Michael Kunze im Porträt

Von Claudia Karner (Celler Schule 206)

Wer schrieb eigentlich „Ich war noch niemals in New York, ich war noch niemals auf Hawaii, ging nie durch San Francisco in zerriss’nen Jeans…“? Na, Udo Jürgens, wer sonst, werden Sie jetzt vermutlich sagen. Falsch! Es war sein Haus- und Hoftexter Michael Kunze, der ihm viele Hits, darunter „Griechischer Wein“, „Ein ehrenwertes Haus“ und „Heute beginnt der Rest meines Lebens“ auf den Leib schrieb und dem dabei das typische Textdichter-Schicksal widerfuhr. „Das Publikum identifiziert gewöhnlich den Sänger mit dem, was er singt, den Texter nimmt es gar nicht wahr. Das hat mich nie gestört. Ich bin so eine Art Ghostwriter, der den Interpreten die Sprache gibt“, sagte Michael Kunze in einem Interview  in der FAZ. „Udo Jürgens und ich, wir waren ein eingespieltes Team. Mit ihm zusammen am Klavier war mir die liebste Arbeit. Einmal hat Udo gesagt: ‚Oft stört der Text die Musik oder umgekehrt. Wenn aber ein guter Text und die passende Melodie zusammenkommen, löst das die stärkten Emotionen aus’.“ Schade, dass Udo Jürgens bei der Fernsehshow anlässlich seines 80. Geburtstags für seinen langjährigen Textdichter nur in einen Halbsatz übrig hatte.

DU BIST ALLES, WAS ICH HABE AUF DER WELT…

Michael Kunze
Foto: Alexander Christoph Wulz

Geboren wurde Michael Kunze am 9. November 1943 in Prag, wo sein Vater als Journalist beim Prager Tagblatt arbeitete. Nach der Rückkehr der Familie nach Deutschland wuchs er im Schwarzwald auf und besuchte in München das Gymnasium. Als Teenager entdeckte er die Liebe für den Rock’n’Roll, lernte Gitarre spielen und schrieb die ersten Lieder. Nach dem Abitur mit der Durchschnittsnote 1,0 studierte Kunze Jura, ein Studium, das er, wenn erst auch viele Jahre später, summa cum laude beendete. Die Dissertation über einen Hexenprozess aus dem Jahre 1600  („Der Prozess Pappenheimer“) erregte großes Aufsehen in Fachkreisen und wurde Grundlage für seinen Erfolgsroman  „Straße ins Feuer“. Doch erst mal wollte der junge Kunze Liedtexte schreiben. Da die ersten Versuche nicht besonders erfolgreich waren, entschloss er sich, selbst zu produzieren. In einer Schwabinger Musikkneipe entdeckte er 1969 den 17jährigen Peter Maffay, für den er das Lied „Du“ schrieb. „Du bist alles, was ich habe auf der Welt. Du bist alles, was ich will…“ Durchaus möglich, dass sich Kunze beim Schreiben dieses Textes von seiner Jugendliebe Roswitha inspirieren ließ, die er mit 17 Jahren im Schulbus kennengelernt hatte und ihn noch heute als Ehefrau durchs Leben begleitet.

KEINE ANGST VOR GEFÜHLEN

Von da an ging es aufwärts. Sehr steil sogar. Insgesamt sind es 4000 Titel geworden, darunter an die 300 Hits. „Einige davon finde ich heute noch gut“, sagt Kunze. Sein Erfolgsrezept: „Ich hatte nie Angst vor Gefühl, vor Einfachheit. Angst hatte ich vor Lügen und Klischees. In der Branche wusste man bald, für die richtigen breiten Schlager bin ich nicht der Richtige. Durchgesetzt haben sich meine Texte, weil sie etwas anders waren als das übliche Schlager-Einerlei.“ Und so schrieb er u. a. für Peter Alexander („Die kleine Kneipe“), Jürgen Drews („Ein Bett im Kornfeld“), Die Münchner Freiheit („Ohne dich schlaf ich heut Nacht nicht ein“), Gitte Haenning („Freu dich bloß nicht zu früh“), Mary Roos („Aufrecht geh’n“), Juliane Werding („Stimmen im Wind“) und Gilbert Becaud („Desirée“).

1974 wagte Michael Kunze den Sprung über den Großen Teich, gründete in den USA die Retorten-Gruppe Silver Convention und erfand den sogenannten Munich Sound. Auf Grund der sensationellen Erfolge in den USA  mit „Fly, Robin, Fly“ – der Song wurde Nummer 1 in den Billboard Charts –   und Penny Mc Leans „Lady Bump“, die Kunze unter dem Pseudonym Stephan Prager schrieb, arbeitete er mit Stars der amerikanischen Musikszene und produzierte Alben mit Herbie Mann, Julio Iglesias und Sister Sledge. 1976 wurde er als erster Deutscher gemeinsam mit dem Komponisten Sylvester Levay mit einem Grammy ausgezeichnet. In Deutschland wählte ihn die Jury der Goldenen Europa zum „Mann des Jahres 1976“. Das Pendeln zwischen den Kontinenten und Druck der amerikanischen Plattenfirma gingen Kunze an die Substanz. Ende der 1970er Jahre zog er die Notbremse. Er löste Silver Convention auf, kündigte alle Verträge und nahm sich Auszeit, um den Roman „Straße ins Feuer“ zu schreiben. 

MUSICAL- UND STORY-ARCHITEKT

In den 80er Jahren entdeckte Michael Kunze eine neue künstlerische Welt: das Musical. Er übertrug mit großem Erfolg die Musicals des weltbekannten Engländers Andrew Lloyd Webber wie „Evita“, „Cats“, „Das Phantom der Oper“ und „Sunset Boulevard“ ins Deutsche und verhalf so diesen Werken in seiner Heimat zum Durchbruch. Gleichzeitig machte er sich einen Namen in dieser Branche. Es folgten die deutsche Adaptierungen (Die Bezeichnung „Übersetzung“, hört Kunze nicht gern) von  „A Chorus Line“, „Der kleine Horrorladen“, „Der Glöckner von Notre Dame“, „Der König der Löwen“, „Mamma Mia!“ und „Aida“.
Mit dem Komponisten Sylvester Levay, mit der sich bereits zu Zeiten des „Munich Sound“ die Lorbeeren geteilt hatte, begann Michael Kunze eigene Musicals zu schreiben und zu produzieren. Er startete 1990 mit „Hexen, Hexen“ und landete  zwei Jahre später mit „Elisabeth“, der Geschichte der österreichischen Kaiserin fernab vom picksüßen Sissi-Kitsch, trotz anfänglicher Kritikerschelte einen Welterfolg. „Elisabeth“ wurde vier Jahre lang in Folge in Wien gespielt. O-Ton Michael Kunze, der sich als Story-Architekt verstanden wissen will:  „Seit zwanzig Jahren vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendwo in der Welt „Elisabeth“ aufgeführt wird. Das ist nicht ohne Ironie. Ich wollte die Geschichte der unglücklichen Kaiserin als zeitgemäßes, emotionales Musiktheater erzählen, ohne dabei zum Broadway zu schielen. Dass das dem Wiener Publikum gefiel, konnte ich allenfalls hoffen. An einen Welterfolg dachte ich wirklich nicht.“

ICH WAR NOCH NIEMALS IN NEW YORK

Weitere Erfolgs-Produktionen aus Kunzes Kreativ-Werkstatt:  „Mozart! – das Musical“ (1996), „Tanz der Vampire“ (1997),  „Rebecca“ (2006), „Marie-Antoinette“ (2006) und „Moses“ (2013). Im Oktober 2015 soll die Uraufführung des Pop-Oratoriums „Luther“ folgen. „Ich war noch niemals in New York“, jenes Musical, zu dem Michael Kunze Titel und Titelsong lieferte, stammt allerdings nicht aus dessen Feder. Es ist eine Kompilation von 23 Udo-Jürgens-Liedern, die der österreichische Dramatiker Gabriel Barilly nach einer Idee von der Bestellser-Autorin Hera Lind in eine flotte, familientaugliche Story à la Traumschiff packte.

56 Goldene Schallplatten, 23 Platin-Schallplatten, ein Grammy, der Echo für das Lebenswerk,  die Goldene Feder des Deutschen Textdichter-Verbandes  und der Deutsche Musikautorenpreis – die Liste von Kunzes Auszeichnungen ist lang. „Michael Kunze ist ein echtes Universaltalent, der ein wahrhaft umfassendes Gesamtwerk vorweisen kann. Musical, Oper, Schlager, Theater, Literatur, Film und Fernsehen – überall fühlt sich Michael Kunze gleich wohl“, so die Würdigung der Jury des Musikautorenpreises 2010. „Da er der meistgenannte Autor bei „Die besten Jahrhundert-Hits“des ZDF ist, kann man davon ausgehen, dass fast jeder sofort ein paar Zeilen seiner Lieder auswendig aufsagen kann.“ Diese zum Beispiel: „Ich war noch niemals in New York, ich war noch niemals auf Hawaii…“ Welche Zeile kriegen Sie nicht mehr aus dem Ohr?

 

8 Antworten auf „Michael Kunze im Porträt“

  1. Danke Claudia! Diese „Würdigung“ ist ein schönes Geburtstagsgeschenk für mich Oldie. Ein Trost für alle Leser: Ich habe auch viele Texte geschrieben, die erfolglos und/oder vergessenswert waren. Zum Glück erinnert man sich nicht mehr daran. Herzlichst, Michael Kunze.

  2. Lieber Herr Kunze,
    wie schön, dass Sie den Artikel gelesen haben. Herzlichen Dank für Ihren Kommentar.
    Ihren runden Geburtstag im letzten Jahr habe ich leider verpasst, aber da gab es ja die Serie „Wer schrieb eigentlich…?“ noch nicht.
    Danke auch für die vielen unvergessenen Lieder, mit denen Sie die Welt bereichert haben!
    Mit lieben Grüßen
    Claudia Karner

  3. ich treffe ohne es zu wissen schon mein ganzes Leben auf Texte von Michael Kunze! erst in diversen Musicalsongbooks und natürlich in den Liedern von u.a. Udo Jürgens! Sie begegnen mir, faszinierten und inspirieren mich! Michael Kunze ist ein großartiger Songtexter!
    Einfach großartige Werke!!!

  4. Lieber Herr Michael Kunze,
    ich bin begeisteter Fan von Ihnen und Ihren Texten seit ich 19 war. jetzt bin ich 71 und bin immer noch begeistet, wenn ich Ihren namen irgendwo höre oder lese.
    Ich habe ein junge Dame mit einer gewaltigen Stimme hier in Wels/ Österreich- wo auch ich lebe- entdeckt. Nun nun
    bin ich auf der Suche nach einem Produzenten bzw. einem Texter für dieses außergewöhnliche Talent. Darf ich Ihnen einmal eine “ Kostprobe“ ihrer Stimme zukommen lassen. Wenn ja, dann bitte wie und wohin?

  5. Danke Claudia Karner, Ich habe mir schon zu Udo Jürgens Lebzeiten die Finger wundgeschrieben über das merkwürdige Verhältnis des Komponisten/Interpreten zu seinen Textern, die zweifellos wichtiger waren als die Musik.Ich kenne keine Instrumental Aufnahmen dieses „Künstlers“.Als ich dieses Thema einmal in seinem Gästebuch ansprach, war der Text nach 9 Minuten entfernt.Alle Moderatoren in Funk und Fernsehen waren immer nur begeistert von „seinen Liedern“. Nochmals Dank. Rainer Wallraf Musikjournalist München
    Rwallraf@aol.com.2019

  6. Lieber Dr. Michael Kunze ,
    auch aus St.Georgen im Schwarzwald ganz herzlichen Glückwunsch zu Ihrem runden Geburtstag !! – Meine Mutter hat mir erzählt , dass wir als Babies hier in St.Georgen im selben Stubenwagen gelegen haben.- Erst Sie nach der Ankunft aus Prag , dann einige Jahre später (1947) ich !
    Alles Gute und liebe Grüße

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