht und höchst liebenswert und frech und charmant und alles zugleich!“ so beschrieb sie Robert Dachs in dem Buch „Sag zum Abschied…“. Und er stellte fest: „Rotter war ein Meister der dritten Strophe. Bei ihm bekam ein an und für sich harmloser Refrain in der letzten Strophe immer etwas leicht Unanständiges.“

WENN DER WEISSE FLIEDER WIEDER BLÜHT

Fritz Rotter
Fritz Rotter

Rotter war ein Multitalent und Vielschreiber. Er verfasste Libretti für Operetten und Revuen, Bühnenstücke und Drehbücher sowie Romane und Gedichte und war auch als Komponist tätig. Lieder, die heute noch unvergessen sind, sind Wenn der weiße Flieder wieder blüht (Musik: Franz Doelle),Ich hab’ mir für Grinzing einen Dienstmann engagiert (Musik und Co-Autor: Bruno Uher) und Heut war ich bei der Frieda. Rotter besaß eine untrügliche Nase für musikalische Talente. Er hatte sich bereits in der Szene einen Namen gemacht, als er Walter Jurmann, einen ehemaligen Medizinstudenten und Barpianisten, kennenlernte. Er schlug ihm vor, mit ihm zusammenzuarbeiten und nach Berlin zu übersiedeln, dorthin wo in den Zwanziger Jahren der Bär steppte. Bereits das erste gemeinsame Lied Was weißt denn du, wie ich verliebt bin, gesungen von Star-Tenor Richard Tauber, wurde ein durchschlagender Erfolg. Dann folgte das Jahrhundertlied Veronika, der Lenz ist da. Der zündende Einfall kam Jurmann, als er mit Rotter auf den Schallplattenproduzenten Herbert Grenzebach im Büro der Plattenfirma Ultraphon wartete. Als dieser endlich kam, sang Jurmann spontan: „Wer kommt denn da? Der Grenzebach!“ Der Produzent witterte sofort Erfolgspotential in den acht Tönen und meinte: „Das ist eine Melodie. Da müssen Sie was draus machen!“ Die Autoren ließen sich nicht lange bitten. Ungeklärt geblieben ist allerdings, welche Dame namens Veronika den Textdichter zu den heiter-frivolen Zeilen inspiriert hat.

ICH KÜSSSE IHRE HAND, MADAME!

Fritz Rotter hatte nicht nur überbordende Lust am Nonsens, er hatte auch einen Hang zur Galanterie, wie das Lied Ich küsse Ihre Hand, Madame! beweist. Richard Tauber machte es zu einem Kassenschlager. In dem gleichnamigen Film war das Lied als kurze Tonsequenz in einem der letzten deutschsprachigen Tonfilme zu hören. Eine echte Sensation!

Die Machtübernahme Hitlers 1933 bedeutete das brutale Aus für die Karriere von Fritz Rotter. Er flüchtete mit Frau und Kind über Paris und London in die USA. Mehr als sieben dürre Jahre musste er überstehen, ehe sich wieder der Erfolg einstellte. Mit einem Bühnenstück, dem Kriegsdrama Letters to Lucerne, landete er auf dem Broadway in New York einen Triumph. Mit dem Film September Affair schaffte er den Sprung nach Hollywood. Er arbeitete u. a. mit Franz Werfel, Fritz Kortner und Fritz Lang. Dem Filmproduzenten Erich Pommer gelang es, Fritz Rotter, der mittlerweile die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, wieder nach Deutschland zu holen. Gemeinsam mit Helmut Käutner schrieb er für den Film Nachts auf den Straßen  das Drehbuch. Hans Albers und Hildegard Knef spielten die Hauptrollen.

WAS MACHT DER MAYER AM HIMALAYA?

Nach seiner Rückkehr konnte Rotter nicht mehr an die früheren Erfolge anknüpfen. Mit Liedern wie Ich soll dich grüßen von Berlin und Ich möchte gern ein Beatle sein war allerdings kein Blumentopf zu gewinnen. 1966 geriet ein Lied von Rotter, das Freddy Quinn interpretierte, in die Negativ-Schlagzeilen. Wir, so der Titel, war eine harsche Kritik an der herumgammelnden Jugend. Dafür musste Freddy Quinn arge Kritikerschelte einstecken und sich öffentlich rechtfertigen. Martin Kraus vermerkte in dem Blog „Deutsche Lieder. Die Bamberger Anthologie“, das Lied bliebe als kuriose Kommentierung der sogenannten 68er-Bewegung im Gedächtnis. 1987 entdeckten die Toten Hosen den Song und coverten ihn unter ihrem Pseudonym Rote Rosen.

Fritz Rotter drängte nie ins Rampenlicht. In einem seiner seltenen Interviews antwortete er auf die Frage, wo er denn am liebsten lebe:„Dort, wo man mich am wenigsten belästigt.“ Seine Ruhe fand er im Tessin. wo er in Ascone – von der Öffentlichkeit gänzlich unbeachtet – seinen Lebensabend verbrachte und  am 11. April 1984 starb. Das Wiener Volksliedwerk widmete dem genialen Textdichter zum 30. Todestag im Rahmen des Wienerliedfestivals Weanhean 2014 im Konzerthaus einen Abend unter dem Titel Was macht der Mayer am Himalaya. Österreichische Bühnengrößen wie Katharina Straßer, Ursula Strauss und Wolf Bachofner sowie der Pianist Bela Koreny stellten unter Beweis, wie grandios diese Schlagerkunst einmal gewesen ist.

Max Colpet im Porträt

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

 

Max Colpet Graphik
Max Colpet: Die unsignierte Grafik stammt aus seinem Buch „…wenn man trotzdem lacht“

Sag mir, wo die Blumen sind! Wo sind sie geblieben? Was vordergründig wie eine Frage einer enttäuschten Frau am Valentinstag klingt, sind die ersten Verse eines der bekanntesten deutschsprachigen Antikriegslieder. Das Original Where have all the flowers gone schrieb 1955 der US-amerikanische Singer-Songwriter Pete Seeger. Angeblich hat er sich dazu auf einem Flug nach Ohio von einem ukrainischen Volkslied inspirieren lassen. Die Übertragung ins Deutsche stammt von Max Colpet. Der wiederum nahm dafür Anleihe bei einem Gedicht aus dem 18. Jahrhundert, das Johann Georg Jacobi schrieb und Sag mir, wo die Veilchen sind hieß. Die Interpretin, die das Lied 1962 zum ersten Mal sang, ist bis heute unvergessen. Es war Marlene Dietrich. Max Colpet hingegen erlitt das typische Textdichter-Schicksal. Die Erinnerung an ihn bedarf also einer kleinen Politur.

HOPPLA, JETZT KOMM ICH!

Max Colpet (auch Max Kolpe) wurde am 19. Juli1905 als Max Kolpenitzky in Königsberg (heute Kalingrad) in Ostpreußen geboren. Sein Vater war ein russisch-jüdischer Kaufmann. 1914, bei Ausbruch des 1. Weltkriegs, war die Familie gezwungen, das Land Richtung Deutschland zu verlassen. Max verbrachte seine Jugend in Hamburg, wo er sein Abitur machte. Er übersiedelte nach Berlin, um an der Technischen Hochschule zu studieren und kam mit der dortigen Künstlerszene in Kontakt. Seine ersten literarischen Lorbeeren verdiente er sich mit Gedichten, später mit Texten für die Kabaretts von Friedrich Hollaender, Tingeltangel und Katakombe. 1928 gründete er mit dem Schauspieler Erik Ode, der in den 1970er Jahren mit der Krimiserie „Der Kommissar“ Fernsehgeschichte schreiben sollte, das Kabarett Anti. Dann verlegte er sich aufs Drehbuchschreiben für den Film. Mit dem Script für Scampolo – ein Kind der Straße, das er mit Billy Wilder (damals noch Samuel Wilder) verfasste, landete Colpet 1932 einen Erstlingserfolg. Weitere gemeinsame filmische Arbeiten folgten. Dass sich Hans Albers in dem Film Der Sieger mit dem Lied Hoppla – jetzt komm ich (Musik: Werner Heymann) in die Herzen der Zuschauerinnen katapultierte, ist auch Max Colpet zu verdanken.

I LIKE TO BE IN AMERICA

Die Schaffensperiode in Deutschland war allerdings nicht von langer Dauer. 1933, nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, musste Colpet, der staatenlose Jude, erneut fliehen. Während es ihm gelang, sich nach Paris abzusetzen, wurden seine Eltern deportiert und starben im KZ. Auch in Frankreich gelang es dem Sprachtalent ins Filmgeschäft einzusteigen. Colpet schrieb vier französische Drehbücher. 1948 lockte Hollywood, wo sein Freund Billy Wilder auf ihn wartete, und er packte wieder seine Reiseschreibmaschine ein. I like to be in America lautete nun sein Credo. Pikanterie am Rande: Einige Jahre später übertrug Colpet die Westside Story, d a s Erfolgsmusical von Leonard Bernstein (Text: Stephen Sondheim), ins Deutsche. Aus I like to be in America wurde Was uns gefällt in Amerika. In seinen Memoiren Sag mir, wo die Jahre sind – Erinnerungen eines unverbesserlichen Optimisten – die Erstauflage erschien 1976 – resümierte er wehmütig: „Emigrieren: das Land, in dem man geboren ist, verlassen, sich an andere Länder, an andere Gebräuche gewöhnen, das ist nicht einfach. Hoffnungen werden schnell begraben. Enttäuschungen häufen sich. Selten gelingt es einem, sich völlig anzupassen und zu assimilieren, so sehr man sich auch bemüht. Man ist und bleibt ein Emigrant, ein Zuwanderer, wird nie das Gefühl los, ein Eindringling zu sein, ein Fremdkörper in einem andersartigen Gefüge, einem fremden Land, einer ungewohnten Welt. Aber noch schwerer ist die Remigration.“

SAG MIR, WO DIE BLUMEN SIND

Trotz seiner Erfolge kehrte Colpet, mittlerweile amerikanischer Staatsbürger, 1958 nach Good Old Germany zurück und ließ sich in München nieder. Er verfasste Kabarett-Texte für die Lach- und Schießgesellschaft und schrieb Chansons und Schlager für die Größen der Zeit: Marlene Dietrich, Zarah Leander, Nana Mouskuri, Charles Aznavour, Gilbert Becaud, Lale Andersen, Gitte, Katja Ebstein, Thomas Fritsch, Freddy Quinn und Gus Backus. An die 1000 sollen es im Laufe seines Lebens geworden sein. Sag mir, wo die Blumen sind blieb sein größter Hit. Seine weiteren Antikriegslieder wie Der ewige Soldat (Original: The Universal Soldier von Buffy Sainte-Marie) oder „Der Deserteur (Original: Le Deserteur von Boris Vian) fanden nicht den Anklang, den er sich gewünscht hatte. „Ich schäme mich fast, dass ich mit einem Lied wie Bohnen in den Ohr’n, das ich aus Gefälligkeit für Gus Backus geschrieben habe, das Zehnfache verdiente“, so Colpet.

Was heute vielen Musical-Fans den Schauer über den Rücken laufen lässt: In den 1960er Jahren war es üblich, fremdsprachige Musicals ins Deutsche zu übersetzen. Das eröffnete dem Sprachengenie Colpet ein weites Betätigungsfeld. Neben der Westside Story war er auf die deutschen Fassungen von drei Musicals von George Gershwin Lady be good, Girl-Crazy und Oh, Kay sowie auf Irma la Douce besonders stolz, wie er in seinen Memoiren festhielt. Noch mehr Herzblut legte er in sein eigenes Musical Millionen für Penny, zu dem Lothar Olias, ebenfalls ein gebürtiger Königsberger, die Musik komponierte. Es wurde am Gärtnerplatztheater in München 1967 uraufgeführt und gilt als das erste deutsche Musical. Der rauschende Erfolg wollte sich allerdings nicht einstellen.

IM SANDMEER DER ZEIT

Max Colpet war auch schriftstellerisch tätig. Außer seinen Lebenserinnerungen veröffentlichte er 1979 den Roman Es fing so harmlos an und Satierische Verse – Zoo ist das Leben, die der tschechische Künstler Miroslav Sasek illustrierte. Sein letztes Buch Im Sandmeer der Zeit. 60 Jahre Filmschaffen – eine moderne Odyssee kam zu seinem 90. Geburtstag auf den Markt. Max Colpet starb am 2. Jänner 1998 im 93. Lebensjahr in München und fand auf dem Nordfriedhof seine letzte Ruhestätte.

 

 

 

Alle Jahre wieder: Wilhelm Hey im Porträt

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

 

Kleine Vorbemerkung: In der Serie „Wer schrieb eigentlich…?“ stelle ich Textdichter des 20. Jahrhunderts vor. Alle Jahre wieder mache ich im Dezember eine Ausnahme und porträtiere einen Textdichter, der uns ein Weihnachtslied geschenkt hat, das noch heute zum singbaren Familien-Repertoire unter dem Christbaum zählt. Heuer ist Alle Jahre wieder an der Reihe.

Wilhelm Hey
Grafik: Freundeskreis Wilhelm Hey

„Alle Jahre wieder kommt das Christuskind auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind.“ So lautet die erste Strophe des Weihnachtsklassikers. Als Wilhelm Hey 1837 den Text schrieb, konnte er nicht ahnen, dass die ersten drei Worte fast 200 Jahre später auch außerhalb der Weihnachtszeit zum allgemeinen Zitatenschatz zählen würden. Alle Jahre wieder! – gefolgt von einem tiefen Seufzer: Und schon wissen wir, nun kommt etwas Unabwendbares, eine Regelmäßigkeit, der wir – egal ob erfreulich oder nervig – wir nicht entrinnen können. Auch die 11,5 Millionen Internet-Einträge, die die Suchmaschine in 0,31 Sekunden ausspuckt, sprechen eine deutliche Sprache.

WILHELM HEY (1798 – 1854)

Wilhelm Hey wurde 1798 als Sohn eines evangelischen Pfarrers in Leina (Thüringen) geboren und wuchs nach dem Tode seiner Eltern bei seinem Bruder Karl auf. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Gotha studierte er Theologie in Jena und Göttingen. Er war als Haus- und Internatslehrer tätig, ehe er 1818 Pfarrer in Töddelstadt bei Erfurt wurde. (Das war auch das Jahr, in dem zum ersten Mal Stille Nacht, heilige Nacht in Oberndorf bei Salzburg erklang.) Hey wurde Hofprediger in Gotha, danach Superintendent in Ichtershausen und zeichnete sich durch sein soziales Engagement für Handwerker, Lehrlinge sowie berufstätige Mütter und deren Kinder aus. 1847 wurde ihm von der Universität Heidelberg das Ehrendoktorat verliehen.

ALLE JAHRE WIEDER

Zu dieser Zeit hatte sich Hey schon einen Namen als Fabeldichter gemacht. Das Buch Fünfzig Fabeln für Kinder, das Otto Speckter illustrierte, erschien 1833 zwar anonym und wurde deshalb vorerst dem Illustrator zugeschrieben. Das zweite Buch Noch fünfzig Fabeln für Kinder erschien 1837 unter Heys Namen. Sie wurden durch das Geschick des Verlegers Friedrich Perthes, den mit Hey eine lange Freundschaft verband, d a s deutsche Bilderbuch des 19. Jahrhunderts. Hey schrieb klare, ungekünstelte und für Kinder leicht verständliche Reime. Das machte den großen Erfolg aus. Die Fabeln wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Hey war ebenfalls als Übersetzer tätig. So übertrug er 1838 The Course of Time von Robert Pollok vom Englischen ins Deutsche. Wer nun Interesse bekommen hat: Hier ist eine umfangreiche Fabelsammlung zu finden.

Wilhelm Hey 2Anlässlich Heys 100. Geburtstag stand in der Zeitschrift Die Gartenlaube: „Zahllose Nachahmungen der Heyschen Fabeln haben die meisterhaften Vorbilder weder erreichen noch verdrängen können und wenn auch für den Dichter in den meisten Literaturgeschichten kaum ein Platz von wenigen Zeilen übrig ist, seine Dichtungen selbst sorgen dafür, seinem Namen den gebührenden Ehrenplatz dauernd zu sichern.“

1837 hatte Wilhelm Hey die Idee zu Alle Jahre wieder. Die Melodie wird dem Komponisten und Musikpädagogen Friedrich Silcher zugeschrieben, der sie in seinem Liederzyklus Zwölf Kinderlieder aus dem Anhange des Speckter’schen Fabelbuches von 1842 veröffentlichte. Eine andere Melodiefassung stammt von dem Komponisten, Organisten und Lehrer Ernst Anschütz, dem ein weiterer Weihnachts-Evergreen zu verdanken ist: O Tannenbaum.

WEISST DU, WIEVIEL STERNLEIN STEHEN?

Wilhelm Hey war zweimal verheiratet. Nach dem Tod seiner Frau Auguste 1827 heiratete er fünf Jahre später Luise von Axen. Den gemeinsamen Sohn Wilhelm, der 1838 auf die Welt kam, sang er vermutlich mit seinem berühmten Wiegenlied in den Schlaf: Weißt du, wieviel Sternlein stehen? Der Autor Karlheinz Maess wählte die letzte Zeile des Liedes als Titel für eine Biographie. „…kennt auch dich und hat dich lieb.“ Das Leben des Pfarrers und Freundes der Kinder Wilhelm Hey, die 1989 erschien.

In Leinatal ist der Sitz des Freundeskreis Wilhelm Hey, der sich zur Aufgabe macht, das Andenken an den Dichter, dessen Lieder auch im Evangelischen Gesangsbuch zu finden sind, zu bewahren. In Töttelstädt erinnert eine Gedenktafel am ehemaligen Pfarrhaus an sein Leben und Wirken, außerdem trägt eine Straße seinen Namen. In Ichtershausen ist die Staatliche Regelschule nach Wilhelm Hey benannt. Die sogenannte Hey-School!

Kaltstart, coole Suppen und Kreativität

von Carsten Schabosky

Basisseminar „Songtexte schreiben“ vom 31.10. bis zum 04.11.2015 in Berlin

Ein Dachboden, jeden Tag eine andere Suppe und vor allem: Zehn hochmotivierte Leute. Das waren die Zutaten für das Basisseminar in Berlin.

Los ging‘s jeden Tag mit einem „Kaltstart!“ Was beim Auto oft schlecht für den Motor ist und zu einem höheren Spritverbrauch führt, bewirkte in Berlin genau das Gegenteil. Nach dem Kaltstart, also nach fünf Minuten drauf-los-schreiben, kam unsere Kreativität erst richtig in Gang. Edith war da streng: Kreativtraining arbeitet mit der schreibenden Hand! Also: Notebooks? Nein Danke!

Gelegenheiten zum Mitschreiben gab’s reichlich. Jeder hatte die Chance, seine Songtexte ins Gruppen-Coaching zu geben. Die Texte wurden gemeinsam noch besser. Aber auch Grundlagen wurden gelegt. Wie funktioniert die Metaphern-Maschine? Fit per Abroll-Übung! Wer ist der beste Sprichwort-Verdreher? Warum fahren alle besser mit einem Song-Fahrplan? Welche Lied-Typen gibt es eigentlich? Und: Warum klingen Vokale oft schöner als Konsonanten?

Ganz wichtig bei allem: Achtung! Linke Gehirnhälfte! Gute Songs werden vom Publikum gefühlt und nicht gedacht.v.l.n.r. vorn: Karla Feles, Beatrice Riedel, Edith Jeske, Ludwig Lorenz hintere Reihe: Cindy Kramr, Rico Jalowietzki, Carsten Schabosky, Sebastian Niklaus, Miro Pabst, Corinna Fuhrmann

v.l.n.r.
vordere Reihe: Karla Feles, Beatrice Riedel, Edith Jeske, Ludwig Lorenz
hintere Reihe: Cindy Kramer, Rico Jalowietzki, Carsten Schabosky, Sebastian Niklaus, Miro Pabst, Corinna Fuhrmann

 

Unsre fünf Tage waren kein Song-Camp. Profis wollen wir ja alle noch werden. Aber sie haben uns wichtige Impulse gegeben und vor allem: Viel Spaß gemacht!

Danke Edith!

Julius Brammer im Porträt

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Seit Tagen kursiert ein Bild im Netz: Eine mit Laub bedeckte Straße, darunter der Schriftzug Nobody kehrs. Ob sich der Schöpfer dieses Wortwitzes von dem Song Just a Gigolo inspirieren ließ, in dem ein Eintänzer über sein trostloses Schicksal räsoniert? Nobody cares for me… Louis Prima hat das Lied (Textadaptierung von Irving Caesar, der auch Tea for two schrieb) in den 1930er Jahren weltberühmt gemacht. Es wurde zu einem unverwüstlichen Jazzstandard. Normalerweise überträgt man erfolgreiche englischsprachige Lieder ins Deutsche. In diesem Fall war es umgekehrt. Das Original heißt Schöner Gigolo, armer GigoloGeschrieben hat es der Wiener Librettist und Schlagertexter Julius Brammer.

HEISSER NOCH ALS GULASCHSAFT

Julius Brammer wurde  am 9. März 1877 in Sehraditz in Mähren (heute: Sehradice in Tschechien) geboren. Früh zeigte sich sein Interesse für die schönen Künste. Nach dem Besuch der Realschule wurde er Schauspieler. Er trat am Gärtnerplatztheater in München und später im Theater an der Wien auf, wo er auch bei Operettenaufführungen mitspielte. Die Operette wurde zu seiner großen Leidenschaft. Ab 1908 war er fast nur mehr als Bühnenschriftsteller tätig. Ein Glücksfall für Brammer war die Begegnung mit Alfred Grünwald (Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?) 1909 schrieb er mit ihm das Libretto für die parodistische Operette Elektra, die im Cabaret Fledermaus uraufgeführt wurde. Das war der Beginn einer wunderbaren Zusammenarbeit, die fast zehn Jahre dauerte. 

Brammer und Grünwald zählten zu den kreativsten Köpfen der Silbernen Operetten-Ära. Sie schrieben zahlreiche Operetten, u. a. Die ideale Gattin (Musik: Franz Lehár), Die Kaiserin (Musik: Leo Fall), Die Rose von Stambul (Musik: Leo Fall), Der letzte Walzer (Musik: Oscar Straus), Bruder Leichtsinn (Musik: Leo Ascher), Gräfin Mariza (Musik: Emmerich Kálmán), Die Zirkusprinzessin (Musik: Emmerich Kálmán) und Die gold’ne Meisterin (Musik: Edmund Eysler) und Die Gräfin Mariza (Musik: Emmerich Kálmán), in der die geniale Textzeile vorkommt: „Meine Leidenschaft brennt heißer noch als Gulaschsaft!“

SCHÖNER GIGOLO, ARMER GIGOLO

 1924 hatte Julius Brammer im Hotel Adlon in Berlin den genialen Einfall zu  Schöner Gigolo, armer Gigolo. Er setzte damit jenen Männern ein literarisches Denkmal, die nach dem Ersten Weltkrieg ihr Geld damit verdienten, mit Damen der Gesellschaft zu tanzen. Herren waren zu dieser Zeit Mangelware. Der Begriff Gigolo leitet sich vermutlich von dem französischen Wort „gigoter“ ab, was soviel wie „herumzappeln, tanzen“ bedeutet. Die Eintänzer waren meist ehemalige Offiziere und brachten als Qualifikation gutes Benehmen, elegante Ausstrahlung und Diskretion mit. In Schöner Gigolo, armer Gigolo bedauert Julius Brammer einen ehemals feschen Husarenoffizier, dessen Welt in Fransen gegangen ist und der  – nun seiner schmucken Uniform und der Geliebten entledigt – statt in den Krieg zu ziehen aufs Tanzparkett muss. 

Fünf Jahre lang lag der Text unvertont in der Schublade. Dann kam Brammer ein Zufall zu Hilfe. Der mittlerweile sehr erfolgreiche Operettenlibrettist saß mit seiner Frau in einer Bar in Istrien, wo ein Klavierspieler eine Tango-Melodie spielte, die ihm sofort gefiel. Ein gewisser Leonello Casucci aus Mailand hätte das Stück geschrieben, mehr wusste der Pianist nicht. Prompt fuhr Brammer nach Italien, um ihn ausfindig zu machen. Was ihm auch gelang. Casucci konnte es kaum fassen, als er zur Vertragsunterzeichnung nach Wien gebeten wurde. Der Rest ist Geschichte. Der arme Gigolo machte aus ihm einen steinreichen Mann. Als Star-Tenor Richard Tauber 1929 gemeinsam mit dem Orchester Bela Dajos eine Platte aufnahm, wurde das Lied ein Mega-Hit.

JUST A GIGOLO

Kurz drauf sangen Louis Armstrong und Bing Crosby die englische Fassung, Daniele Serra die italienische. Auch heute wissen u. a. Max Raabe, die Leningrad Cowboys, Lou Bega, Michael Heltau und Martin Plass von den Kaktusblüten noch immer ein Lied vom schönen Gigolo zu singen.

Dieses hat auch die Filmemacher inspiriert, und so entstanden Der schöne, arme Tanzleutnant (Regie: Emmerich Hanus, Deutschland, 1930) Just a Gigolo (Regie: Jack Conway, USA, 1931) und  nochmals Just a Gigolo (Regie: David Hemmings, USA 1979), in der Marlene Dietrich den Titelsong sang und gleichzeitig ihren letzten Auftritt hatte. Weitere Stars in diesem hochkarätigen Film waren David Bowie, Maria Schell, Curd Jürgens und Erika Pluhar

WENN DAS HERZ DIR AUCH BRICHT

 Brammer ereilte das Los vieler jüdischer Künstler. Er musste nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938 die Heimat verlassen. Zuerst lebte er mit seiner Frau Rosemarie in Paris und flüchtete, als die Nationalsozialisten Frankreich okkupierten, in den unbesetzten Teil des Landes, an die Côte d’Azur. „Wenn das Herz dir auch bricht, zeig‘ ein lachendes Gesicht“, riet er dem schönen Gigolo.  Auch Brammer fand im Exil kein Glück. Er starb am 18. April 1943  in Juan-les -Pins an einem Herzversagen.

Ganz haben die Wiener zum Glück nicht auf den großen Librettisten vergessen. In Hietzing, dem 13. Bezirk, wurde zu seinem Gedenken 1955 die Brammergasse nach ihm benannt.

 

 

 

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Fritz Löhner-Beda im Porträt

Von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Sie sind das Obst der deutschen Einheit. Aber warum Bananen, ausgerechnet Bananen? „Die Banane ist eine Hoffnung für viele und eine Notwendigkeit für uns alle“, sagte Konrad Adenauer einst im Wirtschaftswunderland. Die Aussage muss sich wohl ins kollektive Gedächtnis der Deutschen gegraben haben. Wie ließe es sich sonst erklären, dass einen Tag nach dem Mauerfall am 9. November 1989 in den westdeutschen Supermärkten alle krummen Dinger schlagartig ausverkauft waren? Die Banane – das Luxussymbol der Ossies!

Dabei hatte schon in den 1920-Jahren die Tropenfrucht Furore gemacht. Josephine Baker brachte nur mit einem Bananenröckchen bekleidet die Männer in Paris, Berlin und Wien zur Raserei, und Fritz Löhner-Beda, einer der genialsten Textdichter seiner Zeit, setzte dem gelben Früchtchen mit dem Lied „Ausgerechnet Bananen“ ein literarisches Denkmal.

WAS MACHST DU MIT DEM KNIE, LIEBER HANS?

Fritz Löhner-BedaFriedrich Löhner wurde am 24. Juni 1883 als Bedrich Löwy im böhmischen Wildenschwert geboren. Die gutbürgerliche jüdische Familie zog vier Jahre später nach Wien. Beda bedeutet auf Tschechisch Fritz. So riefen ihn seine Eltern, und diesen Namen nahm er auch als Pseudonym an, als er als Gymnasiast seine ersten Gedichte veröffentlichte. 1908 promovierte Löhner zum Doktor der Rechte, übte seinen Beruf allerdings nie aus. Er hatte schon früh schriftstellerische Ambitionen und liebte die Unterhaltung, die sogenannte leichte Muse. Beda schrieb Gedichte und Kabarett-Sketche und machte sich auch bald als Schlagertexter einen Namen. Die Texte bestachen durch feine Ironie, charmante Zweideutigkeiten und höchste Reimkunst. Zur raschen Verbreitung trugen die neuen Medien Radio und Tonfilm  bei, und die Comedian Harmonists, die erste Boygroup der Welt, machten sie zu Hits mit ungeahntem Haltbarkeitsdatum. Wer kennt nicht „Was machst du mit dem Knie, lieber Hans!“ (Musik: Richard Fall), „O Donna Clara“ (Musik: Jerzy Petersbursky ) und „Ausgerechnet Bananen“ (Musik: Irving Cohn). Dieses Lied war eine äußerst freie Übertragung des englischen Songs „Yes, we habe noch Bananas“. Dass all diese Lieder in den 1990er Jahren ein Revival erlebten, ist nicht zuletzt Max Raabe und dem Palast-Orchester zu verdanken.

DEIN IST MEIN GANZES HERZ

Entscheidend für die steile Karriere von Löhner-Beda war die Begegnung mit dem Operettenkomponisten Franz Lehár. Dem ersten gemeinsamen Werk „Der Sterngucker“ war zwar kein Erfolg beschieden. Aber schon beim zweiten Anlauf schafften Lehár und Löhner-Beda, der Ludwig Herzer als Co-Autor ins Boot holte, mit „Friederike“ einen Sensationserfolg. Den größten Triumph erreichte das Trio mit „Land des Lächelns“ (1929). „Dein ist mein ganzes Herz“ wurde zum berühmtesten aller Lieder, die der Startenor Richard Tauber sang. Löhner-Beda widmete es seiner Frau Helene. Um in Lehárs Nähe zu sein, kaufte er sich in Bad Ischl die Villa Felicitas, die ehemalige Villa von Katharina Schratt. Dort pflegte der damalige Kaiser Franz Josef, wenn er in Bad Ischl auf Sommerfrische war, zu einem Gugelhupf und mehr einzukehren. (Übrigens: Zur Zeit steht die Villa wieder zum Verkauf frei!)

Auch viele dieser Operettenklassiker feiern wieder ein Revival. Im vergangenen Jahren erschienen CDs der Startenöre Jonas Kaufmann („Du bist die Welt für mich“) und Piotr Bezcala („Mein ganzes Herz“), die Werke von Franz Lehàr und somit auch Fritz Löhner- Beda zum Inhalt haben.

FREUNDE, DAS LEBEN IST LEBENSWERT!

Mit dem Komponisten Paul Abraham schrieb Löhner-Beda 1930 „Victoria und ihr Husar“, 1931 „Die Blume von Hawaii“, 1932 „Ball im Savoy“ und 1934 mit Franz Lehár „Giuditta“. Daraus stammt das Lied „Freunde, das Leben ist lebenswert!“. Es sollte die letzte Operette der beiden sein. Löhner-Beda erkannte nicht die tödliche Gefahr, die von Hitler, den er spöttisch den Tapezierer nannte, ausging. Freunde drängten ihn, das Land zu verlassen, doch er blieb. Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 war es für Flucht zu spät. Mit dem 1. Prominenten-Transport wurde er in das KZ Dachau und dann nach Buchenwald deportiert. Unter den Häftlingen befand sich auf der Komponist  Hermann Leopoldi. Im KZ schrieben die beiden das Buchenwaldlied, eine Lagerhymne, die die Häftlinge beim täglichen Appell singen mussten. Ein Lied, von dem Löhner-Beda sagte, es wäre sein bestes gewesen.

EINMAL KOMMT DER TAG, DANN SIND WIR FREI!

Währenddessen hatte sein Name schon aufgehört zu existieren. Er wurde in das „Lexikon der jüdischen Musik“ aufgenommen und durfte, obwohl die Lieder und Operetten gespielt wurden, nicht mehr in den Programmen, Notenheften und Schallplattenetiketten aufscheinen. Löhner-Beda hoffte bis zuletzt auf Lehárs Fürsprache. Umsonst! Er starb am 4. Dezember 1942 in Auschwitz, ohne vom Tod seiner Frau und seiner beiden Töchter, die in einem KZ in Minsk ums Leben gekommen waren, erfahren zu haben. Weil er zu langsam arbeitete, wurde er von einem Mithäftling erschlagen. Die offizielle Todesursache lautete Altersschwäche. „Denn einmal kommt der Tag, dann sind wir frei“ – diese Zeile aus dem Buchenwaldlied ging für Fritz Löhner-Beda nicht in Erfüllung.

…UND PFEIFEN AUF DIE SITTSAMKEIT!

Wer mehr über das tragische Leben und das Werk von Fritz
Löhner-Beda wissen will, kann dies in zwei Biographien nachlesen: „Kein Land des Lächelns“ von Barbara Denscher und „Dein ist mein ganzes Herz“ von Günther SchwarbergCharles Lewinksy verwandelte Bedas Leben in das berührende Theaterstück „“Freunde, das Leben ist lebenswert“. Christoph-Wagner-Trenkwitz, Chefdramaturg an der Wiener Volksoper, brachte den Gedichtband „Wie man sich trefft im Ampezzotal“ heraus, der längst vergriffene Texte von Beda beinhaltet.

Heuer setzten das Salzburger Vokalensemble Auftakt und der Wiener Schauspieler Alfred Pfeifer ein Herzensprojekt von mir in die Tat um. „…und pfeifen auf die Sittsamkeit!“ heißt die heiter-frivole Hommage an den verehrten Meister. Das Besondere an der CD: Einen Tonträger, der ausschließlich Werke von Fritz Löhner-Beda beinhaltet, gab es noch nie. „…und pfeifen auf die Sittsamkeit!“ – so heißt auch das Bühnenprogramm, das am 11. November wieder im kleinen theater in Salzburg zu sehen ist.

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Satirischer Monatsrückblick August 2015
von Joachim Zawischa

August ist Urlaubszeit, Zeit der Reise, der Sonne, der Erholung. Zeit des Sommerlochs. Da willst du einen locker-fluffig-sommerlichen Monatsrückblick schreiben.
Doch dann liest du die Schlagzeilen des Augustes 2015:
Zawischa 2015
In China geht ein Hafengelände in die Luft, die Börse in China jedoch stürzt ab.
Ein amerikanischer Soldat, der ein Trikot des FC Bayern trägt, stürzt sich auf einen marokkanischen Mann, der mit einer russischen Kalaschnikow durch einen französischen Zug rennt, welcher durch belgisches Gebiet fährt und aus Holland kommt.

Und dann Flüchtlinge! Heidenau! Rechte Dumpfbacken liefern sich mit der Polizei vor einem ehemaligen Baumarkt, der als Flüchtlingsunterkunft dient, eine Schlacht.

Und du denkst: Nö! Ach komm. Nicht schon wieder. Nein, ich will nicht mehr. Ich will es nicht mehr hören, ich will es nicht mehr lesen. Ich will nicht ständig Bilder in Zeitungen sehen, die hässliche Neonazi-Fratzen zeigen.
Wo sind die guten alten Schlagzeilen, wie: „Nacktbaden zieht immer mehr Menschen an.“ Oder irgendetwas mit Uli Hoeneß. Ich will lieber lesen „Pferdefleisch in Lasagne“ als „Neonazis in Heidenau“. Lieber „Salmonellen im Supermarkt“ als „Auflauf vorm Baumarkt“.
Und dann immer dieses Verständnis-Trallala: Wir verstehen die Ängste der Menschen vor dem Fremden.

Nein! Verstehe ich nicht! Null! Ich hab auch Ängste. Wenn ich jedes Mal etwas abfackeln würde, wenn ich Angst habe, wäre ich schon lange ein Pyromane.
Außerdem, wenn ich Angst vor dem Fremden habe, muss ich mich mit dem Fremden beschäftigen. Dann ist es nämlich nicht mehr fremd. Und macht auch keine Angst mehr.

Babys wollen sich...

Und diese Statements. Eine sächsische Frau sagte: „Isch habb Angst uff de Schdraaße zu geen, die vorgewaltigen dorr de Fraun, habsch gehörd.“ Mal abgesehen davon, dass das völliger Stuss ist, hört man solche Sätze meist von Frauen, die so aussehen, dass selbst potentielle Vergewaltiger ihre Finger von ihnen lassen würden.

Der Bürgermeister von Heidenau wurde laut Süddeutscher Zeitung von einem Demonstranten gefragt: „Warum Menschen als Menschen betrachten, die sich nur durchfüttern lassen wollen?“

Mein lieber Herr Gesangsverein, wo sind wir denn hier? Wenn ich so etwas höre, wird mir ja richtig übel. Denn dieser Logik nach müsste man vielen Menschen die Menschenwürde absprechen.
Zum Beispiel Pflegefälle in Pflegeheimen – die wollen sich auch durchfüttern lassen. Patienten auf der Intensivstation oder Schwerstbehinderte – lassen sich einfach durchfüttern. Und Babys erst, Babys sind die Schlimmsten, scheißen alles voll und dann den ganzen Tag füttern, füttern, füttern!

Flüchtlinge sind Menschen – und daran kann man im Moment nicht oft genug erinnern. Sie sind Menschen, die unverschuldet in Not geraten sind.

Wie groß diese Not zum Teil ist, beweist eine wahre Geschichte einer Flüchtlingsmutter aus Ghana. Sie hat unsere Kanzlerin als Namenspatin für ihr Kind eingesetzt. Ihr Kind heißt jetzt tatsächlich Angela Merkel. Da erahnt man doch, wie verzweifelt diese Menschen sein müssen.

Die junge Frau aus Ghana heißt übrigens mit Nachnamen Adé.
Ist doch ne Supernummer, oder? Denn ihr Töchterchen heißt jetzt mit vollem Namen Angela Merkel Adé.
Einfach den Akzent weglassen und schon gibt’s doch noch ne positive Schlagzeile: „Angela Merkel Ade!“ Ja, ich weiß, „ade“ müsste man klein schreiben. Aber wer wird denn bei so viel Vorfreude so pingelig sein.

In diesem Sinne, kommen Sie gut in den September. Und gehen Sie mal wieder ins Kabarett. Die neue Theater-Saison hat begonnen.
Auf jeden Fall denken Sie dran: Immer schön lächeln!

Noch mehr Rückblicke von Joachim Zawischa und überhaupt ein empfehlenswerter Blog:  hier

Die Sommerpause ist zu Ende!

Auch bei uns ist die Sommerpause jetzt zu Ende.
Die Seminarseite hat ein Lifting bekommen, unser Webmaster Jan Weskott hat die Seite nun auch smartphone-kompatibel gemacht. Der Herbst kann kommen.
Für einige Workshops gibt es noch freie Plätze. Und:
für 2016 ist in Berlin ein Workshop über Musicalsongs geplant – vorausgesetzt, es finden sich genügend Menschen, die teilnehmen möchten. Man darf gespannt sein.

zu den Workshops 2015 und 2016

 

Bernd Meinunger im Porträt

von Claudia Karner (Celler Schule 2006)

Er ist eine Hälfte des erfolgreichsten Komponisten-Textdichter-Duos beim Eurovision Songcontext. Achtmal landeten seine Lieder unter den ersten fünf. Mit „Ein bisschen Frieden“, gesungen von der 17-jährigen Nicole,  katapultierte sich Bernd Meinunger Bernd Meinungergemeinsam mit dem Komponisten Ralph Siegel  1982 in Großbritannien in den Schlagerolymp und bescherte Deutschland den allerersten Sieg beim Eurovison Songcontest, der damals noch Grand Prix Eurovision de la Chanson hieß. Der Siegertitel 1982 entstand, so geht die Mär, weil Siegel  – dem Zeitgeist entsprechend – unbedingt ein Lied über den Frieden machen wollte, Meinunger aber eigentlich nicht. Um dann im Laufe der Diskussion einzulenken: „Höchstens ein bisschen Frieden“. Damit war der Titel, die sogenannte „Zeile“, gefunden. Und Meinunger schwört, dass die Geschichte kein bisschen erfunden ist.

VOM WEIZEN ZUM HIMBEEREIS

Bernd Meinunger wurde am 30. September 1944 in Meiningen (Thüringen) geboren. Genau zehn Jahre später als Udo Jürgens. Da ist es nicht verwunderlich, dass der 70. Geburtstag, den Meinunger im vergangenen Jahr feierte, fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Schließlich ließ alle Welt Udo hochleben. Ein Umstand, der den Jubilar nicht störte, denn er steht nicht gern im Rampenlicht. Im Alter von fünf Jahren war Bernd mit seiner Mutter in die gerade gegründete Bundesrepublik Deutschland übersiedelt, wo der Vater lebte. Musikalische Ambitionen zeigten sich schon bald. Schon als Teenager wirkte Meinunger in verschiedenen Bands mit, unter anderem  mit den Red River Boys. 1966, während der Bundeswehrzeit, schrieb er Text und Melodie für seinen ersten Titel, der auf Schallplatte erschien: Chu Chu“.  Die Musik trat in den Hintergrund, als Meinunger  in München Volkswirtschaft studierte, wo er  seine Dissertation über die Handelsbeschränkungen des Weltweizenmarktes schrieb. Anschließend arbeitetete er zehn Jahre lang  in der Wirtschaftsforschung. Erst mit  33 Jahren startete er als Textdichter  durch, und zwar „Himbeereis zum Frühstück“. Das Lied war die deutsche Version des amerikanischen Songs „Standing in the Crossfire“ der Bellamy Brothers. In Deutschland machten es ebenfalls zwei Brüder zum Hit: Hoffmann und Hoffmann.

DSCHINGHIS KHAN UND EIN BISSCHEN FRIEDEN

1979 landete Meinunger seinen ersten Welterfolg: „Dschinghis Khan“, interpretiert von der gleichnamigem  Gruppe  Dschinghis Khan landete beim ESC  – Uuuuh, aaaah! –  in Jerusalem auf Platz  4. „Das Schönste ist, wenn man aus dem Nichts einen Hit schreibt“, so der Textdichter, „am besten für eine Band, die noch niemand kennt.“ Zwischen ihm und dem Komponisten Ralph Siegel entwickelte sich eine kongeniale Partnerschaft. Siebzehnmal seit 1978 traten die beiden gemeinsam beim Eurovision Song Contest an. Achtmal kamen sie unter die besten fünf, ihr Sieg 1982 mit „Ein bisschen Frieden“ ist legendär. Aber auch die Zweiplatzierungen, etwa Katja Ebsteins „Theater“ (1980), Lena Valaitis’ „Johnny Blue“ (1981) und „Lass die Sonne in dein Herz“ von Wind (1987) sind noch immer in den Köpfen der Deutschen.  

Bernd Meinunger hat mehr als 4600 Lieder geschrieben, die veröffentlicht und  350 millionenfach verkauft wurden, und erhielt an die 400 Gold- und Platin-Auszeichnungen. Neben dem Textdichten frönt er noch einer Leidenschaft, dem Golf. Auf dem Green traf er auch Hansi Hinterseer. Die Folge: Fast 100 Lieder in 20 Jahren!  Bernd Meinunger, der mit seiner Frau Barbara  in München lebt,  hat für beinahe jeden deutschsprachigen Künstler gearbeitet, der in den vergangenen 40 Jahren in den Hitparaden vertreten war, so zum Beispiel  Peggy MarchPeter AlexanderAndrea Berg, Rex GildoStefanie Hertel, die Kastelruther SpatzenMireille MathieuVicky LeandrosPeter Maffay, Semino Rossi und Wolfgang Fierek. Nur zwei große deutschsprachige Künstler fehlen ihm auf seiner langen Liste: Udo Jürgens und Howard Carpendale.  Und falls Sie auf einem Plattencover auf  klingende Namen wie John O’Flynn, Jim Leary, O. Pinion und Gunter Johansen stoßen: Auch hier steckt Bernd Meinunger dahinter.

VON DEUTSCHLAND NACH SAN MARINO

Anfang des 21. Jahrhunderts kam das Kreativ-Duo Siegel/Meinunger  in Deutschland irgendwie aus der Mode. 2005 wollte es Meinunger  noch einmal wissen und schrieb mit dem Komponisten David Brandes unter dem Pseudonym John O’Flynn den Song „Run & Hide“ , holte sich aber keine Lorbeeren. Die Sängerin Gracia landete auf dem letzten Platz – was nicht unbedingt an mangelnder Qualität des Songs gelegen haben dürfte, sondern an einem handfesten Skandal, der seinerzeit durch die Presse rauschte……….
Ralph Siegel scheint noch immer dem Songcontest verfallen zu sein. Er versucht seit Jahren  sein Glück mit anderen Nationen, darunter Malta, Bosnien und Herzegowina und San Marino – für das letztgenannte Land  heuer schon zum vierten Mal. Dieses Mal holte er wieder  John O’Flynn  ins Boot, der sich die Zeilen für  „Chain of Lights“  einfallen ließ. „Es wäre ein Traum, ins Finale kommen“, meinte Siegel vor wenigen Tagen. Dieser Traum ging nicht in Erfüllung. Für Anita Simoncini & Michele Perniola, beide erst 16 Jahre alt,   aus San Marino, war am Donnerstag in der Vorentscheidung Endstation.

Die Herren Siegel und Meinunger können sich also am 23. Mai die Übertragung in der Wiener Stadthalle ganz entspannt anschauen.  Den Grand Prix-Urgesteinen sei ein bisschen Frieden gegönnt.